Theaterpremiere

„Eigentlich müssten wir tanzen“ in Leipzig uraufgeführt

Felix Axel Preißler, Brian Völkner, Timo Fakhravar, Heiner Kock und Thomas Braungardt (v.l.) sind im Jenseits angekommen.

Felix Axel Preißler, Brian Völkner, Timo Fakhravar, Heiner Kock und Thomas Braungardt (v.l.) sind im Jenseits angekommen.

Leipzig. Auf dem Boden breitet sich das für Uneingeweihte sinnlose Muster bunter Linien aus. Zwei Basketballkörbe hängen an den Wänden. Aber die Feldbetten dazwischen lassen keinen Raum für Ballspiele. Turnhallen sind längst nicht mehr nur Turnhallen, sondern Krisenindikatoren. Und in der Turnhalle, in die sich die Bühne der Schauspiel-Diskothek verwandelt hat, stehen die Zeichen schlecht: Sie gleicht einem Evakuierungslager zum Auftakt von Heinz Helles „Eigentlich müssten wir tanzen“, das am Samstagabend Premiere feierte.

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Heinz Helles gleichnamiger Katastrophen-Roman schaffte es 2015 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Im Auftrag des Leipziger Schauspiels hat er die Theateradaption selbst verfasst, woraus Regisseur Daniel Foerster und sein Team zur Uraufführung ein apokalyptisches Kammerspiel gebastelt haben, gleichermaßen beklemmend und steril.

Fünf alte Freunde, längst im Erwachsenenleben als Architekt oder Versicherungsverkäufer angekommen, simulieren ihre Jugend und ziehen sich auf eine Berghütte zurück. Als sie zurückkehren, treffen sie auf Leichen, abgestürzte Hubschrauber, verlassene Staus. Ein Szenario aus Letzter-Mensch-Romanen. Sie durchwandern eine Welt, die sich in den Tagen ihrer Abwesenheit in einen leeren Ort verwandelt hat, entvölkert, geplündert, zerstört.

Das Publikum erlebt Golde, Fürst, Gruber, Drygalski und den Ich-Erzähler in eine post-katastrophische Laborsituation katapultiert. Laborhaft, denn es regt sich seltsamerweise keine Panik angesichts der Ausweglosigkeit, niemand forscht nach dem Grund der Katastrophe. Fast mechanisch vergewaltigt die Gruppe eine Sterbende. Ein verlassenes Kind finden sie später, beobachten es und lassen es zurück. Und irgendwann den ersten Freund, Fürst, der sich den Fuß bricht, nicht mehr weiter kann und zum Sterben liegen bleibt. Ganz ohne diese Halunken-Romantik der Westernfilme, in denen es dann heißt, „ihr müsst ohne mich weiterreiten“. Nein, kälter geht es hier zu, fast geschäftsmäßig, und die Politiker-Behauptung „alternativlos“ rauscht einem durch den Kopf. Ebenso die Frage, was die emotionslose Vermessung der Post-Apokalypse sein will: psychologische Realität oder Spiegel unserer Gesellschaft?

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Letzteres funktioniert passabel. Wenn einer der Freunde per Unfall aus dem Katastrophen-Jetzt gekegelt wird, bleibt er als Toter auf der Bühne präsent oder erzählt per Video aus dem Off von früher. Oder im Hintergrund der Turnhalle schwingt eine Tür auf und da wo sonst Mattenwagen und Barren stehen, findet sich dann überraschend das Innere einer Hütte. Immer wenn die zweite Ebene ins Spiel kommt, bietet die Bühne (Bühne und Kostüme von Mariam Haas und Lydia Huller) Überraschungen und wohltuende Variabilität. So gelingt es der Inszenierung, zwei Zeitebenen parallel zu führen. Und dabei schimmert unsere Gegenwart im Licht der Katastrophe schmucklos fahl. Etwa, wenn Brian Völkner als Versicherungs-Makler seinem Kunden Heiner Kock in einem witzigen Dialog die Betongold-Rentenversicherung andreht.

Die beiden Spielebenen verleihen dem Abend einen gelungenen Kontrast, doch Heiner Kock, Brian Völkner, Thomas Braungardt, Timo Fakhravar und Felix Axel Preißler werden über weite Strecken ins gängige Aufsage-Theater gezwungen, unter ihren spielerischen Möglichkeiten gehalten. So entstehen kaum Figuren mit Profil. Die Schauspieler erzählen, aber spielen nicht, was passiert – und so rührt die Beklemmung vor allem aus dem Text und weniger aus den Theatermitteln. Sie kommen kaum in den Dialog, während sie ihre Wanderung durch die Turnhalle fortsetzen. Zu selten stellt sich ein szenischer Moment berührend gegen den lakonischen Duktus. Etwa wenn Braungardt unbefangen zu hüpfen beginnt wie das Kind, dass die Männer zurücklassen, und damit die abhanden gekommene Empathie ausleuchtet. Oder wenn sich Felix Axel Preißler turnend im gleißenden Gegenlicht und vom Ventilator entfachten Federwirbel ins Jenseits verabschiedet. Ein Übergang, der etwas Tröstendes besitzt.

Wenn es um die gegenwärtige Krise der EU geht, dann ist stets zu hören, ihr Erfolg als Friedensprojekt reiche nicht mehr aus, um sie zu legitimieren. „Eigentlich müssten wir tanzen“ löst das Rätsel um die Katastrophe nicht, legt aber Spuren zum nächsten großen Krieg, erzählt von verminten Grenzen und eingeschlagenen Köpfen. Und wird damit im Subtext zur Mahnung gegen Kräfte, die in Europa nationale Egoismen befördern. Wenn, sagt Ich-Erzähler Fakhravar gegen Ende, nochmal ein ganz normaler Montag kommen sollte in seinem Leben, er springe beim Weckerklingeln aus dem Bett „wie das Sankt Petersburger Ballett“. Das Glück der Normalität ist erst vom Aussichtspunkt der Katastrophe als Glück zu erkennen.

Kommende Vorstellungen: 9. und 17. Feb., 20 Uhr; Schauspiel Leipzig, Karten: 0341 1268168

Von Dimo Riess

LVZ

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