Starkes Duo: „Die Präsidentinnen“ überzeugen in der Leipziger Schaubühne Lindenfels
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Szenische Lesung „Die Präsidentinnen" mit Barbara Petritsch und Nikolaus Habjan in der Schaubühne Lindenfels.
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Österreich wird Gastland der diesjährigen Leipziger Buchmesse (27. bis 30. April). Und die Schaubühne Lindenfels so etwas wie die Österreich-Zentrale in der Stadt. Dort, aber auch an anderen Leipziger Kulturhäusern, setzt die Kunst des Alpenlandes schon Wochen vor der eigentlichen Buch-Show Akzente. Was als Konzept nachhaltiger sei, als nur während der „drei, vier Messetage reinzubuttern“, wie Katja Gasser sagt, die künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts.
Dabei spielt nicht nur das Buch, sondern auch das Theater eine Rolle. So vergangene Woche am Schauspiel Leipzig, als in Kooperation mit den Wortstätten Wien die junge Dramatik im Mittelpunkt stand. Oder zuletzt am Wochenende im Saal der Schaubühne Lindenfels.
Eigenwillig-derbe Kunstsprache Werner Schwabs
Nikolaus Habjan fährt die Stimme eine halbe Oktave nach oben und gestikuliert rhythmisch jedem Wort hinterher. Barbara Petritsch singt, lacht und fällt im Finale, nachdem sich der Einbildungsrausch verzogen hat, in sich zusammen. Zwei herausragende Theaterkünstler tauchen hier ein in Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“, umgesetzt als szenische Lesung. Was im Gegensatz zu mancher Inszenierung den Vorteil hat, dass der Fokus ganz auf der eigenwillig-derben Kunstsprache Schwabs liegt, die das Duo fast plastisch herausarbeitet.
Petritsch, Schauspielerin am Wiener Burgtheater, ist auch aus etlichen Film- und Fernsehproduktionen bekannt. Habjan, in Leipzig dank vieler Einladungen zur euro-scene im Gedächtnis, zählt als Puppenspieler, Opernregisseur und vielseitiger Theatermacher zu den auffälligsten Künstlern Österreichs. Zusammen brillieren sie in drei Rollen: Erna, Grete, Mariedl. Verarmtes Kleinbürgertum voller Selbsthass, enttäuschter Lebenshoffnung und Katholizismus. Man redet, redet sich heraus, stichelt und beschimpft einander. „Du hitlerische Hur’“, sagt Erna. „Was weißt du von den Nazis“, antwortet Grete und verteidigt noch den Ex-Mann, der die eigene Tochter vergewaltigt hat. Man müsse ihn verstehen, den ehemaligen Soldaten, der doch so eine „Siegeslust“ aus dem Krieg mitbrachte.
Gesellschaft, Staat und Kirche
Es geht derb zu, inhaltlich und sprachlich mit all den „Scheißhaufen“ von denen die Rede ist. Mariedl berauscht sich mit quasi-religiöser Inbrunst an ihrer Tätigkeit, verstopfte Aborte zu entpfropfen. Heiligenschein und Jauche liegen nah beieinander. Die Tagträume der drei steigern sich in einen Rausch. Die Ernüchterung ist schmerzhaft. Wobei Schwab dabei keine Unterklassen-Schelte betreibt, sondern alles an Bigotterie und Scheinheiligkeit rückblendet auf Gesellschaft, Staat und Kirche.
Wenn es um die spezifische Attribute österreichischer Literatur geht, werden oft abgründiger Witz und ein Hang zur Depression genannt. Beides liefert Schwab in Extremform. Nach der szenischen Lesung bringt der Gastlandauftritt auch noch eine richtige Inszenierung mit: Am 1. April, 19.30 Uhr, zeigt das Burgtheater „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ von Marianne Fritz in der Regie von Bastian Kraft am Schauspiel. Am Abend zuvor lesen dort um 20 Uhr Bettina Schmidt und Andreas Keller aus dem Briefwechsel zwischen Marianne Fritz und Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld.
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In der Schaubühne Lindenfels läuft zum Buchmessen-Countdown eine Reihe mit Verfilmungen österreichischer Literatur. Am 18. April etwa nähert sich das Porträt „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ der Nobelpreisträgerin. Am 24. April widmet sich die Doku „Bin im Wald – kann sein, dass ich mich verspäte“ Peter Handke.
Info: Gastland-Programm auf gastland-leipzig23.at.
LVZ