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Bachfest Leipzig

„Best of Kantaten-Jahrgang 1“ mit der Gaechinger Cantorey unter Rademann

Hans-Christoph Rademann und seine Gaechinger Kantorei in der Nikolaikirche.

Hans-Christoph Rademann und seine Gaechinger Kantorei in der Nikolaikirche.

Leipzig. Die Schweizer von der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen haben den Reigen eröffnet, die Gaechinger Cantorey der Stuttgarter Bachakademie setzt ihn fort: Einen Zyklus der „besten“ Kantaten aus dem ersten Amtsjahr 1723 des größten aller Thomaskantoren. Den damit beauftragten maßgeblichen Dirigenten, allesamt mit Bachs Kantatenschaffen inwendigst vertraut und durch Gesamteinspielungen zu führenden Experten qualifiziert, war es von der Festivalleitung freigestellt worden, eine ganz persönlich Auswahl ihrer Favoriten zu programmieren.

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Während Rudolf Lutz augenzwinkernd wissen ließ, immer das Werk, das gerade zum Studium auf den Pulten liege, sei ihm das liebste, schweigt sich Hans-Christoph Rademann über die Beweggründe seiner Selektion aus. Immerhin ist mit „O Ewigkeit, du Donnerwort“ (BWV 60) eine der heißgeliebten und aus dem Gesamtkorpus herausragendsten Kantaten angesetzt. Die gläubige Seele ist, wie nicht selten in den barocken Texten, hin- und hergerissen zwischen „Furcht“ und „Hoffnung“, allegorisch zum Leben erweckt von Altus und Tenor. Aus der anfänglichen Frontstellung der beiden entfaltet sich ein regelrechter Schlagabtausch, der fiebrig-erregte Alt Benno Schachtners duelliert sich mit Benedikt Kristjánssons lyrisch strahlender, legatoweicher Tenorstimme, ehe Christus ein balsamisch-betörendes Machtwort spricht: „Seelig sind die Toten“, verkündet der Bass Tobias Berndts mit heroischer Festigkeit. Die Zeitgenossen dürften mit den Ohren geschlackert haben über so intensives Musiktheater, das ihnen da im Sonntagsgottesdienst des 07. November 1723 zur Glaubensertüchtigung geboten wurde.

Bach konnte auch anders

Bach konnte aber auch anders, seinen Schäflein nicht nur Töne des Trostes und der Zuversicht spenden, sondern ihnen in wüstesten Tonmalereien Angst machen vor dem Jüngsten Gericht: „Es reißet euch ein schrecklich Ende“ (BWV 90) verstört geradezu durch die ungestüm bis zur Geräuschhaftigkeit auffahrenden Streicherfiguren in der eröffnenden Tenor-Arie. Endgültige Besänftigung verschafft da erst der Schlusschoral „Leit uns mit deiner rechten Hand“, der dem Hörer im Trugschluss auf die Endsilbe von „selges Stundelein“ förmlich den harmonischen Grund unter den Füßen entzieht.

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Hier zeigt sich die besondere Qualität, die Chor und Orchester der Gaechinger Cantorey unter Rademann entwickelt haben, seit der gebürtige Dresdner dort 2013 die Bach-Instanz Hellmuth Rilling ablöste: Eine ausdrucksvolle wie natürliche Vergegenwärtigung des Textes paart sich mit einer äußerst stimmigen Balance aus emotionaler Wucht, Präzision und Transparenz. Jeder Affekt, jeder Stimmungswechsel ist auf den Punkt erfasst.

Vorbildlich ausgeglichenes Solistenensemble

„Historisch informiert – heute interpretiert“ hat Rademann seinen künstlerischen Ansatz einmal formuliert, was einen Hang zur dramatischen Zuspitzung und die Lust am barocken Überschwang nicht ausschließen soll. Beim Bachfest 2018 fungierte er als einer der vier Schmiede des sensationell erfolgreichen „Kantaten-Ring“ – neben dessen Initiator John Eliot Gardiner, Ton Koopman und Masaaki Suzuki. Mit den beiden letztgenannten wird es dieser Tage ein Wiederhören geben.

Damals wie heute beim Konzert in der voll besetzten Nikolaikirche kann Rademann sich auf ein vorbildlich ausgeglichenes Solistenensemble verlassen, zu dem Kristjánsson sehr kurzfristig eingesprungen ist, und das mit Catalina Bertucci komplettiert wird: In der Arie „Valet will ich dir geben“ aus „Christus, der ist mein Leben“ (BWV 95) verströmt sich ihr Sopran erstmals in schlichter, ungetrübter Schönheit, während die folgende bukolisch-delikat instrumentierte Tenor-Arie „Ach, schlage doch bald, selge Stunde“ das Sterbeglöckchen im Streicher-Pizzikato läuten lässt.

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Sowohl in BWV 95, das um die Themen Todessehnsucht und Auferstehung kreist, als auch in „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen“ (BWV 48) dominiert ein von Leid und Klage getragener Schmerzenston. Zu Bachs Lebzeiten omnipräsent, in unserer Gegenwart allzu gerne ausgeblendet. Rademann will augenscheinlich nicht zu gravitätisch enden, und stimmt nach stürmischem Schlussapplaus noch einmal den eingangs bereits intonierten Jubelchor „Nun ist das Heil und die Kraft“ (BWV 50) an.

LVZ

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