Einfach, aber genial: AnnenMayKantereit in der Arena Leipzig
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AnnenMayKantereit haben am Sonntag in der Arena Leipzig vor 12 000 Zuschauern gespielt.
© Quelle: Dirk Knofe
Leipzig. Club-Atmosphäre XXL: Die Kölner Band AnnenMayKantereit elektrisierte am Sonntagabend in der Arena Leipzig 12 000 Zuschauer. Ausverkauft! Da war selbst Frontman Henning May derart baff, dass er für eine gewisse Nervosität um Entschuldigung bat. Musste er aber gar nicht.
Bedenkt man allerdings, wo die 2011 gegründete Band in ihren Anfängen auftrat, leuchtet diese Demut doch ein wenig ein. Von der einstigen Club- und Vor-Band mauserten sich die fünf Musiker in den vergangenen Jahren zum poppigen Alltagsbeobachter der jungen Generation. Und zwar mit textlichem Scharfblick für Lebensfragen.
Etwas wummerig
Dass es auch anderen so ergehen könnte, beweist die tadellose Vorband Giant Rooks aus Berlin, 2014 gegründet. Die fünf an Gitarren und Percussion fädeln den Abend mit einem in seiner Song-Dramaturgie perfekt getimten Indie-Pop ein. Da scheint das „giant“ nicht übertrieben, wenn sie mit vitaler Spielfreude Lust machen auf das baldige Wiedersehen nicht nur mit dem energiegeladenen Sänger Ferderik Rabe im Leipziger Täubchenthal. Am 14. Mai machen so dort auf ihrer „Wild Stare“-Tour Station.
Zurück zu AnnenMayKantereit und einem Publikum, das gespannt wartet, welche "Schlagschatten" die Band mit ihrem gleichnamigen neuen Album wirft. Der Auftakt im Halbdunkel gerät etwas wummerig, vor lauter Bassstärke verliert sich Henning Mays so sehnsüchtig erwartete Rauheit. Schade, denn durch die immense Verstärkung schluckt die Arena das Intime der Intros "Marie" und "Nur wegen dir" fast völlig. Dennoch kreischen hier schon manche Mädchenstimmen
Ungemein wirkungsvoll
Nachdem die Jungs die Zahl der Menschen vor ihnen verdaut haben, kommen die Gitarren-Sequenzen und Henning Mays charaktervolle Stimme viel besser hörbar gegen die Percussions an. Nun endlich beginnt der Abend zu glänzen, und das nicht nur aus den Scheinwerferorgeln, sondern aus der Musik heraus. Die Bühnenrückwand öffnet sich für ein riesiges, abgeschrägtes Paneel mit tausenden weißen Papierblättern – Projektionsfläche für die kommenden Song-Szenerien. Einfach, aber genial und ungemein wirkungsvoll: Die „Weiße Wand“ zum gleichnamigen Song, der gesellschaftspolitischen Zuständen unserer Zeit nachspürt.
Es ist, als befeuert dieser Einfall die Funken, welche nun zwischen den wippenden Händen der Menge und den vier Bandmitgliedern hin und her sprühen. Den Steilpass der „Weißen Wand“ verwandelt Henning May schließlich geschickt in der eindringlichen Botschaft abseits des Trällerns an das größtenteils junge Publikum, dem ein offenes Europa zur Selbstverständlichkeit geworden ist, die baldige Europawahl wahrzunehmen.
Gut tanzbarer Indie-Style
Satz und Sieg für die Kölner. Eine Band für Europa mit einem erfrischenden politisches Statement in diesen Tagen. Und musikalisch reichen die Musiker natürlich in etwas mehr als anderthalb Stunden das Lebensalltägliche mit feinstem Schliff für das Dazwischen. Vertraut – aber niemals abgegriffen.
Verblüffend, wie gut sich „Sieben Jahre“, „Vielleicht vielleicht“ oder „Du bist anders“ auch für die große Halle eignen. Henning Mays melancholisch-lebenserfahren vorgetragene Songtexte gehen dem Herzen nah. Gewohnt lässig und bei jedem Zupfen, jedem durchdachten Textwort regt er mit viel Hingabe und raubeinigem Timbre auch seine jungen Kollegen auf der Bühne zum Zelebrieren ihres gut tanzbaren Indie-Styles an.
AnnenMayKantereit nehmen das Leipziger Publikum für sich ein, das berührt lauscht, wenn May sich ans Piano setzt. Ganz dem Album folgend geht’s nach Haus: Diese Partygarantie mit Köpfchen „kriegst du aus dem Herzen nicht mehr raus“.
Von Torsten Fischer