Freiluft-Berlinale: Die Zuschauer sind die Stars
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Vor Beginn der Sommer-Berlinale sind die Plakate der Internationalen Filmfestspiele auf der Museumsinsel aufgebaut.
© Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Berlin. Vielleicht werden 65.000 Berlinale-Besucherinnen und ‑Besucher hinterher von einem Sommermärchen schwärmen – dieses Mal gemünzt aufs Kino und nicht auf die beinahe zeitgleich laufende Fußball-EM: Die am Mittwoch startenden 71. Internationalen Berliner Filmfestspiele haben das Zeug dazu. Sie finden – geboren aus der Corona-Not – auf 16 Freiluftleinwänden überall in der Stadt statt. Public Viewing mit Daniel Brühl und Meret Becker, mehr als 100 Filme in zwölf Tagen.
Vor ein paar Monaten musste die Berlinale-Leitung im dunkelsten Pandemiewinter eine Entscheidung darüber treffen, ob dieses Festival überhaupt stattfinden soll und kann. Es gehörte damals schon viel Fantasie dazu, sich ein Ende des Lockdowns und ein nennenswertes Publikum vor einer Kinoleinwand vorzustellen.
Berlinale im Freien: der denkbar beste Ort
Die neue Doppelspitze Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian jedoch hielt eisern an der Veranstaltung fest und erfand die zweigeteilte Berlinale: Fachbesucherinnen und -besucher sichteten schon im März die Kinowerke vor dem heimischen Computermonitor – auch damit die dem Festival angeschlossene Filmmesse Nachschub für Käufe und Verkäufe bekam. Das geneigte Publikum wurde in den Sommer vertröstet, in jene Jahreszeit, in der die Berlinale kurioserweise in den Fünfzigerjahren begonnen hatte, bis sie sich im Festivalkalender vor der Konkurrenz von Cannes und Venedig einen besseren Platz suchte.
Keiner wusste, ob diese Rechnung aufgehen würde. Und allein Chatrian und Rissenbeek wissen wohl, wie viele schlaflose Nächte ihnen ihr Verzweiflungsmut beschert hat. Noch bis ins Frühjahr hinein sah es nach einer Komplettabsage aus. Dann rettete sich die Berlinale in Absprache mit dem Berliner Senat ins Freie. Und nun scheint dies der denkbar beste Ort zu sein.
Zum ersten Mal ein Publikumspreis
Das Kino begibt sich stellvertretend für die gesamte Kultur auf die gerade wieder zum Leben erweckten Berliner Plätze. Mehr Mittendrin geht nach Monaten der Isolierung nicht, mehr Gemeinsamkeit (mit Testpflicht) auch nicht. Die großen internationalen Stars fehlen, aber das ist zu verschmerzen: Denn bei dieser Berlinale sind die Zuschauerinnen und Zuschauer die Stars. Ausnahmsweise hat die Berlinale denn auch einen Publikumspreis für den Wettbewerb ausgelobt.
Ausgerechnet das Kino, das sonst doch einer Höhlenerfahrung gleichkommt, lockt die Menschen nun hinaus nach draußen. Ob enthemmte Gesellschaftssatire aus Rumänien wie im Berlinale-Sieger „Bad Luck Banging or Loony Porn“, geisterhafte Mutter-Tochter-Geschichte aus Frankreich wie in „Petite Maman“ oder die Neuverfilmung des Erich-Kästner-Romans „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“: Viel Abwechslung bietet diese Berlinale. Wenn jetzt noch das Wetter mitspielt (und danach sieht es aus), dann dürfte sie die Lust aufs gemeinsame Kinoerlebnis schüren.
Ein guter Film braucht nicht unbedingt ein Happy End. Diese nervenzehrende Berlinale aber hätte sich eines in warmen Sommernächten redlich verdient.