„Drei Zinnen“ – Am Berg muss man geborgen werden
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Auge in Auge: Aaron (Alexander Fehling) und Tristan (Arian Montgomery) testen, wie viel Nähe möglich ist.
© Quelle: Foto: NFP
Hannover. Über Stock und Stein bis an den Fuß der Drei Zinnen führt Aaron und Tristan die gemeinsame Wandertour. Wenn Tristan (Arian Montgomery) müde ist, trägt Aaron (Alexander Fehling) ihn kurzerhand auf seinen starken Schultern durchs karge Gebirge hoch über der Baumgrenze. Für Aaron ist das gar kein Problem. Er kann überhaupt viel, was ihn geradezu zum idealen Vater machen würde. Mit Aaron kann Tristan im Freibad unten im Tal Schabernack treiben, auf der Almhütte auf dem Harmonium musizieren oder auch einen halb umgestürzten Baum zerlegen, der ihre Behausung bedroht.
Die Berge laden zu symbolischen Aufladungen ein
Als die beiden schließlich vor dem majestätischen Gipfeltrio in den Dolomiten stehen und fasziniert zuschauen, wie die Morgensonne über den grauen Fels klettert, sagt Tristan beim Blick auf die Berge: „Das ist ja wie Papa, Mama, Kind.“ Nur dass Aaron eben nicht der Papa des achtjährigen Jungen ist. Jedenfalls nicht der biologische.
Um die Berge geht es in Jan Zabeils Drama „Drei Zinnen“ aber nicht an erster Stelle, auch wenn sie eine grandiose Kulisse bilden und zu symbolischen Aufladungen geradezu einladen. Im Vordergrund stehen die komplizierten Beziehungen einer Patchwork-Familie. Zwei Jahre zuvor hat Lea (Bérénice Bejo aus dem Oscar-Film „The Artist“) Tristans Vater für Aaron verlassen, sie scheint glücklich mit ihm zu sein – was auch umgekehrt genauso für ihn gilt.
Die Position im Dreierbündnis muss gefunden werden
Der Architekt ist sogar bereit, sein Leben in Deutschland aufzugeben und zu Lea nach Paris zu ziehen. Sogar über ein weiteres Kind wird schon vorsichtig geredet. Und doch müssen die drei ihre jeweilige Position im frisch geschlossenen Dreierbündnis erst noch finden. Oder es zumindest versuchen, denn unter der zunächst so harmonisch erscheinenden Oberfläche wachsen unmerklich die Spannungen.
Die Sache wird nicht unbedingt dadurch einfacher, dass der leibliche Vater gleich mehrfach am Tag auf Tristans Handy anruft und Lea der Ansicht ist, dass dem Abwesenden prinzipiell die Erzieherrolle gebührt. Was soll ihr Sohn Tristan also tun? Sich auf den Neuen einlassen? Oder soll er darauf hoffen, dass Mama sich doch noch besinnt und alles auf Anfang stellt, wie es ihm vermutlich am liebsten wäre? Und wie kann Aaron für den Achtjährigen da sein und sich letztlich doch nicht für ihn verantwortlich fühlen? Wie viel Nähe soll und darf er zulassen?
Mit einem schlichten Happy End ist nicht zu rechnen
Einmal, in einem der seltener werdenden Momente trauter Zweisamkeit, nennt Tristan Aaron ganz überraschend „Papa“. Aaron ist tief berührt. Aber er hat doch auch wahrgenommen, dass die Anrede aus dem Mund des Achtjährigen nurmehr wie ein Versuch geklungen hat, wie eine Art familiäres Probeabo. Entschieden ist damit noch nichts in diesem feinnervigen Familiendrama, in dem mit einem einfachen Happy End niemand rechnen sollte. Hoch konzentriert schält der Regisseur die sich durchaus auch widersprechenden Gefühle der Protagonisten heraus. Keiner ist sich hier seiner Sache wirklich sicher. Mit präzisen Strichen skizziert Zabeil die unsichtbaren Kräfte, die das Trio zunehmend auseinanderzudividieren drohen.
Besonders die männlichen Darsteller von Vater und Ziehsohn entfalten mit subtiler Brillanz den wachsenden Konflikt zwischen ihnen. Hier oben in den Bergen gibt es keine Ablenkung wie noch unten im Freibad. Hier muss man sich irgendwann mit dem eigenen Befinden auseinandersetzen und sich auch den eigenen Gefühlen stellen. Einen Rückzugsort gibt es nicht, was genauso für die beiden Erwachsenen gilt: Sex zum Beispiel wird für Aaron und Lea in der beengten Unterkunft zu einem schwierigen Unterfangen. Tristan könnte schließlich in jedem Moment aufwachen.
Dramatisches Ende in wildromantischer Natur
Schon einmal haben der Regisseur und sein Hauptdarsteller Alexander Fehling zusammengearbeitet. Das war in Zabeils stark improvisiertem Kinodebüt „Der Fluss war einst ein Mensch“, angesiedelt in der Wildnis Botswanas. Nun spielt das dramatische Ende ebenso in wildromantischer Natur.
Das Drama „Drei Zinnen“ wird tatsächlich noch zum Bergfilm, in dem es um Leben und Tod geht und Suchtrupps durch die karge Gerölllandschaft streifen. Aber auch in diesen Szenen verliert der Regisseur in keinem Moment die fragile familiäre Situation aus den Augen. In Fels gemeißelt ist bei Papa, Mama, Kind gar nichts.
Von Stefan Stosch / RND