Katie Melua vor dem Leipzig-Konzert: „Die Musikindustrie kann ein Biest sein“
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Katie Melua im Sommer 2016 bei ihrem letzten Konzert auf der Parkbühne im Zetkinpark.
© Quelle: André Kempner
In Großbritannien, wo Sie leben, ist das Thema Heimat gerade sehr präsent. Selbst sind Sie als Kind mit ihrer Familie von Georgien erst nach Belfast und später nach London gezogen. Was bedeutet Heimat für Sie?
In Georgien bin ich aufgewachsen, von dort stammt meine Familie. Ich war neun, als wir fortgezogen sind – aber noch immer hat georgische Musik auf mich einen fast körperlichen Effekt und rührt etwas in mir an. Ich glaube, das ist ein Zeichen, dass ich in meiner rohesten Form dort hingehöre. Trotzdem bin ich in England erzogen worden. Ich denke und rede auf Englisch und ich liebe London. Diese zwei Orte sind so gegensätzlich, aber zugehörig fühle ich mich beiden. Und weil ich so viel reise, sehe ich mich außerdem als Europäerin.
Trotz des nahenden Brexit?
Oh weh. Das Thema ist verwirrend. Niemand weiß etwas Genaues, ich bin mir gar nicht sicher, wo wir gerade stehen. Aber ich denke, wie auch immer es ausgeht: Das Wesentliche – die Beziehungen zwischen den Menschen in Europa – wird sich nicht verändern. Und im Musikbusiness werden wir mit den bürokratischen Hürden schon fertig. Je nachdem, welche Entscheidungen die Politik trifft. Vielleicht werde ich diesen Sommer auf meine erste Tour nach dem Brexit gehen. Vielleicht aber auch nicht. Es gibt so viel Schönes, das uns verbindet. So viel Geschichte, Liebe und Freundschaft. Das kann nicht einfach weggewischt werden.
Eine besondere Verbindung haben Sie auch zu der Stadt Tiflis, in der Sie aufgewachsen sind. Dort sind Sie letztes Jahr zur Ehrenbürgerin erklärt worden.
Oh ja, das war großartig. Ich war dort eingeladen und habe an meinem Geburtstag ein Konzert gegeben – so konnte ich auch mit meiner Familie zusammen sein. Aus dem ganzen Land sind die Menschen gekommen, das war ein tolles Gefühl. Georgien ist ja sehr klein und hat in den 90ern sehr unter dem Zusammenbruch der Sowjetunion gelitten. Es hat eine Weile gedauert, bis es wieder auf die Füße gekommen ist, aber in den letzten 20 Jahren ist viel passiert. Ich weiß nicht, was es genau bedeutet, eine Ehrenbürgerin zu sein, oder ob der Schlüssel der Stadt irgendeine praktische Funktion hat. Aber ich bin sehr stolz und glücklich, dass ich ihn habe. Die Geste hat mich sehr berührt. Seit meinem Album „In Winter“ sehe ich mein Geburtsland sowieso nochmal mit ganz anderen Augen ...
Inwiefern?
Meine Familie und ich fahren fast jedes Jahr dorthin in den Urlaub. Vielleicht ist Georgien deshalb immer der Ort meiner Kindheit für mich geblieben, den ich dementsprechend mit dem Blick meiner Familie wahrgenommen habe. Das Winter-Album habe ich mit dem Gori-Frauenchor zusammen aufgenommen. Das war das erste Mal, dass ich in Georgien Künstler getroffen habe. Vor vier Jahren, als wir die Lieder einstudiert haben, hat sich die Szene gerade erst entwickelt, und noch immer ist es für Künstler schwierig, Arbeit zu finden. Trotzdem tut sich viel. Für mich als Außenstehende aus dem Westen war es sehr bewegend, ihre Philosophie und ihre Leidenschaft kennenzulernen. Viele sind sehr von den kommunistisch geprägten russischen Schulen beeinflusst und arbeiten sehr perfektionistisch. Aber auch einen südländischen Einfluss gibt es. Georgien ist ein heißes Land, die Menschen haben Feuer. Dazu kommt, dass Georgien zwar christlich, aber von vielen muslimischen Ländern umgeben ist. Und all das Drama, die Mentalität, die wilde Natur, die Gegensätze – das findet man auch in der Kunst.
Da wir gerade bei Veränderungen sind – Sie stehen auf der Bühne, seit Sie 19 sind. Klang Ihre Musik damals anders als heute?
Aber natürlich. Das passiert ganz von alleine, ich könnte es nicht aufhalten, wenn ich wollte. Meine Musik wird von allem beeinflusst, was um mich herum und in meinem Leben passiert. Positiv wie negativ. Du lernst Menschen kennen, die dir ihre Sicht auf die Dinge zeigen und auch das fließt mit ein. Dazu kommt das Physiologische – die Stimme verändert sich. Wenn ich meine frühen Aufnahmen höre, klinge ich sehr jung.
Ihr neues Album „Ultimate Collection“ ist ein Best-Of-Album. Sie sind 34. Ist das nicht ein bisschen früh?
Ich denke, ja. Dabei bin ich schon vor vier Jahren gebeten worden, ein solches Album herauszubringen. Damals fühlte ich mich allerdings nicht bereit. Das kam erst nach meiner Zeit mit dem Winter-Album. Auch weil ich es gewohnt war, in voll ausgestatteten englischen und westlichen Studios zu arbeiten – etwas, das man in Gori nicht kennt. Ich bekam also nochmal einen ganz neuen Blick auf meine vorherigen sechs Alben und meine Entwicklung. Das Gute an einem Best-of-Album ist außerdem, dass ich mich auf Partys nicht mehr schlecht fühlen muss, wenn jemand um eine Auswahl meiner besten Lieder bittet. Denn früher waren die ja auf sieben Alben verteilt. Die Auswahl war gar nicht so einfach. Gut, ein paar Lieder gab es, die sofort feststanden. Wie „9 Million Bicycles“ und „The Closest Thing To Crazy“. Danach ging es darum – vom ersten Song ausgehend – einen roten Faden zu spinnen. Ich hab da sehr versucht, mich in die Hörer hineinzuversetzen.
Sie covern auch einige Lieder ...
Ja, einige Klassiker, die meiner Meinung nach zu den besten Pop- oder Klassik-Rock-Songs gehören, die die westliche Kultur hervorgebracht hat – wie zum Beispiel „Bridge Over Troubled Water“ oder „Fields Of Gold“. Lieder, die sofort die Atmosphäre in jedem Raum ändern und einen intimen Dialog zwischen Sänger und Hörer entstehen lassen. Das ist wichtig, denn die Musikindustrie kann ein merkwürdiges Biest sein, das sich aufs Business konzentriert und die Beziehung zwischen Künstler und Empfänger vernachlässigt. Mir hilft es, beim Songsschreiben daran zu denken, dass ich mich mit meinen Liedern an einen Freund wende – und nicht an ein anonymes Publikum.
Katie Melua ist am 31. Juli, 20 Uhr, auf der Parkbühne im Clara-Zetkin-Park zu sehen; Karten gibt es unter anderem in der Ticketgalerie Leipzig (LVZ-Foyer, Peterssteinweg 19; Barthels Hof, Hainstr. 1), unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 2181050, auf www.ticketgalerie.de
Von Hanna Gerwig