Open-Air-Konzert

60.000 Gäste genießen „Klassik Airleben“ im Leipziger Rosental

„Klassik airleben“ 2019 im Rosental in Leipzig. Tausende Leipziger Bürger kamen wieder zum Open-Air-Konzert des Gewandhausorchesters unter Leitung von Andris Nelson. Von links: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), seine Frau Annett Hofmann, Dirk Panter (SPD) und Justizminister Sebastian Gemkow (CDU)

„Klassik airleben“ 2019 im Rosental in Leipzig. Tausende Leipziger Bürger kamen wieder zum Open-Air-Konzert des Gewandhausorchesters unter Leitung von Andris Nelson. Von links: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), seine Frau Annett Hofmann, Dirk Panter (SPD) und Justizminister Sebastian Gemkow (CDU)

Leipzig. Groß sind die Unterschiede nicht zum Freitag: Es ist noch ein wenig wärmer, statt des Oberbürgermeisters Burkhard Jung und des Porsche-Chefs Oliver Blume begrüßen neben Gewandhausdirektor Andreas Schulz mit so erfreulich knappen wie warmen Worten der Landesvater Michael Kretschmer (CDU) und Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke das Publikum vor der grandiosen Kulisse des Rosentals. Kretschmer zieht sich danach wieder auf seine Decke im Publikum zurück, wo er mit seiner Lebensgefährtin Annett Hofmann, dem sächsischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Panter und Justiz-Minister Sebastian Gemkow (CDU) zwanglos einen schönen Abend verbringt. Um die Polit-Prominenz herum sitzen, liegen, stehen und hocken diesmal rund 35 000, 10 000 mehr also als am Vortag, und genießen ihr Picknick mit Klängen aus italienischen Opern.

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Nach hinten raus verändertes Programm

Auch die sind hinten raus ein wenig anders: Statt der Ausschnitte aus Puccinis „Madama Butterfly“ dirigiert Andris Nelsons das Intermezzo sinfonico aus Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und er begleitet seine Ex-Frau, die Sopranistin Kristine Opolais, bei der wunderbaren Arie „Ebben? Ne andrò lontana“ aus Alfredo Catalanis unterschätzter „La Wally“.

Durchsetzungsfähige Diva

Opolais ist hier daheim, bei dieser üppigen bis schwülen Sinnlichkeit, die bestens passt zur Sommernacht im Rosental. Seit Jean-Jacques Beineix’ Film „Diva“ hat beinahe jeder die herrliche Melodie im Ohr, und auch das Gewandhausorchester lässt mit Lust alle Hemmungen fahren, die Streicher schwelgen, das Holz glüht, das Blech prunkt, als gäbe es kein Morgen. Und Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons zeigt, warum er auch ein weltweit gefragter Operndirigent ist: Er trägt die Sänger auf Händen, lässt ihnen enorme Freiheiten und folgt ihnen dennoch sicher mit dem Orchester, das er geschmeidig hält und flexibel. So ist die musikalische Qualität trotz der nicht zu leugnenden Grobheiten der beeindruckend durchsetzungsfähigen Diva Opolais bemerkenswert hoch bei diesem Open-Air-Konzert. Gewiss auch ein Verdienst der erstklassigen Verstärkeranlage, die auch noch Details bis zu Emil-Fuchs-Straße trägt – und noch weiter ins Waldstraßenviertel hinein.

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Weltweit gefragter Operndirigent

Opolais zur Seite steht Thomas Hampson, der auch als Show-Moderator eine gute Figur macht. Als Amerikaner geizt er nicht mit Superlativen bei der Einordnung der Szenerie (fantastisch), des Gewandhausorchesters (weltweit einzigartig), der Opolais (dito) und ihres Ex-Gatten am Pult (sowieso), und als Sänger weiß er seine Kräfte und Stärken genau einzuschätzen und in Stellung zu bringen. Und so charmiert er sich nicht nur als Plauderer, sondern auch als Barbier wie als Polizeichef, Schelm und Schurke in die Herzen der Leipziger.

Schnell ins Ohr

Ein wunderbarer Sänger für einen solche „Italienische Opernnacht“ unter freiem Himmel – aber kein Tenor, was den Programmplanern die Chance nahm, die ganz großen Hits aus den einschlägigen Werken Puccinis und Verdis anzusetzen. Offenkundig verschmerzbar, denn die Ausschnitte, aus dem „Barbiere di Siviglia“, „La forza del destino“, „La traviata“, „Nabucco“, „Otello“, „Cavalleria rusticana“, „La Wally“ und „Tosca“, die vielleicht noch nicht jeder im Ohr hat, sie finden schnell hinein.

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Perfektes Timing

Das Timing jedenfalls war bereits am Freitag schon perfekt: Um 20.40 Uhr berührt die Sonne links vom Rosental erstmals die Baumkronen. Und auf der Bühne kippt beim Duett Violetta–Germont die Romanze in die Tragödie. Es folgt, während der Schatten der Dämmerung über die 25.000 im Rosental bis zum Zoofenster wandert, die Ouvertüre zur „Macht des Schicksals“. Und dieser Dreiklang aus Sonne, Leipzig und Verdi entwickelt eine Magie, der sich kaum jemand entziehen kann in Leipzigs schönstem Freiluft-Konzertsaal.

Nun ja – um ehrlich zu sein: So wenige sind es dann doch nicht, die sich mit erheblichem Gepäck, mit Picknick-Decken, mit Klappstühlen, Eiskühlern, mit ganzen aufwendig gedeckten Tafeln ins Rosental aufgemacht haben, um die einschließlich Zugaben knapp zwei Stunden des "Klassik airleben" beharrlich gegen die Musik anzubrüllen. Aber die weitaus meisten genießen diese "Italienische Opernnacht", mit der das Gewandhausorchester, sein Chef Andris Nelsons und die Solisten Kristine Opolais (Sopran) und Thomas Hampson (Bariton) sich am Freitag in die Spielzeitpause verabschiedeten – und es Samstag ein zweites Mal taten, womit sich die Besucherzahlen auf mehr als 60.000 erhöhte.

„Dieser Anblick ist überwältigend“, ruft Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender des Hauptsponsors Porsche, eine halbe Stunde zuvor zur Begrüßung ins gewaltige Publikum, und niemand mag ihm widersprechen. Von vorn nicht, wo von der Bühne bis zur Emil-Fuchs-Straße das Meer der Köpfe sich in der Unendlichkeit verliert. Und umgekehrt auch nicht, wo links die Sonne versinkt neben der Bühne am Zoofenster. Und es herrscht weiträumig Einigkeit darüber, dass das Wetter noch nie seit 2014, seit Beginn der dank Porsche eintrittsfreien Rosental-Konzerte also, so perfekt war wie in dieser traumschönen Sommernacht zwischen 25 und 21 lauen Graden.

Kristine Opolais als Sopranistin

Perfekt auch für die Ausschnitte aus italienischen Opern, die Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons für diesen Abend zusammengestellt hat. Von Mozart („La ci darem la mano“ aus „Don Giovanni“ im zweiteiligen Zugabenblock) über Rossini („Barbier“), Verdi („Nabucco“, „Forza del destino“, „Traviata“) bis Puccini („Butterfly“, „Tosca“, „Gianni Schicchi“) spannt sich der Bogen. Und das Gewandhausorchester und Andris Nelsons halten ihn über ziemlich genau zwei Stunden straff gespannt.

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Als Solisten sind Nelsons’ Ex-Gattin Kristine Opolais als Sopranistin und der nachgerade mythische Bariton Thomas Hampson von der Partie, der auch als Teilzeit-Moderator eine souveräne Leistung abliefert. Was diesen Sänger allerdings unter seinen vielen, vielen Fach-Kollegen hervorhebt, das kann er selbst in einem solchen Hit-Häppchen-Open-Air-Programm zeigen: Sein Macbeth und, mehr noch, sein Scarpia im zweiten „Tosca“-Act mit der Titelheldin Opolais, sie bündeln in wenigen magischen Tönen alle Zerrissenheit, alle Getriebenheit und Kraft dieser gewaltigen Opern-Charaktere. Und dennoch trägt Hampson nicht so dick auf, dass die Schönheit dieser Musik im Pathos sich verhedderte. Dass er dem „Barbier“ mittlerweile entwachsen ist – geschenkt. Dafür entschädigt die Lüsternheit seines Don Giovanni am anderen Ende des Programms allemal.

Beeindruckende Gesangsperformance

Kristine Opolais gibt an diesem perfekten Open-Air-Abend die perfekte Open-Air-Diva: Gewaltig sind ihre Töne, gewaltig ist ihr Pathos, gewaltig ist ihr Vibrato. Als Tosca am Rande der Vergewaltigung, als Violetta oder Leonora („La forza del destino“) am Rande des Nervenzusammenbruchs ist das gewaltig eindrucksvoll. Als naives Töchterlein in Puccinis „Gianni Schicchi“ klingt das in der ersten Zugabe gewaltig überreif – aber immer noch irgendwie eindrucksvoll.

Nicht so eindrucksvoll indes wie der sinnliche Furor, den Andris Nelsons, nachdem er zur Begrüßung lange das Wortquintett „Unser Oberbürgermeister und seine Familie“ hat suchen müssen, mit seinem Gewandhausorchester entfacht. Da zeigt sich selbst in diesem Rahmen, dass das größte Profi-Orchester der Welt auch ein fabelhaftes Opernorchester sein kann. Weil es unter Nelsons’ suggestiv die wuchernden Emotionen nachzeichnendem Schlag in wenigen Augenblicken ganze Bühnenwelten zu durcheilen vermag.

Die Dringlichkeit jedenfalls, mit der er unter freiem Himmel die geschmeidigen Psychogramme Mozarts, Rossinis, Verdis und Puccinis in Klänge gießt, sie ist deutlich genug für das riesige Areal des Rosentals. Aber sie ist auch subtil genug für die Herrlichkeiten dieser Musik. Zumal der Sound im Rosental überraschend filigran ist: Selbst ganz hinten flirren noch betörend die Stimmführungs-Details und Oberton-Zaubereien.

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Wer das alles kurzschließt mit dem perfekten Ort, dem perfekten Wetter und dem perfekten Programm, der erlebt erstens eine perfekte „Italienische Opernnacht“ und kommt zweitens gerne wieder. Die meisten der 60 000 die am Freitag und oder Samstag dabei waren, werden, ihr Jubel beweist es, jedenfalls mehr wollen. Sie bekommen es: Hauptsponsor Porsche hat bereits versprochen, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein,

Von Peter Korfmacher

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