Pop 2020: Neue Alben von In Extremo, Nico Santos und Roger O’Donnell

Musik macht Corona-Zeiten erträglicher: Joan As Police Woman bietet ein Album extravaganter Coverversionen. Die Berliner In Extremo liefern besten Mitsingstoff aus der Folkpunkecke. Und während Chartstürmer Nico Santos auf seinem zweiten Album auch New Wave entdeckt, bringt Roger O’Donnell von der Wave-Band The Cure ein bezwingendes Album zwischen Songwriting und Klassik. Neues aus der Welt des Pop.

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Joan As Police Woman covert Prince und Strokes

Die Akustikgitarre klingt erst mal nach “Day Tripper” von den Beatles, ein ätherischer Gesang aber formuliert sogleich die ersten Zeilen von “Kiss”, dem möglicherweise “most sexy song ever”. Mehr als ein hustendes Schlagzeugbecken und ein wenig Handclapping ist auch fürderhin nicht zu hören in dieser betörenden Prince-Bearbeitung, die Joan Wasser alias Joan As Police Woman ihrer zweiten Fremdmaterialsammlung “Cover Two” voranstellt. Und weiter geht es mit ihrer Entdeckung der sinnlichen Langsamkeit (auf dem Cover erinnert die Amerikanerin in der feuerroten Zweithaut an Countryblondine Tanya Tucker von ihrem 1978er-Album “T.N.T.”) mit den Hörer geradezu ansaugenden Versionen von Songs wie “Out of Time” (Blur), “Life’s What You Make It” (Talk Talk), “I Keep Forgettin” (Michael McDonald) und “Under Control” von den Strokes, das sie zur Klavierballade umgestaltet. Eine stimmige Musiklandschaft, die man gerne wieder und wieder bereist. Die gewagteste von Wassers Neuinterpretationen fehlt hier allerdings – die des Beatles-Klassikers “Let It Be”, die klingt, als hätte man dem Lied – wie es in New-Wave-Zeiten die Düsseldorfer Fred Banana Combo mit den Beatles-Stücken “Yesterday” und “She Loves You” tat – eine neue Melodie verpasst. “Let It Be” findet sich nur auf der Beilagedisc der aktuellen Ausgabe des “Rolling Stone”.

Joan As Police Woman – “Cover Two” (Sweet Police/PIAS)

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In Extremo im Mai – Stoff für das Corona-Pogo-Solo zu Hause

Nicht wie Troubadoure aus Zeiten des Minnesangs, sondern wie Helden der Arbeit aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts wirken die alten Ritterrocker In Extremo auf dem Cover zu “Kompass zur Sonne”. Sie wollen, dass wir bei ihnen einsteigen, weil mit ihnen die Sonne aufgeht, gleichzeitig wollen sie unsere Türen eintreten und wofür bitte steht in dem Text von “Troja”, die mythische Stadt, die brennen soll? Das alles ist irgendwie nicht allzu plausibel, aber höchst druckvoll erbracht – mit (viel) Gitarren und den geliebten Sackpfeifen. Das von März auf Mai verschobene 13. Album der Berliner geht nach “Troja” mit dem hymnischen Titelsong weiter, der von der Ferne kündet, von Träumen, Sehnsuchtsorten, was gut zum Daheimherumflippen in Zeiten ist, in denen jede Reiselust ausgebremst ist. Aufbruch, Wagemut und kein Blick zurück, das “Narrenschiff” fährt ohne Wiederkehr, der “Würfelbecher bestimmt den Kurs”. Das ebenfalls vom Globetrotten handelnde, rasende “Gogiya mit Russkaja” dürfte in den Konzerten einer Zukunft, in der Berührung wieder erlaubt ist, für rabiate Pogo-Massentänze sorgen. Folkpunk mit Popnote ist das, von Sänger Michael “das letzte Einhorn” Rhein recht ruppig gesungen – sodass die Mehrzahl der Harten es noch ‘extremo’ genug findet, aber auch melodiös genug, damit die Freunde des Chartspop nicht gleich den Sender wechseln. Wobei man auch von In Extremo schon mal mehr bekommt als Lumpenlieder und “Biersegen”. Im “Lügenpack” etwa finden die Berliner Sieben die – freilich recht mittelalterliche – Lösung für die wahren Verbreiter von Fake News: Zunge abgeschnitten und aus der Stadt gejagt. Ratzfatz.

In Extremo – “Kompass zur Sonne”

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Mark Lanegan will nicht verlieren - und tut’s auch nicht

Es geht bei Mark Lanegan mit dem Lokomotivenshuffle des ersten Songs “I Wouldn’t Want to Say” in Abgründe, in ein Musikerleben, das sich an allerhand scharfen Kanten geschrammt hat, das von Spitzen verletzt wurde, und das nun auf einem Album erzählt wird, das nicht umsonst “Straight Songs of Sorrow” heißt. Lanegan war in den letzten großen Jahren des klassischen Rock’n‘Roll der Sänger der fleißigsten aller Grungetruppen, der Screaming Trees aus dem US-Bundesstaat Washington. Und er war nicht minder kreativ als Kollaborateur mit anderen Künstlern oder als Solokünstler auf so grandiosen Alben wie “Whiskey for The Holy Ghost” (1994) und “Somebody’s Knocking” (2019). Der Tod war in seinen Songs immer präsent, jetzt geht es um die eigene Sterblichkeit, um “Burying Grounds”, “Skeleton Keys” und in “Eden Lost And Found” (mit Grabkapellenorgel und Streichern) um verlorene Paradiese, aber mit der Aussicht auf Tageslicht und Überleben. Schmerzhafte, intensive Songs sind das, die zwischen Folk, Blues, New Wave, Elektro und Goth-Rock’n’Roll changieren und gern auch die Stile von Lanegans Karriere vermengen – wie in “Bleed All Over” oder der “Ballad of a Dying Rover”, bei der John Paul Jones von Led Zeppelin ein Mellotron psychedelisieren lässt. Schönster Song ist das mit seiner Frau Shelley Brien gesungene “This Game of Love”, in dem man die Melodie von Tim Hardins “If I Were a Carpenter” erkennen kann und in dem Lanegan versichert, diesmal nicht verlieren zu wollen, seinen Platz an der Sonne einnehmen zu werden. Geht das gut aus? Man traut sich kaum, den Song bis zum Ende zu hören. Man kann das auch umfassender als Buch lesen: “Sing Backwards And Weep” heißt der Titel von Lanegans am 30. April auf Englisch erschienenen Memoiren.

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Mark Lanegan – “Straight Songs of Sorrow” (Heavenly)

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Nico Santos hält musikalische Überraschungen bereit

Nico Santos präsentiert in dieser Woche seinen selbst betitelten Zweitling. Der 27-jährige Sänger, Produzent und Schauspieler aus Bremen, der in den Zehnerjahren mit Hip-Hop und House erst eine Szenegröße, dann ein Chartdarling wurde, hat so unterschiedliche Künstler wie Bushido, Mark Forster, Lena und Helene Fischer mit Hits beliefert. Mit dem Lena-Duett “Better” startet sein eigenes zweites Liederbuch. Textlich geht es dabei auf “Nico Santos” sehr persönlich zu, es geht – englischsprachig – um das Ende unendlich geglaubter Beziehungen, um Liebesleid und Neuanfang. Und wer da noch sagt, das ist so weit vom Schlager nicht, der ist doch spätestens angerührt, wenn er in der Pianoballade “Walk In Your Shoes” an einen im Teenageralter tödlich verunglückten Jugendfreund erinnert. Santos hat potenzielle Radiohits wie “Killing Me” oder “7 Days” im Angebot oder das sanfte “Low On Love”, die der Popformel für die Charts von 2020 entsprechen. Aber mit den Keyboards von “Nothing To Lose” erinnert er an die Zeit des elektronischen New Wave, als der zur New Romantic wurde – an Ultravox und Visage, und beweist, dass er nichts zu verlieren hat, wenn er sein Klangspektrum erweitert. Eine angenehme Überraschung. Wer hören will, wie andere Künstler seine Songs interpretieren – in der nächsten Woche sind seine Lieder in der Fremdsingshow “Sing meinen Song” dran.

Nico Santos – “Nico Santos”

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Cure-Keyboarder O’Donnell bringt Herbstmusik im Frühling

Roger O’Donnell kam mit seinen Keyboards 1987 zu The Cure, als die Wave-Band um den puppenhaften Genius Robert Smith mit “Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me” erstmals auch die Mainstreamdiskotheken eroberte. Heute gilt er längst als vollwertiges Mitglied, das seit einiger Zeit aber auch unter dem eigenen Namen Musik veröffentlicht. Er spielte Alben mit Moog-Synthesizer ein, schrieb eine Suite für das kanadische Corktown-Kammerorchester nach dem Gemälde “Bigger Trees Near Warter” von David Hockney und eine Komposition nach dem Leben des zornigen österreichischen Dichters und Theatermachers Thomas Bernhard. Der Londoner, der gegenwärtig an einem Ballett zu Oscar Wildes gesellschaftskritischem Schauerroman “Das Bildnis des Dorian Gray” arbeitet, wandelt auch auf seinem aktuellen Soloalbum “2 Ravens” zwischen Klassik und Populärmusik. Mit dem Instrumentalstück “December” geht das Album los, Celli und Klavier malen mitten im Frühling überwältigende Herbst- und Winterstimmungen, es ist ein pastorales, nicht nur von der Coverillustration grau gefärbtes Werk, das in der jahresendzeitlichen Einsamkeit direkt nach der Rückkehr von einer Tournee mit The Cure entstand. Ursprünglich als reines Instrumentalwerk geplant, erweist sich die Einbindung der amerikanischen Sängerin und Songwriterin Jen Pague (von der Band Vita And The Woolf) als glücklich und tröstlich zugleich. Denn erscheinen die Texte bei nackter Lektüre zuweilen auch banal wie in der Single “An Old Train”, wo die Sängerin unter den langen Sonnentagen in Alaska leidet (“I’m in an Alaska sun / fighting for what I can / I wake in the morning / sleep in the night”), erschafft ihre Stimme doch regelrecht Topografien der Melancholie und veredelt O’Donnells bislang betörendstes, zärtlichstes Album, das mit dem feenhaft gesungenen “I’ll Say Goodnight” von einer zartbitteren Songschönheit abgerundet wird.

Roger O’Donnell – “2 Ravens” (Caroline)

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American Aquarium glauben an den besseren Süden

Vom Ende des Patriotismus singt BJ Barham von der 2006 gegründeten Band American Aquarium aus North Carolina. Im Song “A Better South” erzählt er vom Stolz des Kindes auf die Heimat, bis es erkennt, dass der Wohlstand der Bessergestellten auf dem Rücken der Armen erwirtschaftet wurde, dass es Rassenhass gibt und dass der gesellschaftliche Fortschritt immer einer vorwärts und zwei zurück ist. “Ich bin krank und müde, der alten Generation zuzuhören”, singt Durham und beklagt die Ignoranz derer, die sich von Musik nur zerstreuen lassen wollen: “Sie sagen ‘Sing deine Lieder’ und halt deinen Mund, Junge.” Und trotzdem hört Barham nicht auf, “an einen besseren Süden” zu glauben. Dass die mit Countryflair bepackten Midtemposongs und Balladen auch anderswo als in Amerika funktionieren, liegt zuvörderst an der Stimme Barhams, die sich hörbar an Bruce Springsteen orientiert, an den Texten über Selbst- und Drogensucht, die selbst erlebt klingen und eben nicht nur den Albumtitel “Lamentations” erfüllen. Der Klasse der Melodien, deren Umsetzung durch die sechs Musiker an Bands wie die Eagles und Whiskeytown erinnert. “Ich bin hier für die lange Strecke”, heißt es in “The Long Haul”, und das ist durchaus eine Prognose für das Sextett aus Raligh. Einer Band, die sich nach einer Zeile aus “I Am Trying To Break Your Heart”, einem herzzereißenden Säufersong der großartigen Americana-and-more-Band Wilco benennt, sollte man sowieso sein geneigtes Ohr schenken.

American Aquarium – “Lamentations” (New West Records)

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Damien Jurados Gedanken zerbrechen Geschirr

Soundmäßig weit auseinander lagen die jüngsten Alben des Seattle-Songwriters Damien Jurado, der 2018 auf “The Horizon Just Laughed” mit opulenter Popmajestät aufwartete, ein Jahr später das äußerst spartanische Folkalbum “In The Shape of a Storm” folgen ließ. Das neueste, insgesamt 15. Studiowerk “What’s New, Tomboy?” ist irgendwo dazwischen und ein Ausbund an Sanftmut und tiefer Empfindsamkeit. Jurados Stimme ist rau und brüchig, dabei zugleich anheimelnd, wenn er in “Ochoa” seine Zuneigung zu seinem 2018 verstorbenen Freund und Songwriterkollegen Richard Swift ausdrückt oder im reichhaltiger instrumentierten, pittoresken “When You Were Few” von der seltsamen, befreienden und höchstselbst gemachten Erfahrung des Loswerdens aller überflüssigen Besitztümer erzählt – darunter waren sogar fünf seiner Gitarren. Die zehn Lieder hier (das Album ist schon nach einer halben Stunde an sein Ende gelangt) zählen zu Jurados schönsten und tröstlichsten, die Worte sind eindringlich und abgefahren, wenn er in “Fool Maria” singt, sein Kopf sei ein “müdes Erdbeben”, während seine Gedanken “Geschirr zerbrechen”. In diesem Song ist jemand “so still wie ein Flugzeug, bevor es den Berg trifft”. Wahrhaftig und rätselhaft zugleich ist auch vieles andere hier, und nicht umsonst sagt der 47-Jährige: “Ich glaube nicht, dass ich jemals weiß, was meine Lieder mir erzählen wollen. Normalerweise habe ich andere Leute, die mir das erklären.” Wir lassen uns was einfallen, Damien!

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Damien Jurado – “Whats New, Tomboy?” (Loose/Rough Trade)

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