Die etwas andere Berlinale: Man spricht deutsch
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5K3W6WRGGJGFXPAQ7Y37RAIE6U.jpg)
Mit der Berlinale findet eines der wichtigsten Filmfestivals der Welt vorerst online statt.
© Quelle: imago images/Hannelore Förster
Berlin. Sogar bei dieser rein digitalen März-Berlinale gibt es etwas, an dem man sich festhalten kann: Es besteht aus Baumwolle, hat zwei Henkel, und ein lilafarbener Bärenkopf ist quer drauf gedruckt. So sieht die offizielle Berlinale-Tragetasche 2021 aus.
Das Trostspendende dieses Accessoires kann jeder Festivalfreund ermessen: Tausende drängeln sich sonst mit den Beuteln durch die Stadt. Wer einen hat, gehört zum Club.
Zumindest die Berlinale-Tasche lässt sich zum Anfassen im Berlinale-Shop ordern. Die Berlinale-Filme dagegen gibt es diese Woche (1. bis 5. März) nur als Stream für Akkreditierte auf dem heimischen Monitor. Deutsche Beiträge spielen im Wettbewerb eine herausgehobene Rolle – vier von 15 stammen aus heimischer Produktion.
In Pandemiezeiten habe auch die Aussicht auf die im kommenden Juni geplanten Vorführungen deutsche Bewerber gelockt, hat Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek gesagt. Dann soll die Öffentlichkeit in den Genuss des Programms kommen. Publikumspremieren mit rotem Teppich und auf großer Leinwand: Das klingt nach all den Lockdownmonaten nach Verheißung.
Berlinale: Daniel Brühl feiert Regiepremiere
Einstweilen aber sitzt man zu Hause und schaut Filme, die außer der Jury niemand sehen kann – zum Beispiel den von Daniel Brühl. Für „Nebenan“ ist der Schauspieler erstmals auf den Regiestuhl gewechselt und hat noch dazu eine der beiden Hauptrollen übernommen. Seine Figur heißt Daniel und ist ein Filmstar.
Das Spiel mit Identitäten macht den Reiz des Eckkneipen-Kammerspiels aus (Drehbuch: Daniel Kehlmann). Daniel ist auf dem Weg zum Londoner Casting für einen Superheldenfilm. Der Zwischenstopp auf dem Weg zum Flughafen gerät zu einem existenzbedrohenden Erlebnis.
In seiner Stammkneipe hockt der ihm unbekannte Nachbar Bruno (Peter Kurth) – und weiß mehr über Daniel, als diesem lieb sein kann. Wir erleben in diesem reichlich konstruierten, aber spannendem Thekenduell die Demontage eines Selbstverliebten. Eben noch schaut Daniel in herablassender Tom-Cruise-Attitüde auf die ihn (vermeintlich) bewundernde Welt, und schon verlieren nicht nur seine Haare die Fasson. Über ost- und westdeutsche Lebensgefühle, Gentrifizierung und Verliererwut ist dabei eher nebenbei etwas zu erfahren.
Die Preisfrage lautet: Wie viel Daniel Brühl steckt im Kneipen-Daniel? Über eine deutlich größere Portion Selbstironie als seine Figur verfügt Brühl allemal.
Tom Schilling reist ins Berlin des Jahres 1931
Eine Zeitreise zurück ins Berlin des Jahres 1931 bietet diese seltsame Berlinale ebenso: Die Weimarer Republik windet sich im Überlebenskampf. Hunger und Elend hier, sexuelle Anarchie und politischer Extremismus dort. Klingt vertraut?
Moment, das ist jetzt nicht die die nächste Staffel des gigantischen Serienprojekts „Babylon Berlin“. Hier lässt sich ein bescheidener junger Mann mit Nachnamen Fabian (Tom Schilling) durch das Berliner Nachtleben treiben – Typ distanzierter Beobachter und deshalb zunächst gefeit vor Enttäuschungen, bis er sich verliebt.
Dominik Graf hat Erich Kästners 1931 erschienenen – teils autobiografischen – Roman „Fabian“ noch einmal verfilmt (nach Wolf Gremms Umsetzung von 1980). Und so reist er in die Vergangenheit: Quer durch einen U-Bahn-Station, bevölkert mit Fahrgästen unserer Gegenwart, folgen wir der Kamera. Auf der anderen Seite oben im Licht wartet der schwer atmende Fabian im Jahr 1931.
Graf hat einen beinahe spielerischen Ansatz gewählt: Dokumentarbilder vom einstigen Großstadtleben aus jener Zeit mischt er bei, die Leinwand splittet sich, einiges wirkt wie Kulisse. So lässt sich auch bei knappem Budget Zeitkolorit erzeugen.
Die deutlich stärkere Fokussierung auf die Liebesgeschichte mit Cornelia (Saskia Rosendahl) führt dazu, dass die eingestreuten politischen (und auch aktuellen) Bezüge angestrengt wirken. Grafs Coup ist Tom Schilling: Ihn kennen wir schon als begnadeten Berliner Drifter aus „Oh, Boy“ (2012).
Kann sich ein Mensch in einen Roboter verlieben?
So viele Filme fragen, ob ein Roboter einen Menschen lieben kann. Regisseurin Maria Schrader – gerade noch in Hollywood bei den Golden Globes mit ihrer Serie „Unorthodox“ dabei, wenn am Ende auch ohne Preis – fragt aus der umgekehrten Perspektive: Kann ein Mensch sich in einen Roboter verlieben?
Nicht, dass Alma (Maren Eggert) diese Absicht hätte. Sie soll ein ethisches Gutachten über eine Mensch-Roboter-Beziehung schreiben und bekommt für drei Wochen den auf sie programmierten Tom (Dan Stevens) ausgeliehen.
Alma ist eine skeptische Wissenschaftlerin. Aber Tom ist nach anfänglichen Kommunikationsproblemen zugewandter als jeder andere, nun ja, Mann in ihrem Leben.
Ist ein humanoider Roboter womöglich ein Ersatz für ungestillte Bedürfnisse? Oder handelt es sich lediglich um eine emotionale Krücke?
Die Tragikomödie „Ich bin dein Mensch“ ist tiefgründig, sanft und klug. Und vor allem: eine anrührende Geschichte über eine unmögliche Liebe. Oder ist sie womöglich gar nicht unmöglich?
Aus deutscher Sicht folgt im Wettbewerb nun nur noch Maria Speths Langzeitdoku „Herr Bachmann und seine Klasse“ über einen engagierten Lehrer in einer Migrantenschule. Jetzt ist erst mal der große Rest der Kinowelt digital zu Gast in Berlin.
Und wer unterdessen in Berlinale-Stimmung kommen will, kann sich im Berlinale-Shop neben Socken auch noch eine Atemmaske mit Bären-Aufdruck bestellen. Aber das Ding dürfte wohl ein Ladenhüter bleiben.