Krystallpalast

Premiere: Freestyle

„Freestyle " im Krystallpalast Varieté in Leipzig: Sebastian Stamm an der Stange.

„Freestyle " im Krystallpalast Varieté in Leipzig: Sebastian Stamm an der Stange.

Leipzig. Es sieht anders aus im Krystallpalast. An die Stelle des vertrauten Varieté-Plüsch ist der raue Charme der Straße getreten. Jedenfalls ein bisschen: Am Rang entlang zieht sich ein Graffito-inspirierter Deko-Fries, auf der Bühne stapeln sich Projektions-Flächen, über die exzellent gemachte Videos aus dem Leipziger Stadtraum flimmern. Regisseur Urs Jäckle wird sie im Laufe der Show als Conférence-Ersatz nutzen. Und auf der Bühne machen die Akrobaten sich schon mal warm. Laufen, Radfahren, Streetball, Moves, Posen, Jojo – sportives Abhängen sozusagen. Was man halt so macht mit seiner vielen Freizeit im urbanen Raum. Die Akteure nennen es „Freestyle“ – und weil sie es dabei zu bisweilen atemberaubender Perfektion gebracht haben, widmet das Krystallpalast unter ebendiesem Namen der neuen Akrobatik von der Straße ihre neue Show.

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Mit der versucht Jaeckle die Quadratur des Kreises: Einerseits soll „Freestyle“ dem Varieté im Allgemeinen und dem Krystallpalast im Speziellen ein neues, vulgo jüngeres Publikum zuführen. Andererseits darf es aber auch das Stammpublikum nicht verschrecken, soll hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Aber Jäckle macht seine Sache ziemlich gut. Denn er hält erstens den Sound, mit dem er die Show unterlegt, verträglich und schenkt zweitens seinen Gästen ein paar Nummern, die nicht gar so sehr mit liebgewonnenen Varieté-Sehgewohnheiten brechen. Szilvi aus Ungarn beispielsweise, die sich hoch oben in der Luft um, in, durch ihre verchromte Riesenspirale windet. Oder Pippa the Ripper aus Australien, die zwar recht gekonnt die Straßen-Bitch gibt, aber mit ihrem Power-Hula-Hoop auf vertrautem Feld steht. Oder der den Leipzigern bereits bestens bekannte japanische Jojo-und-Grimassen-Weltmeister Naoto Okada mit seiner fein auschoreographierten Hochgeschwindigkeits-Kunst. Bavo aus Belgien schließlich schließt auf der Bühne die Welt der Straße mit jener der Kleinkunstbühne kurz: Er ist zwar ein waschechter Freestyle-Basketballer, aber er jongliert spektakulär geschmeidig mit bis zu fünf der ziemlich großen und schweren Bälle.

Der Rest der dicht gestrickten Show ist in der Tat ziemlich anders: Da wirbeln die Sensations-Breakdancer der deutschen Topp Doggz Crew über den Boden, durch die Luft, über- und untereinander, dass es der Schwerkraft wie der Anatomie Hohn spricht. Da zeigt Balazs Földváry aus Ungarn, dass ihm sein BMX-Rad zur fünften Extremität geworden ist. Und wenn er auf den Spuren Leonardo da Vincis im einspurigen Rhönrad über die Bühne oszilliert, ist auch dies von erheblichem Schauwert. Wasili Urbach schließlich hat aus seinen Breakdance-Fertigkeiten heraus an der Grenze zur Pantomime eine wunderbar stille und poetische Nummer als menschliche Marionette entwickelt und Sebastian Stamm eine sehr körperbetonte Akrobatik am chinesischen Mast, die das Publikum kollektiv den Atem anhalten lässt. Schiere Kraft und die herbe Anmut seiner Choreographie verschmelzen da zu einer neuen Ästhetik des Staunens – der akrobatische Höhepunkt dieser sehenswerten Show.

Dennoch wäre die nur halb so kurzweilig ohne den Kanadier Maxim Poulin. Die Geschichte, die dieser etwas andere Clown erzählt, gibt dem Abend den roten Faden: Da wächst der Underdog zum Star heran, weil er sich und der Straße auf dem Zirkus-Fahrrad große Klasse beweist (tatsächlich), weil er ein großer Stripper ist (eher nicht) und toll zaubert (nein). Diesen Plot entwickelt er weitgehend wortlos in Miniatur-Szenen, bei denen ihm Pippa the Ripper hilft, die als Luder mit Zwergspitz eher noch besser ist als in den Reifen.

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Maxim Poulin muss nicht viel machen, damit die Leute sich vor Lachen biegen. Es reicht, wenn er eine Augenbraue hochzieht oder sich das Haar richtet, wenn er sein „Tattoo“-Tattoo auf der Brust blitzen lässt unterm Federboa-Porno-Fummel oder ungelenk lässig die Hand zum Gruße kreiselt. Leise ist diese Komik und doch derb, subversiv und doch poetisch, mit sicherem Gespür ausbalanciert zwischen Gürtellinie und Grasnarbe.

Die Choreographie der Gruppen-Szenen wackelt noch ein bisschen, die Versuche, mit Basketbällen und den eigenen Körpern zu musizieren, klappern. Aber das wird sich noch zurechtruckeln. Schließlich ist diese Vorstellung vom Mittwoch die allerste Vorpremiere. Und schon die ist gut für einen richtig schönen Abend, der sich – auch fürs Stammpublikum – viel kürzer anfühlt als die zwei Stunden, die er dauert.

„Freestyle – Die Streetart-Show“, bis 80. Juni, Krystallpalast Varieté, Münzgasse 4 in Leipzig; Karten (15–35 Euro, Menü 22/30 Euro) unter Tel. 0341 140660 oder www.krystallpalastvariete.de

Von Peter Korfmacher

LVZ

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