Christa Gottschalk ist tot – Nachruf auf eine Charakterdarstellerin von Format
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/46MHJU2Q5D2YB36G2ASXFUOLBI.jpg)
Die Leipziger Charakterdarstellerin Christa Gottschalk ist im Alter von 90 Jahren gestorben.
© Quelle: Volkmar Heinz
Leipzig. Im Dezember hatte Christa Gottschalk noch auf der Hinterbühne des Schauspielhauses mit Familie, Freunden, Kollegen und Publikum dank Intendant Emrico Lübbe ihren 90. Geburtstag gefeiert. Lebensfroh, geistig topfit und unvermindert sprachmächtig präsentierte sie sich ebenso wie bei ihrer Ehrung durch ihre Mit-Hausbewohner der Philipp-Rosenthal-Straße 66 Anfang Januar im Haus des Buches. Nun ist die Grande Dame des Leipziger Schauspiels unerwartet am Montag gestorben.
Als Schauspielerin wurde sie am 17. April 1948 in Leipzig mit dem Stück „Tiefe Wurzeln“ geboren. Da war die gebürtige Dessauerin 20 Jahre alt und hatte einst erleben müssen, wie die Bauhausstadt in Schutt und Asche gebombt worden war. Deshalb hasste sie ihr Leben lang Kriege und auch diejenigen, die sie unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung führen. Die junge Aktrice hatte sich bei der Lampenschirmfabrikation nützlich gemacht, um die Zuzugsgenehmigung in ihrer Heimatstadt zu erhalten, bevor sie die Schauspielklasse der messestädtischen Musikhochschule erfolgreich absolvierte.
Ihr Bühnenpartner war ein gewisser Karl Kayser, der später als Intendant und Regisseur ihre künstlerische Entwicklung fördern, aber auch einschränken sollte. Wie alle Anfängerinnen war die junge Frau trotz Hunger und Not euphorisch, wenn auch im Inneren sehr verletzlich; denn sie wollte so gern klein, schwarzhaarig und dunkeläugig temperamentvoll sein. So war sie erst einmal mehrfach das Goethesche Gretchen, ehe sie sich Shakespeares und Schillers Königinnen eroberte.
Stationen Berlin und Leipzig
Sie überzeugte als eine komödiantische Widerspenstige und reizvolle Beatrice, verblüffte als Brecht/Weills Spelunken-Jenny. Sie spielte Russinnen, Britinnen, Amerikanerinnen, Deutsche aus Vergangenheit und Gegenwart psychologisch genau und präzise. Auch wenn nicht immer alles gleichermaßen gelang. Die Künstlerin arbeitete sich von der Klassik über Revolutions- und Gegenwartsstücke zum psychologischen Realismus vor und verabschiedete sich 1995 als Winnie in „Glückliche Tage“ mit einer Rolle aus Becketts Theater des Absurden von der Bühne.
Regisseure wie Wolfgang Heinz, Heinar Kipphardt, Wolfgang Langhoff und Herwart Grosse formten sie am Deutschen Theater Berlin. In Leipzig, wo sie insgesamt mehr als vier Jahrzehnte wirkte und als eine der bevorzugten Protagonistinnen Karl Kaysers galt, gaben ihr unter anderem Hans Michael Richter, Gotthard Müller, Horst Smiszek und Heinrich Voigt die Chance, sich andere Rollenfächer zu erobern.
Bühnenpräsenz und Ausflüge in den Film
Neben ihrer Dauerpräsenz auf der Bühne lieh sie berühmten internationale Kollegen in deutschen Film-Fassungen ihre Stimme, spielte ein paar Rollen auf Bildschirm und Leinwand (Eigenkommentar: „Ich bin nicht besonders fotogen!“) und brachte über Jahrzehnte dem Nachwuchs die Ethik ihres Berufs und vor allem ihre exzellente Sprechtechnik bei.
Vor 52 Jahren wurde Christa Gottschalk Mutter. Und was für eine: allein erziehend. Sohn Christian hatte dadurch in ihr den besten, verständnisvollen und im Verstehen geübten guten Kameraden, den er sich wünschen konnte. Ihn trifft ihr unerwarteter Tod besonders schmerzlich.
Elegant und jung in ihren Ansichten
Und Christa Gottschalk als Frau? Bis zuletzt; Groß, schmal, elegant, mit tadelloser Haltung, eine Dame durch und durch. Sie wirkte immer locker und aufgeschlossen, ob man ihr nun im Supermarkt oder im Theaterfoyer begegnete. Sie formulierte vortrefflich, schrieb hervorragend - leider ist sie in ihren Aufzeichnungen nicht über ihre Jugend hinausgekommen. Sie las viel, diskutierte gern und war auch in ihren Ansichten ziemlich jung geblieben.
An Generationen von Nachwuchs hat die Schauspielerin ihre Erfahrungen weitergegeben. Eine von ihnen, Claudia Wenzel, die zurzeit wieder in Leipzig dreht, wollte die langjährige Freundin besuchen. „Noch will ich es nicht wahr haben, dass ich nicht mehr mit ihr sprechen, mich mit ihr über meine Rollen austauschen kann. Wir hatten uns auf ein erneutes Wiedersehen gefreut!“, sagte die Künstlerin mit den Tränen kämpfend.
Die große Liebe
Nun ist Christa Gottschalk hinüber gewechselt ins Nirvana. Die Erinnerung an ihre vorzügliche Darstellungskunst sowie ein paar Filme und Sychronrollen bleiben. Und falls es einen Künstler-Himmel gibt, wird sie hoffentlich dort ihre alte und ewige Liebe Willy A. Kleinau wieder treffen, mit dem sie vor sechs Jahrzehnten verunglückte und überlebte.
Von Rolf Richter