Die Afghanen, die Freiheit und Erdbeeren
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/CN6TXI4GLFFCTAE26CGAFBP6BY.png)
Waldimir Kaminer macht sich Gedanken über Afghanistan.
© Quelle: Hauke-Christian Dittrich/Dpa / Montage RND
Alle wussten, dass es passieren wird, und trotzdem kam es unerwartet. Eine von den Amerikanern ausgebildete Armee, mit Panzern und Flugzeugen ausgestattet und dem Feind zahlenmäßig um das Fünffache überlegen, löste sich innerhalb eines Tages auf, kaum haben ihre Ausbildende sie verlassen.
Der amerikanische Präsident sagte, er habe die Wehrhaftigkeit der afghanischen Armee überschätzt. Wie denn? Sie hat nicht einmal gekämpft.
Die Amerikaner haben viele Milliarden Dollar in dieses Land investiert, um dort eine freie demokratische Republik zu erschaffen. Das Geld wurde für sehr schöne Projekte ausgegeben, zum Beispiel Erdbeerplantagen am Hindukusch.
+++ Alle News zur Lage in Afghanistan finden Sie in unserem Liveblog +++
Die Afghanen sollten statt Mohn Erdbeeren pflanzen. Die Erdbeerexperten und -expertinnen wurden aus den Vereinigten Staaten eingeflogen, die den Einheimischen die Vorzüge der Erdbeerwirtschaft erklärten. Natürlich braucht eine solche Kultur viel Wasser und einen nicht zu steinigen Boden, aber die Idee an sich war schon schön – afghanische strawberry fields forever.
Mit Erstaunen stellten die Fachleute fest, dass die Einheimischen keine Erdbeeren mögen. Sie wollten sie weder pflanzen noch essen. Freiheit und Demokratie sind keine Exportwaren, sie riechen nach Schweiß, Blut und Tränen der Völker, die aufgestanden sind gegen die herrschende Tyrannei, sei es ein korruptes autokratisches Regime, eine kommunistische Diktatur oder eine Horde religiöser Fanatiker.
Das wissen meine Landsleute in Russland, in der Ukraine und in Belarus, das wissen die Bürger der ehemaligen DDR. Die Freiheit riecht nicht nach Erdbeeren.
Wladimir Kaminer schreibt jede Woche aus seinem Alltag als Schriftsteller – zwischen Moskau und Berlin.