Der Herzens-Elektriker Housch-Ma-Housch ist zurück in Leipzig
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/XZX2B663QBVXNSRK2GTXFC5UDI.jpg)
Pannen-Magier und Herzens-Elektriker, Trash-Poet und Philosoph des „Kaputt“: Housch-ma-Housch (alias Semen Shuster).
© Quelle: Andre Kempner
Leipzig. Eigentlich ist es ganz einfach: Da dreht sich der traurige Fisch aus der Leinwand mit dem bezaubernden Animationsfilm in den Saal, beginnt zu lächeln – und erobert die dritte Dimension, als aufgeblasene Drohne über den Köpfen des Publikums schwebend. So banal wie poetisch – und tatsächlich erinnern seine Züge ein wenig an die des Semen Shuster. Der ist im Leipziger Krystallpalast-Varieté seit 17 Jahren als Housch-Ma-Housch bekannt, hat seither als so schräger wie subtiler, so zärtlicher wie brachialer Clown die Welt erobert und steht im Zentrum der aktuellen Show des Krystallpalast-Varietés.
Von der Leinwand in die Wirklichkeit
Die feierte nun Premiere und heißt, weil Housch-Ma-Housch endlich zurück ist nach seinen einschlägigen Stationen: „Comeback. Paris – Monte Carlo – Leipzig.“ Da versteht es sich beinahe von selbst, dass Regisseur Urs Jäckle die knapp zwei Brutto-Stunden liebevoll herumdrapiert hat um den zwischenzeitlichen Genre-Star. Und der bleibt sich und seinem Ruf nichts schuldig: Als Kunstfigur, die von der Leinwand in die Wirklichkeit schwappt, als schräger Animateur, der das Publikum um den kleinen Finger wickelt, als Pannen-Magier und Herzens-Elektriker, als Trash-Poet und Philosoph des „Kaputt“.
Nostalgische Stille
Das ist alles nicht neu, schon gar nicht bahnbrechend oder visionär, sondern bezieht seinen betörenden Charme gerade aus seiner nostalgischen Stille und erreicht das Gemüt darum viel schneller als jeder krachlederne Humor-Effekt. Und genau darum ist Housch-Ma-Housch der perfekte rote Faden für diese wunderbare Krystallpalast-Show.
Den Nerz nach innen tragen
Denn auch die trägt ihren Nerz nach innen: Je verhaltener, leiser, subtiler die Akrobaten zwischen Housch-Ma-Houschs beinahe wortlosen Conferencen sich präsentieren, desto spektakulärer sind sie bei genauerem Hinsehen – abgesehen von der rustikalen bis billigen Besoffenen-Persiflage Sergey Koblikovs aus der Ukraine, die mit ihrer klamaukigen Billigkeit der Dramaturgie des ohnehin schwächeren zweiten Teils vollends die Beine wegtritt.
Das Bessere ist des guten verlässlicher Feind
Das ist doppelt ärgerlich, weil dieser Koblikov in der ersten Halbzeit mit drei Zigarren-Kisten jenseits der Schwerkraft für einen kleinen stillen Höhepunkt der Show gut ist, der sich nur deswegen nicht nachhaltiger in die Netzhaut und ins Bewusstsein brennt, weil der Rest vom Fest dem Motto folgt, dass das Bessere des Guten verlässlicher Feind ist.
Kreisende Teppiche
Vanessa Alvarez aus Spanien beispielsweise, die zu feurigem musikalischem Olé auf Füßen und Händen bis zu vier kreisende Teppiche durch die Luft fliegen lässt und zur Not auch mal eine Gitarre. Oder Mushegh Khachatryan, der erste Armene auf der Krystallpalast-Bühne, der nicht nur auf dem höchsten jemals gefahrenen Einrad der Akrobatik-Geschichte beeindruckt.
Offene Münder
Auch Charlotte de la Bretèque aus Frankreich macht nicht viel Aufhebens um ihr spektakuläres Können. An den „Multicordes“ bewegt sie sich lächelnd und in elfenhafter Leichtigkeit durch die Dimensionen, als habe die Gravitation für sie alle Gültigkeit verloren. Zu „Smoke Gets in Your Eyes“ und „Mylord“ schwebt und walkt sie so selbstverständlich an den dünnen Seilen ihres Akrobatik-Vorhangs hinauf und hinab, dass die Münder im Saal staunend offen bleiben.
Der Sonne entgegen
Bei Sascha und Vlad, ebenfalls aus der Ukraine, können sie gleich offen bleiben. „Ikarische Spiele“ heißt die Akrobatik, der sie sich widmen. Nach Ikarus, der der Sonne entgegenflog. Da lässt der eine den anderen auf den Füßen wirbeln und fliegen und kreisen und saltieren und rotieren – lächelnd, als sei dieses halsbrecherische Durchmessen des Raums, die natürlichste Fortbewegung der Welt.
Feinsinnige Grandezza
Übertroffen wird das nur noch durch die Ganzkörper-Jonglage Alexander Koblikovs (ebenfalls aus der Ukraine). Auf den ersten Bock lässt der geschmeidig Billardkugeln auf seinem Armen und über seinen von einer Matrosen-Mütze gekrönten Kopf hin und her gleiten. Auf den zweiten jongliert er ziemlich gekonnt. Auf den dritten indes ist das, was er da macht rekordverdächtig: Jonglage mit zehn Kugeln zugleich, das ist selbst auf der Krystallpalast-Bühne noch etwas Besonderes. Und dass diese Sensation so unprätentiös vorgetragen wird, als sei diese Fertigkeit im Grunde ganz normal, das fügt sich wunderbar in die feinsinnige Grandezza der ausführlich bejubelten neuen Krystallpalast-Neuproduktion „Comeback. Paris – Monte Carlo – Leipzig.“
Bis 29. Juni, Karten (6 bis 45 Euro, Menü plus 22 Euro für zwei und 30 für drei Gänge) und Infos u.a. bei der Ticketgalerie im LVZ Foyer, Peterssteinweg 19, im Barthels Hof, Hainstr. 1, in unseren Geschäftsstellen, über die gebührenfreie Tickethotline 0800 2181050 unter www.ticketgalerie.de, unter Tel. 0341 140660 oder auf www.krystallpalastvariete.de
Von Peter Korfmacher