R.E.M., Nirvana, U2: Die Klasse von 1991
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R.E.M. unplugged: Ein Auftritt der Band 1990, der 1991 ausgestrahlt wurde.
© Quelle: imago images/Everett Collection
Jede Geschichte hat ein Intro, und diese Geschichte beginnt mit einer Mandoline. Das Instrument aus der Familie der Lauteninstrumente hatte seine große Zeit im Barock, als Komponistensterne wie Vivaldi und Scarlatti Stücke für sie schrieben. Später entdeckten auch Beethoven, Händel und Mozart ihre positiven Saiten.
In der Pop- und Rockmusik des 20. Jahrhunderts hingegen blieb die Mandoline bis heute ein Außenseiter. Klar, es gibt Mike Oldfield auf „Tubular Bells“ und „Boat on the River“ der Band Styx, aber durchsetzen konnte sich die Mandoline zwischen Gitarre, Bass und Schlagzeug nie so richtig. Und deswegen schüttelten die Musikmanager von Warner 1991 auch vehement den Kopf, als vier US-Amerikaner aus Athens, Georgia, wollten, dass dieser Mandolinensong die erste Auskoppelung aus ihrem neuen Album „Out of Time“ wird. Eine Mandoline als Leadinstrument? Niemals.
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Weltberühmt durch „Losing My Religion“
Doch die vier US-Amerikaner, die sich seit 1980 R.E.M. nannten, blieben dabei: Ihr Stück „Losing My Religion“, das mit eben diesen unvergesslichen und unverwechselbaren Mandolinenakkorden beginnt, sollte ihre nächste Single werden. Sie setzten sich durch – und wurden durch diesen Song weltberühmt.
Oh, life is bigger, it’s bigger than you and you are not me.
Aus „Losing My Religion“ von R.E.M.
Gitarrist Peter Buck, Bassist Mike Mills, Schlagzeuger Bill Berry und Sänger Michael Stipe hatten sich Ende der Siebziger über Freunde und Freundesfreunde in Athens kennengelernt. Ihre ersten Alben waren in den Vereinigten Staaten recht schnell recht erfolgreich. Ihr Debüt „Murmur“ von 1983 (mit dem Song „Free Radio Europe“) landete auf Platz 36 der US-Charts, „Document“ (mit „It’s the End of the World as We Know It“ und „The One I Love“) von 1987 rangierte schon auf Platz zehn. Anfang der Neunziger galten sie bereits als „Amerikas beste Rockband“ („Rolling Stone“). Trotzdem blieben sie immer noch mehr Avantgarde als Mainstream, mehr Alternative Rock als Pop. Von einer Weltkarriere waren die Musiker, die sich eher zufällig nach der Schlafphase Rapid Eye Movement (REM) benannt hatten, noch weit entfernt.
Dann kam der 11. März 1991: „Out of Time“ erschien, und „Losing My Religion“ lief schon kurze Zeit später bei MTV in Heavy Rotation. Der Anteil des Songvideos, das der indische Künstler Tarsem Singh gedreht hatte, am Erfolg des Songs kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 18 Millionen Mal verkaufte sich das Album bis heute, es blieb 109 Wochen in den US-Charts und sogar 212 Wochen in den britischen. Mit „Shiny Happy People“ gelang den Musikern noch ein zweiter Riesenhit des Jahres. In Deutschland war dieser viel zu gut gelaunte Klatsch-Klatsch-Song erfolgreicher als „Losing My Religion“.
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Mit „Out of Time“ im Mainstream
Mit „Out of Time“ kamen die Alternative Rocker von R.E.M. im Mainstream an und wurden eine der erfolgreichsten Bands der Geschichte. Aber auch andere Sänger und Gruppen machten in diesem musikhistorisch enorm wichtigen Jahr 1991 einen tiefgreifenden Wandel durch. Wiederum andere veröffentlichten viel beachtete Debüts – und es entstand mit Grunge eine der wichtigsten Musikrichtungen des 20. Jahrhunderts.
1991 war ein Jahr des Aufbruchs, der Verwandlung, des Infragestellens. Die Sowjetunion löste sich auf, der Kalte Krieg war beendet, die alten Blöcke lösten sich auf. Die liberale Demokratie schien als Siegerin im Kampf der politischen Ideen hervorzugehen, 1992 verkündete der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das viel zitierte „Ende der Geschichte“. Damals glaubte man daran.
Die USA zogen in den zweiten Golfkrieg, auf dem Balkan begannen die postjugoslawischen Auseinandersetzungen, in Deutschland ließ die Euphorie der deutschen Einheit langsam nach (was Helmut Kohl spätestens merkte, als er in Halle mit einem Ei beworfen wurde). Auch wenn just in diesem Jahr die (verspätete) Wendehymne „Wind of Change“ der Scorpions erschien.
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U2 kamen mit „Achtung Baby“
In diesem Jahr der Unsicherheit und des Umbruchs orientierte sich so manche Band in die Geschmacksmitte, hin zum Mainstream. Metallica etwa spielten sich mit ihrem „Black Album“ zwar aus den Herzen mancher Hardcorefans, gewannen aber zahllose Verehrer hinzu. Vor allem mit epischen Songs wie „Nothing Else Matters“, „The Unforgiven“ und „Enter Sandman“ verabschiedeten sich die Musiker aus Kalifornien von ihren immer länger werdenden und immer mehr in Richtung Progressive Rock driftenden Songs. Stattdessen konzentrierten sich die Männer um James Hetfield und Lars Ulrich nun auf leichter konsumierbare Hardrockmusik.
U2 kam mit „Achtung Baby“ um die Ecke und blieb vor allem mit „One“ und „Mysterious Ways“ in Erinnerung. Auch dieses Album war eine Abkehr, ein Wegrudern von ihrem bisherigen Stil, der sich zuvor auf Alben wie „The Joshua Tree“ und „Rattle and Hum“ gezeigt hatte.
Guns N’Roses hingegen hatten die Chuzpe, nicht nur ein Album zu veröffentlichen, sondern gleich zwei. Zu den entscheidenden Fragen der Jugend gehörte damals nicht nur, ob Pelikan oder Geha der wahre Füller ist, ob Burger bei McDonald’s oder bei Burger King besser schmecken und ob Adidas oder Puma der coolere Schuh ist (wobei die Frage spätestens mit Michael Jordans erstem NBA-Titel beantwortet war: keiner von beiden), sondern auch: Ist „Use Your Illusion I“ oder „Use Your Illusion II“ die bessere Platte?
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Mit Nirvanas „Nevermind“ wurde Grunge zum Weltphänomen
Das wohl wichtigste Erbe dieses Musikjahres aber ist der Grunge. Mit Nirvanas bahnbrechendem Album „Nevermind“, das im September 1991 erschien, wurde er von einem Underground- zu einem Weltphänomen. Songs wie „Smells Like Teen Spirit“, „In Bloom“, „Come As You Are“, „Lithium“ und „Polly“ wurden zu Quelltropfen dieses neuen mitreißenden Stroms. Der Stil – ein bisschen Metal, ein bisschen Punk, ein bisschen Popsentimentalität – mit seiner Hauptstadt Seattle erwischte alle fünf Kontinente. Die Sänger, das war neu bei Bands wie Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden, wollten nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Die Musik sollte für sich sprechen, ein Anspruch, an dem vor allem Nirvana-Sänger Kurt Cobain zugrunde ging, als er immer mehr zum Helden einer ganzen Generation wurde. Am 5.April 1994 erschoss er sich.
Auch Soundgarden und Pearl Jam veröffentlichten 1991 neue Alben. Grunge wuchs von einer musikalischen Richtung zu einer ganzen Subkultur, Holzfällerhemd und Kinnbart wurden zum Code.
Ihre Debüts veröffentlichten in diesem außergewöhnlichen Jahr Bands wie die Smashing Pumpkins, die späteren Britpophelden Blur und die Trip-Hopper von Massive Attack. Das Trio aus Bristol kombinierte Hip-Hop mit Soul, Jazz und Dub. Von Bandmitglied Robert Del Naja, auch bekannt als 3D, hält sich hartnäckig das Gerücht, er sei der Street-Art-Künstler Banksy, dessen Identität noch immer nicht entschlüsselt ist.
Deutschland feierte „Die da!?!“
In Deutschland wiederum rappten vier Stuttgarter auf Deutsch, unerhört. Aber ihren Durchbruch konnten die Fantastischen Vier erst 1992 mit dem Nachfolger „4 gewinnt“ und dem Forever-Hit „Die da!?!“ feiern.
1991, das war auch das Jahr, in dem Queen mit „Innuendo“ ihr letztes Album mit Freddy Mercury veröffentlichten. Der Sänger starb am 24. November des Jahres. Die beiden Schweden von Roxette schufen mit „Joyride“ ihr drittes und bestes Album. Und Mark Hollis beerdigte seine Band Talk Talk mit einem Klangkosmos namens „Laughing Stock“.
Über das Musikjahr 1991 ließe sich noch viel mehr sagen, wir könnten noch über Element of Crime sprechen, die auf „Damals hinterm Mond“ erstmals komplett auf Deutsch sangen, über die Debütsingle von Blumfeld, über das wichtige MTV-Unplugged-Konzert von Paul McCartney, über das noch wichtigere Album der Red Hot Chili Peppers mit den Überhits „Give It Away“ und „Under the Bridge“. Es ginge immer noch mehr. Aber um es mit „Losing My Religion“ zu sagen: „I’ve said too much. I haven’t said enough.“