Deutschrap und MeToo: Steht die Szene vor dem Umbruch?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/UZ6XN3CP4BAAZH2Z7JNP6QANYA.jpg)
Ein Video des Rappers Bushido sorgt für Diskussionen.
© Quelle: imago images/POP-EYE
Berlin. Es vergeht kaum eine Woche ohne einen handfesten Skandal im Rapgeschäft. Die Szene hat ihren ganz eigenen MeToo-Moment: Vorwürfe gegen den Rapper Samra, zurückgezogene Rapsongs beim Label Universal und nun die Sache mit Bushido: Ein 16 Jahre altes Video zeigt den damals 26-Jährigen, wie er ein möglicherweise minderjähriges Mädchen unter Druck setzt und sexuell bedrängt. Bushido selbst hat die Echtheit des Videos inzwischen bestätigt.
Wirklich überraschend kommen derartige Vorwürfe für Kritikerinnen und Kritiker der Szene nicht. Bereits seit Jahren sorgen Rapper mit immer neuen frauenverachtenden Textzeilen für Aufsehen – und spielen sich trotzdem verlässlich immer wieder an die Spitze der Charts. Deutschrap ist die beliebteste Musikrichtung vieler junger Erwachsener, auf Streamingportalen wie Spotify und Youtube erreichen die Songs enorme Klickzahlen – trotz teils hochproblematischer Inhalte.
Verschiedene Strömungen hatten sich in den vergangenen Jahren erfolglos an dem Thema abgearbeitet. Eine Kampagne der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes im vergangenen Jahr beispielsweise wurde von Fans der Rapszene regelrecht niedergebrüllt und Unterstützerinnen wurden massiv eingeschüchtert. In einem Kampagnenvideo hatten Frauen gewaltverherrlichende Textzeilen bekannter deutscher Rapper vorgelesen, etwa von Finch Asozial, Gzuz, Kollegah und Farid Bang, Al Gear, Kurdo & Majoe sowie Bonez MC. Letzterer hat mit seinem kritisierten Song „Lebenslauf“ allein auf Youtube fünf Millionen Aufrufe.
Samra streitet Missbrauchsvorwürfe ab
Dass das Problem nun erstmals ernsthaft diskutiert wird, ist der Influencerin Nika Irani zu verdanken. Sie erhob Mitte Juni Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Rapper Samra – dieser wies diese in einem Video auf Instagram öffentlich zurück. Iranis Vorwürfe wurden bisher nicht zur Anzeige gebracht, demnach gilt für den Rapper die Unschuldsvermutung. Konsequenzen hatte der Fall trotzdem – und seither sorgen immer wieder neue Ereignisse für Schlagzeilen. Eine Chronologie:
17. Juni: Die Plattenfirma Universal Music distanziert sich öffentlich von Samra und lässt später die Zusammenarbeit ruhen. „Gegen einen unserer Künstler wurden auf Social Media schwere Anschuldigungen erhoben. Konkret geht es um den Vorwurf der sexuellen Gewalt. Aufgrund der Schwere der Anschuldigungen haben wir uns dazu entschlossen, die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Künstler bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen“, teilt das Label mit, jedoch ohne konkret den Namen des Rappers zu nennen.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Instagram, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Auch die Rapperin Shirin David distanziert sich von Samra. In einem neuen Song, so berichtet sie, habe sie den beschuldigten Rapper „in einem positiven Zusammenhang“ erwähnt. Sie habe sich deshalb entschieden, die Zeilen zu entfernen und die Veröffentlichung der Single um eine Woche zu verschieben.
Universal nimmt Song von den Plattformen
18. Juni: Der Rapper Nimo veröffentlicht ein Stück mit dem Namen „Komm mit“ beim Universal-Sublabel Urban. Es beinhaltet Textzeilen wie „Deine Ex-Freundin ist aus der Fassung/ Ich f*ck‘ sie fast tot, sie liegt im Wachkoma / La, la, la vida loca“.
Was dann geschieht, ist ein Novum in der Rapszene. Das Label entfernt den Song nach Veröffentlichung von sämtlichen Streamingplattformen und entschuldigt sich. „Wir distanzieren uns von diesem Inhalt. Dieser Track hätte weder heute noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt erscheinen dürfen. (...) Unser interner Diskurs zu inakzeptablen Inhalten hat hier versagt. Wir werden mit Nachdruck daran arbeiten, unserer Verantwortung als Label zukünftig besser gerecht zu werden. Es tut uns sehr leid, dass dieser Track veröffentlicht wurde.“
Auch Nimo äußert sich zum Fall: „Ich möchte mich an dieser Stelle (...) von jeglicher körperlichen Gewalt an Frauen und Missbrauch distanzieren und mich bei denjenigen entschuldigen, die meine Worte verletzt haben. Meine Herangehensweise bezüglich diesem Thema werde ich trotz künstlerischer Freiheit in Zukunft ebenfalls ändern, da spätestens jetzt klar wurde, wie existent dieses Problem tatsächlich ist, und ich dies keinesfalls befürworte!“
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von glomex GmbH, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Kritik am Rapjournalismus
23. Juni: In der Nacht zu Freitag soll Kilomatik, ein Kumpel des Rappers Massiv, seine neue Single „Vakuum Pakete“ veröffentlichen. Doch auch dazu kommt es nicht. Universal habe entschieden, die Single vorerst nicht herauszubringen, teilt Massiv in einem Instagram-Post mit. „Leider müssen wir wegen der momentanen Situation viele Singles umändern und zensieren. Rap kommt von der Straße und hat diese ganzen Debatten echt satt“, heißt es weiter. Universal bestätigte den Schritt dem Onlineportal „Watson“.
In den sozialen Netzwerken tobt derweil eine große Debatte. Unter dem Hashtag #deutschrapmetoo wird das Thema intensiv diskutiert, ein eigener Instagram-Kanal mit 22.000 Followerinnen und Followern will Betroffene von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch innerhalb der Deutschrapszene miteinander verletzten.
Andere wiederum kritisieren den Rapjournalismus, der sich über Jahre hinweg geweigert habe, über sexistische und diskriminierende Texte zu berichten, und damit ein Klima des Wegschauens ermöglicht habe.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Rapszene ein „rechtsfreier Raum“
Auch Prominente meldeten sich zu Wort. Die Moderatorin und Rapexpertin Visa Vie erklärt auf Instagram, sie habe in den vergangenen Jahren von „so vielen Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen oder Mädchen gehört, sie selbst mitbekommen oder am eigenen Leib erlebt, dass es Monate dauern würde, all diese Erlebnisse zu erzählen oder ihre fürchterlichen Details zu rekonstruieren“.
Für einen Großteil der Szene sei das in den vergangenen 20 Jahren ein „absolut selbstverständlicher Bestandteil des Tour- und Rapperlebens“ gewesen. Egal ob Labels, Werbepartner oder Agenturen – sie alle hätten davon gehört und trotzdem weiter mit den Künstlern zusammengearbeitet. Zeitweise habe es sich angefühlt, als sei die Rapszene „ein rechtsfreier Raum, in dem nur die Gesetze der stärksten und einflussreichsten Personen zählen“.
Der Fall Bushido
Und nun also der Fall Bushido. Der inzwischen 42-Jährige soll vor 16 Jahren ein mutmaßlich minderjähriges Mädchen unter Druck gesetzt und sexuell bedrängt haben, das zumindest legt ein nun geleaktes Video nahe.
Bushido bestätigte auf Instagram die Echtheit des Clips. Die Art und Weise, wie er damals mit Frauen umgegangen sei, sei absolut nicht in Ordnung gewesen, räumt der Rapper in einem Instagram-Statement ein. „Ich möchte mich an dieser Stelle nicht nur, aber vor allem bei diesem Mädchen entschuldigen“, sagte er.
Interessant an diesem neuen Fall ist auch, dass der Leak des Videos mit einer handfesten Promoaktion verbunden war. Der Rapper Cashmo hatte zuvor versprochen, er werde den brisanten Clip veröffentlichen, sobald er 100.000 Follower auf Instagram erreicht habe. Inzwischen hat er 130.000.
Experte: Rapszene nicht über einen Kamm scheren
Für den Rapexperten Nico Hartung kommen die Vorfälle der vergangenen Wochen nicht überraschend. Er warnt jedoch davor, die Rapszene nun generell über einen Kamm zu scheren, wie er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt. Hartung bringt mit seinem pädagogischen Jugendprojekt „Tuned“ Kindern und Jugendlichen die Kunstform Rap näher.
„Es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Problem, das in der Schlagerbranche sicherlich genauso präsent ist wie im Rap“, meint Hartung. Allerdings gehöre es im Rap dazu, solche Themen in Songs aufzugreifen und gezielt zu provozieren. Gewaltverherrlichung und Frauenverachtung seien ein Manko der Gesellschaft und würden auch deshalb in deutschen Rapsongs thematisiert. Rapsongs gäben häufig gesellschaftliche Probleme in provokativer Form wider.
Fans wüssten das übrigens, selbst die ganz jungen, wie Hartung aus eigener Erfahrung weiß. Diese sprächen häufig von „Image-Rap“ und würden das, was die Künstler dort verbreiten, nicht für bare Münze nehmen. „Es besteht aber die Gefahr, dass es Leute gibt, die das tun.“
Bedrohungen aus der Szene
Allerdings glaubt Hartung, dass es Missbrauchsopfer innerhalb der Rapszene besonders schwer haben, solche Fälle öffentlich zu machen. In den vergangenen Jahren sei es immer wieder auch zu Bedrohungsszenarien von bekannten Rapgrößen gekommen. Im Falle der Terre-des-Femmes-Kampagne hatte Rapper Fler seinerzeit via Instagram sogar ein Kopfgeld auf eine der Frauen ausgesetzt.
Dass die Plattenfirma Universal nun bei einigen Rapsongs den Rotstift ansetzt, bewertet Hartung grundsätzlich als positiv, wobei man den Aspekt der Kunstfreiheit aber mitberücksichtigen müsse. Da viele Rapper eigene Labels hätten, liege die Verantwortung am Ende ohnehin bei den Künstlern selbst.
„Es gibt dieses großartige Format ‚Kinder fragen Rapper‘ von Klaas Heufer-Umlauf, in dem Rapper von Kindern auf ihre Songtexte angesprochen werden“, erklärt Hartung. „Darin ist zu sehen, dass sich alle Künstler vor den Kids massiv für ihre Texte schämen“ – am Ende würden sie aber trotzdem weiterhin derartige Songs produzieren.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Die grenzenlose Provokation sei keineswegs ein notwendiges Element für erfolgreiche Deutschrapsongs, glaubt Hartung. „Die Musikrichtung ist ja ganz anders entstanden und sie funktioniert auch ohne diese Grenzüberschreitungen.“ Irgendwann aber habe auch im Rap die Provokation gesiegt. „Das war auch bei anderen Musikrichtungen schon so, etwa beim Punk.“
Was bleibt vom Deutschrap-MeToo?
Dass sich durch die neue Debatte nun etwas ändern wird, bezweifelt Hartung. Zum einen, weil unter Künstlern und ihren Fans keinesfalls Konsens herrsche. Fler beispielsweise hatte nach den Vorwürfen gegen Samra geschrieben: „An jeden, der vorverurteilen muss: Einfach die Eier haben und denjenigen direkt anrufen! Oder Fresse halten!“ Auch das Statement von Massiv lässt erahnen, dass die von ihm erwähnte „momentanen Situation“ aus Sicht einiger Rapper am besten möglichst schnell wieder vorbeigeht.
Zum anderen befürchtet Hartung, dass das Geschäft mit dem Rap am Ende die Verantwortung überschatte. „Solange die Kasse klingelt, werden auch große Plattenfirmen weiter mit umstrittenen Rappen zusammenarbeiten“, vermutet Hartung. Die Deutschrapszene sei eine riesige Industrie.
„Ich befürchte, dass die Diskussion wieder abebbt.“ Es habe mal einen ähnlichen Fall gegeben, die Antisemitismusvorwürfe gegen Kollegah und Farid Bang, auch bekannt als Echo-Skandal. Darüber rede heute auch niemand mehr.