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Aufwärmkonzert vor der großen Tour

Kopf hoch, tanzen! – Grönemeyer gibt Bremen ein grandioses Gefühl

Im ausverkauften Bremer Pier 2 gab Herbert Grönemeyer am 12. Mai ein unvergessliches Aufwärmkonzert für seine Tour (Symbolfoto).

Im ausverkauften Bremer Pier 2 gab Herbert Grönemeyer am 12. Mai ein unvergessliches Aufwärmkonzert für seine Tour (Symbolfoto).

Um 20.05 Uhr La Ola, um 20.12 Uhr dann großer Jubel, als Herbert Grönemeyer mit seiner Band die Bühne des Bremer Großclubs Pier 2 betritt. Fast drei Stunden wird diese erste Gröni-Show seit vier Jahren dauern, wieder und wieder werden an diesem Freitagabend (12. Mai) die glorreichen neun zu Zugaben auf die Bühne zurückgeholt – mit „Herbie! Herbie! Herbie!“-Rufen und lautstarken „Zeit, dass sich was dre-he-he-he-het“-Chorgesängen. Ein mitreißender Abend – oder, um es mit dem Titelsong des neuen Albums zu sagen: „Was ist los? Das ist, was ist really los!“

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„Die Welt dreht sich im Schleudergang“

Mit dieser NDW‑artigen Nummer startet das Aufwärmkonzert für die „Das ist los“-Tour, die dann am Dienstag in Kiel richtig losgeht. Ein Aufzählsong à la Billy Joels „We Didn‘t Start the Fire“. Wo der Amerikaner 1989 eine historische Nachkriegslitanei aus Popkultur und Politik­ereignissen nutzte, um das Gestern als Baustein der Zukunft zu er- und vermitteln, zieht der Deutsche im blauen Hemd und schwarzer Flatterhose in „Das ist los“ eine Horizontalbilanz des Heute: „Immer wieder Neuanfang / Die Welt dreht sich im Schleudergang“.

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Der Mensch von 2023 wird mit (Un-)Wichtigkeiten geflutet, Zeit zum Nachdenken bleibt im Gegenwartsprasseln kaum, und überall blühen Autokratie und Faschismus – „Orban, Le Pen, Ras-Putin, wer ist die nächste Killer-Queen?“. Und wo Joel Rock ‘n‘ Roll wählte, macht‘s Grönemeyer mit fröhlichem Synth-Country. Im Pier 2 würden die elektrischen Cowboys und Cowgirls wohl wie einst zu „Cotton-Eye Joe“ von Rednex Squaredance versuchen, wär‘s nicht viel zu kuschelig eng: „Was ist Kid – kriegst du noch was mit?“

„Das Programm eiert noch, aber für euch zu spielen ist herrlich“

„Wir sind relativ aufgekratzt“, gesteht Grönemeyer und zuweilen – es ist halt ein erster Abend – entsteht trotz Teleprompter schon mal ein kleines Textholperchen, schließen zwei Flügel der Band zum Vergnügen des Chefs einen Song verschieden ab. „Das Programm eiert noch“, räumt Herbie ein, „aber für euch zu spielen ist herrlich.“ Die Fan-Star-Bindung ist denn auch überwältigend. Kantig die Frisur, bauchig die Figur, das breiteste Lächeln im Gesicht – der Sänger könnte glücklicher nicht sein über dieses Publikum, das auch von ganz frischen Songs jede Zeile lauthals schmettert.

Und so lebt das neue Album in Bremen richtig hoch – stolze zwölf der 13 Lieder werden im Pier 2 gespielt. Zu Recht, denn sie haben durchweg das Zeug zu Grönemeyer-Klassikern – auch der einzige, warum auch immer unterschlagene Schlager namens „Genie“. Dominant sind Keyboardsounds. Da hört man Elektroharfen in „Herzhaft“ und im spät gereichten „Eleganz“ ploppt der Moog-Synthesizer jenen trockenen, ulkigen Ping-Pong-Sound in die Saalnacht, der vor mehr als 50 Jahren Hot Butters „Popcorn“ zum Nummer-eins-Hit machte: „Danke deinem Leben für die Zeit“, singt Grönemeyer, „dass es dir ab und zu die Hände reicht.“

Musik nur, wenn sie laut ist: Herbert Grönemeyer beim Aufwärmgig in Bremen – bevor es in der nächsten Woche in Kiel in die großen Hallen geht.

Musik nur, wenn sie laut ist: Herbert Grönemeyer beim Aufwärmgig in Bremen – bevor es in der nächsten Woche in Kiel in die großen Hallen geht.

„Das ist los“, erschien Ende März, ist auch ein „Alles wird gut“ für die durch krisenzermürbten, grundbeunruhigten Menschen. Es ist ein Tröster und Ermutiger – wie es Springsteens Album „The Rising“ vor 21 Jahren für das durch Nine-Eleven niedergeschlagene Amerika war. Und so ist diese Tourpremiere im Pier 2 auch ein Seelenaufwärmen über die volle Distanz, eine Art humanitärer Akt in Popmusik. Die Botschaften sind nicht unprätentiös, aber aufrichtig und frei von falschem Kitsch, sämtlich darauf gerichtet, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Deine Hand, sie schiebt in Liebe meine Hand an“ – eine Erinnerung daran, dass liebevolle Zweisamkeit alle Angst halbiert.

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Sowieso gilt immer noch: „All you need is love“! Auch wenn die Liebe nur noch Erinnerung ist, bleibt sie doch für immer – wie in „Urverlust“, der das Vermissen ähnlich tief erfasst und fassbar macht wie das immer noch bewegende Trauerlied „Der Weg“ für Grönemeyers verstorbene erste Frau Anna. „Tau“, im Refrain so traurig, als wär’s ein Stück von seinem Protegé Philipp Poisel, zieht sich in den Strophen aus der Schwermut und schließt mit dem surreal malerischen Bild: „An uns’rer Wolke lehnt ’ne Leiter.“ Ein Lovesong wie ein Seufzen – mit Worten, von denen keins alt, verbraucht und abgedroschen klingt, einer, der den ESC heute Abend mit links gewinnen würde.

„Ich bin berühmt für meine Tanzeinlagen“

Grönemeyer ist große Bühnen und Laufgänge gewohnt, die Rampe im Pier 2 findet er allzu schmal. „Ich bin berühmt für meine Tanzeinlagen“, sagt „Uns Herbie“, und groovt und twistet trotz der Enge, schüttelt zu „Angstfrei“ das Elvis-Bein, zelebriert zu „Herzhaft“ einen Schunkel-Move. Man fühlt sich aufgerichtet, aufgekratzt, bewegt, beflügelt, drei Stunden lang gibt‘s „Kopf hoch!“ und Tanzen! Den 16 Jahre alten Song spielt er in Bremen auch. Klingt wie Kraftwerks süßeste Stunde und rät einem nur Gutes: „Beschütze deine Seele vorm Ausverkauf / und heb dir das Beste nicht immer bis zuletzt auf.“

Und auch beim Singen ist alles beim Alten – von einem Wort lässt Herbert Grönemeyer sich dessen Betonung auch 2023 nicht vorschreiben. Das Versmaß ist das aller Dinge, da wird ein kurzer Vokal weit gedehnt, ein langer gekappt – jetzt seid mal flexibel, liebe Vokabeln. Überhaupt ist der Herbie-Soul einer der Selbstlaute, wahre Leidenschaft kennt keine Konsonanten. Und wenn der Augenblick es verlangt, dann zieht er eine englische Zeile ein: „Baby you wanna dance.“ Schon wieder tanzen. Gefühlt jeder zweite Song handelt davon.

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„Der Schlüssel“ ist eines für alle Geflüchteten, die ihre Normalität verlieren, im Fremden stranden. Auch sie werden einbezogen in Grönemeyers Schutzhülle, und er rühmt die Hilfsbereitschaft seiner Landsleute. Ebenso die jungen Klimakämpfer in „Oh Oh Oh“. Nichts und fast niemanden gibt er verloren, beharrend auf dem Utopia der besseren Welt: „Es braucht den nimmermüden Aufschrei, rüber in die neue Zeit.“ Für den russischen Diktator, der via Angriffskrieg seinen Weg in die Geschichtsbücher sucht, ändert er den Text seines Durchbruchsongs „Männer“: „Männer führen Kriege, Herr Putin!“

Herbert Grönemeyer im ausverkauften Bremer Pier 2 am Freitagabend.

Herbert Grönemeyer im ausverkauften Bremer Pier 2 am Freitagabend.

Mit „Immerfort“ endet der Reigen der Zugaben

„Mambo“, „Musik, nur wenn sie laut ist“, „Halt mich“, „Land unter“. Auch „Vollmond“ ist unter den Zugaben, der Werwolf bekommt seine Gitarren, rockt und rollt. „Uns Herbie“ ist in Bremen wie der gleichnamige VW‑Käfer aus den Disney-Filmen – er läuft und läuft und läuft, bis der glückselig Grinsende mit „Immerfort“ dann doch endet, unter dem tosenden Beifall seiner Fans. Was im Pier 2 jetzt really los ist?

Alles, was, respektive jeder, der nicht angebunden ist.

Herbert Grönemeyers Tourdaten Hallenkonzerte: 16.5.23 in Kiel, Wunderkind Arena; 18.5.23 in Hamburg, Barclays-Arena; 19.5.23 in Dortmund, Westfalenhalle; 21.5.23 in Berlin, Mercedes-Benz-Arena; 22.5.23 in Hannover, ZAG-Arena; 25.5.23 in München, Olympiahalle; 27.5.23 in Köln, Lanxess-Arena; 28.5.23 in Mannheim, SAP-Arena; 30.5.23 in Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Zusatzshows (Open-Air): 02.06.23 in Frankfurt, Deutsche-Bank-Park; 3.6.23 in Leipzig, Red-Bull-Arena; 5.6.23 in Berlin, Waldbühne Berlin; 9.6.23 in Gelsenkirchen, Veltins-Arena.

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Es gibt noch Tickets für alle Auftritte – bis auf die Hallenkonzerte in Dortmund und Köln und das erste Konzert auf der Berliner Waldbühne.

Herbert Grönemeyer – „Das ist los“ (Vertigo/Universal), neues Album, bereits erschienen

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