Man nimmt der Zimmerpflanze keinen Urwald ab – Kleine Werkschau des Dichtes Thomas Böhme
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Der in Leipzig lebende Schriftsteller Thomas Böhme (63).
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Diese Gedichte zu lesen, bedeutet zu lächeln. Nicht, dass sie witzig wären, es liegt am Licht. Und an der Präzision. Dem Schriftsteller Thomas Böhme, 1955 in Leipzig geboren, ist das aktuelle „Poesiealbum“ gewidmet, die Nummer 347 mit einer Grafik von Baldwin Zettl.
Auf 30 Seiten stehen 44 Gründe, einen Klang zu feiern. „Vom Glück des Fremdseins“ beginnt so: „das war in lissabon wo sie die haut zu sternen rieben/ wo man aus sternen zähne zinken schlug“. Weiter geht es nach Genua und Avignon und Padua, „und in gesichtern denen man vertraute/ lag stets ein fetzen himmel aus marseille“.
Da ist die sich reimende Miniatur vom Notenstecher, der am Grammophon dreht und Gespenster tanzen lässt – eine abgeschlossene Geschichte auf 14 Zeilen. Und da sind die „Lebensregeln eines Flaneurs“ in neun Weisheiten. Eine Stärke des Dichters ist, der Form nicht zu genügen, sondern mit ihr zu spielen. So wie mit Begriffen.
Zeitgeist und Zeitgenosse
Die Vielfalt verdankt sich auch der Zahl an Jahren, aus denen diese Lyrik stammt: 1985 bis 2018, Auszüge aus einem Lebens-Werk. Denn mehr noch als Jahre sind es Zeiten. Von 2018 stammt der Zweizeiler „Der Zeitgeist und der Zeitgenosse/ sind nur zwei Gestalten ein und derselben Posse“. 1985 ist „Die schamlose Vergeudung des Dunkels“ entstanden, Titel auch eines Bandes, der damals bei Aufbau erschien.
Böhme sagt Ich, indem er auf die große Bühne zeigt: auf Requisiten (der Natur), Kulissen (der Jahreszeiten), das Licht (der Abwesenden). Er gibt das Geschenk weiter, mehr zu sehen, als man weiß, hinter Stimmen oder Sätze oder Schatten zu schauen. An den scharfen Kanten seiner Assoziationen kommt selten Gemütlichkeit auf.
„Lyriker sind so flüsterköpfig –/ staatstragender spielalarm im hartgummiwald/ Du hast gezinkt oder der oder die/ oder das, das dilemma der zimmerpflanzen:/ man nimmt ihnen keinen urwald ab“, beginnt „Elfenbeinschaden“ (1992). „Mit einem Knoten im Herzen/ kann man alt werden“, denkt der Dichter. Man möchte lächeln.
Poesiealbum 347: Thomas Böhme. Märkischer Verlag; 30 Seiten, 5 Euro
Von Janina Fleischer
LVZ