Klima-Aktivistin Luisa Neubauer: Oma ruft nach jeder Talkshow an
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Luisa Neubauer zur Lesung in der Halle A im Werk 2 in Leipzig.
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Die Ankündigung ließ vermuten, Klima-Aktivistin Luisa Neubauer (26) und ihre Oma Dagmar Reemtsma (90) würden die Lesung am Dienstagabend im Werk 2 gemeinsam bestreiten. Doch die Oma war nicht dabei, eine Lesetour wäre zu beschwerlich. Sie ist kürzlich 90 geworden. „Und am nächsten Tag ist sie sofort zum Klimastreik gegangen“, berichtete die Enkelin.
Neubauers Generationen-Buch „Gegen die Ohnmacht“
Im vergangenen Jahr haben beide Frauen in ihrer Heimatstadt Hamburg viele intensive Gespräche geführt, sich auf eine gemeinsame Reise zurück ins Leben der Großmutter, der Familie und der Welt begeben. Im Ergebnis hat Publizistin Luisa Neubauer das Buch „Gegen die Ohnmacht: Meine Großmutter, die Politik und ich“ veröffentlicht. In Leipzig las sie daraus, erzählte Zusätzliches im Gespräch mit Moderatorin Alea Rentmeister, beantwortete Fragen des Publikums. Die größte Halle im Werk 2 – Halle A – war voll, vorwiegend junge Leute wollten Luisa erleben und hatten immerhin 23,10 Euro für ein Ticket ausgegeben.
Nach Talkshows kommt stets der Anruf von Oma
Die deutsche „Fridays for Future“-Aktivistin war schon als Kind sehr eng mit ihrer äußerst belesenen Großmutter verbunden, verbrachte viele Nachmittage bei ihr. Beim Basteln in der Werkstatt wurden Themen aller Art besprochen, Persönliches genauso wie die großen Fragen von Geschichte, Politik und Gesellschaft. Auch Luisas Eltern waren schon Klima-Aktivisten. Doch vor allem Oma Dagmar, die sich seit Jahrzehnten für Umwelt, Frieden und globale Gerechtigkeit engagierte, sich auf Augenhöhe mit Männern stellte und stets sagte, was gesagt werden muss, lenkte die Aufmerksamkeit der Enkelin auf die Notwendigkeit, den Planeten zu schützen. Wenn Luisa heute mal wieder in einer Talkshow aufgetreten ist, ruft Oma hinterher an, mahnt sie, langsamer zu sprechen, kritisiert sie, wenn sie ihrer Meinung nach unterkomplex argumentiert hat, und bittet: „Luisa, putz dir wenigstens fürs Fernsehen die Schuhe!“
Schmerz und Trauer beim Krebstod des geliebten Vaters
Außer Oma Dagmar gab es noch eine zweite sehr wichtige Person in Luisa Neubauers Leben, das war ihr geliebter Vater, Leiter eines Altenpflegeheims. Ihm hat sie ebenfalls ein Kapitel gewidmet. 2016 starb er mit nur 60 Jahren an Lungenkrebs. Den Schmerz und die Trauer von damals, ihren Verlust der „ultimativen Sicherheit“, hat die Autorin beim Schreiben nochmals durchlitten. Unter anderem deshalb, weil sie anderen Betroffenen eine Stütze sein will: „Ich hätte sowas damals lesen wollen, als ich selbst diesen Verlust erlitt.“
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Luisa Neubauer (links) im Gespräch mit Moderatorin Alea Rentmeister.
© Quelle: Andre Kempner
Sprössling der Hamburger Tabakwaren-Familie Reemtsma
Neubauer erwähnte in der Lesung auch Studien zum Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Lungenkrebs. Dass sie selbst Sprössling der Hamburger Tabakwaren-Unternehmerfamilie Reemtsma ist, die durch dieses Geschäft Millionen verdient hat – den Bogen zog sie nicht. Jedenfalls nicht im Werk 2. Oma Dagmar Reemtsma (Jahrgang 1933) war zeitweise mit Feiko Reemtsma (1895–1970) verheiratet, viertes und jüngstes Kind des Firmengründers Johann Bernhard Reemtsma (1857–1925). Ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit geriet die Unternehmerfamilie 1996, als der Hamburger Literaturwissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma von Erpressern entführt und nach 33 Tagen gegen Zahlung eines Lösegeldes in Millionenhöhe freigelassen wurde.
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Klimakrise, Solidarität und die Bagger von Lützerath
Im Buchtitel geht es um Ohnmacht, denn mit dem Gefühl der Ohnmacht wird die „deutsche Greta Thunberg“ immer wieder konfrontiert. „Oft werde ich gefragt, ob es nicht schon zu spät ist.“ Auch ihre Oma sitze schließlich vor Bücherwänden voller Klimaliteratur, und man könnte meinen: „Wir haben doch alle Informationen, aber so wenig daraus gemacht.“ Neubauer sieht die Dinge anders: Sie zieht Kraft daraus, „dass ich jeden Tag mit Menschen verbringe, die etwas gegen die Klimakrise tun, sich um die Welt kümmern, füreinander da sind und globale Solidarität entwickeln.“
Jahrzehntelang sei das Auto als Symbol für Wohlstand und Freisein dargestellt worden – aber was nicht gezeigt wurde, sind Lärm, Abgase, verschreckte Tiere, Staus und Parkplatznot. Luisa Neubauer will, dass andere, mächtige Geschichten erzählt werden: „Gute Geschichten vom ökologischen Leben, von Kindern, die auf der Straße spielen.“ Dazu brauche es Bilder und große Momente wie vom Anhalten der Bagger in Lützerath. „Wir müssen erzählen, wie der soziale Wandel ins Rollen kommt, vom schönen Miteinander und vom Spaßhaben – wie meine Großmutter.“