Rafael Seligmanns böser Zukunftsblick
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Gewiefter Satiriker: Der Politologe und Zeithistoriker Rafael Seligmann macht in seinem Roman „Deutsch meschugge“ den Quotenjuden einer rechtspopulistischen Partei zum Bundeskanzler.
© Quelle: picture alliance / dpa
Hannover. Deutschland in der zukünftigen Gegenwart. Wir schreiben das Jahr 2019. Die ewige Regierungschefin Hedwig Kleinert hat abgewirtschaftet. Zwar rettet sie in den Bundestagswahlen ihre Konservativen noch auf Platz eins der Wählerstimmen, doch dahinter kommt mit viel Dynamik schon die rechtspopulistische „Deutsch-Nationale Mehrheitspartei“. Die Partei mit ihrem neonazistischen Anführer Urban Hansen greift nach der Macht – und mit ihr der ehrgeizige hessische Landesvorsitzende, Paul Levite.
Eine Geschichte von Macht und ihren Versuchungen
Als Quotenjude soll er der Partei einen republikanischen Anstrich geben. Levite, barocker Genussmensch und unsteter Geist, gewinnt Gefallen an der Macht und entdeckt unerwartet macchiavellistische Züge an sich. Er putscht sich an die Spitze der Bewegung und wird schließlich Bundeskanzler, indem er ein Bündnis mit den DDR (Die Deutschen Realsozialisten) eingeht.
Seligmann, gewiefter Satiriker einer- und gefragter Politberater andererseits, erzählt eine Geschichte von der Macht und ihren Versuchungen, von Hybris und Selbstzweifeln und auch von den Brechungen einer jüdischen Identität im selbstgefälligen Deutschland der Jetztzeit. Fantasienamen für all die Merkels, Höckes, Gaucks und Wagenknechts, für die Linke und die AfD scheinen nur ausgewählt, um dem Buch die eine oder andere Unterlassungsklage zu ersparen. Denn egal, ob man „Deutsch meschugge“ jetzt als Satire oder als düstere Projektion deuten mag, die Handlung ist – bis auf das etwas zu kulminierte Ende – so frappant realistisch, dass während des Lesens ein Blick auf das eine oder andere Nachrichtenportal Entspannung verschafft: Nein, Merkel ist noch nicht Kleinert, der Präsident heißt Steinmeier und die AfD steht bei 6,5 Prozent in den Umfragen …
Buhlen um jüdische Bürger
Dass allerdings die AfD vermehrt um jüdische Bürger buhlt, deren berechtigte Angst vor islamistischen Radikalen schamlos ausbeutet so wie auch die jüdischen Mitglieder, die als demokratisches Feigenblättchen die teils offen neonazistischen Strukturen verhängen sollen – und dass es den einen oder anderen „Paul Levite“ in der AfD schon gibt, das war Rafael Seligmann nach eigener Aussage nicht bekannt.
Also hat ihn die Realität hier schon eingeholt – wenngleich die literarische Stärke des Buches vor allem in der fein durchbrochenen Schilderung des Menschen Levite liegt – eines selbstzweifelnden Polterers, der eigentlich von allen geliebt werden möchte und alle liebt. Vor allem alle Frauen. Und weil er den Schwung der ersten Verliebtheit niemals verlieren möchte, wechselt er die Damen auch, bevor sich nur ein Ansatz von Routine entwickeln kann. Diese private Unstetheit, die Seligmann mit spitzer Feder an den Rändern jüdischen Selbstmitleids entlang- und vorbeiführt, hat natürlich mit den Erlebnissen der Shoah zu tun, aus der sich auch Levites einziges moralisches Motiv speist: nie wieder wehrlos zu sein.
Vielschichtig verstörter Held
Die sensible Schilderung dieses so vielschichtig verstörten Helden ist für das Buch mindestens so wichtig wie die implizite politische Mahnung des Autors, die Demokratie im Lande sei nur ein dünner Firnis. Wer „Deutsch meschugge“ liest, wird um diese Erkenntnis nicht herumkommen – schon allein deshalb nicht, weil manches unnötig dick aufgetragen wird. Wieso bei der Rechtspartei permanent von Gauen und Reichsvorstand die Rede ist, erschließt sich überhaupt nicht, da die Strukturen ansonsten gänzlich unberührt bundesdeutsche sind. Da sind dem Lektor einige überflüssige Naziarabesken durchgerutscht. Sie allerdings trüben das Leseerlebnis kaum. Das könnte wohl nur die Realität, so sie denn das Buch überholen sollte …
Von Daniel Killy / RND