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Interview

Umgang mit Kolonialkunst: „Ein Wegducken kann es jetzt nicht mehr geben“

Lutz Mükke im Gespräch mit Besuchern der Ausstellung „A New Deal“ im nigerianischen Benin City. Die großformatigen Fotos zeigten Benin-Bronzen von zehn Museen in Europa und den USA, darunter die Völkerkundemuseen in Leipzig und Dresden, das British Museum in London und das Metropolitan Museum of Art in New York.

Lutz Mükke im Gespräch mit Besuchern der Ausstellung „A New Deal“ im nigerianischen Benin City. Die großformatigen Fotos zeigten Benin-Bronzen von zehn Museen in Europa und den USA, darunter die Völkerkundemuseen in Leipzig und Dresden, das British Museum in London und das Metropolitan Museum of Art in New York.

Leipzig. Expertenrunden, neue Konzepte, heftige Diskussionen: Seit Frankreichs Präsident Macron eine umfassende Rückgabe in der Kolonialzeit geraubter Objekte versprochen hat, ist das Thema einer der heißesten Debattenstoffe im Kultursektor – auch in Deutschland. Der Leipziger Journalist, Afrikanist und Autor Lutz Mükke (48) recherchiert seit vielen Jahren zum Umgang mit dieser Kunst. 2017/18 leitete er ein umfangreiches Rechercheprojekt zu den von den Briten geraubten Benin-Bronzen und veröffentlichte dazu eine Artikelserie in der LVZ. Im Interview spricht er über koloniale Traumata, verdeckten Rassismus, die Debatte um das Berliner Humboldt Forum und die Notwendigkeit eines neuen Verhältnisses zu Afrika.

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Im November 2017 hat Emmanuel Macron die Rückgabe von Kolonialobjekten angekündigt. Da waren Sie gerade aus Nigeria zurückgekommen. Wie reagierte man in Afrika auf die Nachricht?

In Nigeria und in vielen einst kolonialisierten Ländern ist das ganze Thema hoch emotional. Viele Länder müssen heute nicht nur mit skurrilen kolonialen Grenzen und heftigen ökonomischen Abhängigkeiten von einstigen Kolonialmächten zurecht kommen. Die Erniedrigungen der Völker während der Kolonialzeit waren so massiv, dass die Traumata über Generationen weitergegeben wurden. Das alles ist erst 60 Jahre her. Wer also meint, die Kolonialzeit sei eine versunkene Ära, liegt vollkommen falsch. Afrikanische Intellektuelle und Akademiker äußern sich dazu heute ebenso emotional wie einfache Leute und Jugendliche. Aus all diesen Gründen nahm man Macrons Rede in Afrika sofort als das auf, was sie war: eine Sensation.

Welche Auswirkungen hat dieses Bekenntnis Macrons auf die Debatte in Deutschland?

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Er katapultierte damit ein vermeintlich marginales Thema aus dem Halbdunkel völkerkundlicher Museen und verschlossenen Expertenkreisen in höchste Ebenen internationaler Politik. Gewollt oder ungewollt setzte Macron dadurch andere Regierungen unter Zugzwang. Auch Deutschland. Ein Wegducken kann es jetzt nicht mehr geben. Die Debatte war damit zudem vollends im demokratischen Feld angekommen. Auch Massenmedien schauen jetzt hin. Als ich 2002 das erste Mal über das Thema der geraubten Benin-Bronzen publiziert habe, kam ich mir fast noch vor wie ein Nestbeschmutzer. Diese Zeiten sind vorbei.

Haben Sie den Eindruck, man geht jetzt ernsthaft und offen an das Thema heran?

Wie ernst gemeint die Strategiepapiere und Leitlinien sind, die derzeit verabschiedet werden, muss sich erst erweisen. Es herrscht hektisches Gerangel um mehr Geld, das jetzt eifrig von der Politik gefordert wird, um mehr forschen und mit den Herkunftsgesellschaften kooperieren zu können. Expertenkreise reden über Leihgaben und Wanderausstellungen. Frankreich, Großbritannien, die USA und Deutschland wetteifern um den Export ihres Museums-Knowhows. Wir in Deutschland sollten nicht versäumen, zu analysieren, weshalb so viele steuerfinanzierte Völkerkundemuseen mit ihren über die Jahrzehnte hunderten Kuratoren, Direktoren und Wissenschaftlern das Thema Restitution so lange ausblendeten.

Welche Dimension hat das Thema, wie viel Prozent der Kulturschätze Afrikas befinden sich weltweit in Museen?

Es gibt Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass 90 Prozent der afrikanischen Kulturschätze während der Kolonialzeit weggeschleppt wurden. Über die Zahl lässt sich streiten. Fakt jedoch ist, der Kontinent wurde gnadenlos leergeräumt, und ein großer Teil der Schätze befindet sich heute in westlichen Museen und Sammlungen – und ist Abermilliarden wert. Allerdings gibt es auch viele Exponate, die auf fairem Weg in unsere Museen gelangten.

Zu den Raubzügen kam es in einer Zeit, die zutiefst rassistisch geprägt war. Wie viel Rassismus ist bei diesem Thema heute noch im Spiel?

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Um nachzuempfinden, wie sich viele Afrikaner heute mit diesen Diskussionen fühlen, hilft vielleicht ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, die Truppen des Königreichs Benin hätten Sachsen eingenommen, Tausende getötet, zahlreiche Dörfer und Dresden niedergebrannt, Würdenträger gehenkt, verbannt oder zu Knechten gemacht, hätten in Chemnitz als Amtssprache Edo eingeführt, Steuern erhoben und all dies zuhause in Afrika unter anderem damit legitimiert, dass diese unzivilisierten Germanen in abstoßenden Ritualen das Blut ihres eigenen Gottes trinken. Die Beute, die man im Dresdner Zwinger, dem Staatsarchiv und in der Frauenkirche plünderte, kommt nach Westafrika und ist dort auch nach 120 Jahren noch in verschiedenen ethnologischen Museen zu sehen, in Sektionen wie „Sachsen“ und „Sub-Germanien”.

Jetzt bitte die historisch korrekte Version.

Die Briten haben damals die sakralsten Objekte und quasi das Nationalarchiv des Königreichs Benin gebrandschatzt und zur Refinanzierung des Krieges in London verhökert. Eine zentrale Schutzbehauptung, die seitdem gegen die Rückgabe vorgebracht wird, lautet: Die Nigerianer könnten mit den wertvollen Objekten nicht anständig umgehen. Gegenargumente der Nigerianer: Bevor der Schatz 1897 aus den Palästen der königlichen Familie geplündert wurde, sei er dort teils schon über 600 Jahre lang in guten Händen gewesen. Außerdem sei es skurril, dass die Diebe und Hehler dem rechtmäßigen Besitzer irgendwelche Vorgaben für die Rückgabe des Diebesguts machten. Man wolle auch gar nicht alle geraubten 4500 bis 6000 Objekte zurück, sondern nur eine Auswahl der kulturell, religiös und ästhetisch wichtigsten.

Auch die Völkerkundemuseen in Leipzig und Dresden besitzen eine ganze Reihe der Benin-Bronzen, deren künstlerische Qualität ja gerade das Bild von Afrika als unterentwickeltem Kontinent widerlegt und Millionen wert sind. Wagen Sie mal eine Prognose: Wie lange wird es noch dauern, bis sie zurückgegeben werden?

Sachsen hat ja viele der Benin-Bronzen gleich zu Sächsischem Kulturerbe umdeklariert. Dazu braucht es nun klare Entscheidungen der Landespolitik und einen ebenso klaren Standpunkt der neuen Museumsdirektorin. Einen Prozess anzuschieben, der Restitutionen zum Ziel hat, wäre für beide Seiten von großem Nutzen. Nigeria baut für Rückgaben extra ein neues Museum. Ich kann nur empfehlen, das Thema beherzt anzugehen und nicht auf Sankt Nimmerlein zu verschieben.

Sie haben im Dezember 2018 eine Foto-Ausstellung in Benin City in Nigeria eröffnet. Gezeigt wurden 42 Fotos von Objekten, die dort 1897 von Kolonialtruppen geplündert wurden. Ihre Ausstellung hieß „A New Deal“, sogar CNN berichtete darüber. Inwieweit brauchen wir Europäer einen umfassenden „New Deal“ mit Afrika?

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Den brauchen wir ganz sicher. Die Politik- und Wirtschaftseliten der Bundesrepublik und der EU müssen verstehen, dass kluge und faire Kulturpolitik mindestens so wichtig ist wie fairer Handel. Auf beiden Feldern gibt es in Afrika enormen Handlungsbedarf. Die Rückgabe von kulturellem Erbe könnte zu einem symbolischen, brüderlichen Akt werden und die Heilung schlimmer Wunden unterstützen. Kulturelles Erbe ist für die Identität und für das Selbstbewusstsein jedes Volkes und Landes von zentraler Bedeutung. Gerade junge Leute brauchen Herkunft, müssen sich positiv mit ihrer Heimat identifizieren, sonst verlassen sie sie scharenweise. Bedenken Sie nur, welchen Rang Geschichte in Deutschland und Europa hat. Wir haben eine regelrechte Forschungs- und -Vermarktungsindustrie aufgebaut und subventionieren mit Milliarden tausende Museen, Kultureinrichtungen, Denkmäler, Kirchen, Archive, Ausgrabungen und Bücher. Gleichzeitig haben wir uns über Jahrzehnte gegen die Rückgabe von geplünderten afrikanischen Kulturgütern gestemmt. Was sagt das über uns aus?

Was halten Sie von der Art, wie die Kulturen der Welt im Berliner Humboldt Forum präsentiert werden sollen?

Auf den endgültigen Umgang des Forums mit diesem schwierigen Erbe dürfen wir gespannt sein. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen haben sich in der Dachorganisation NoHumboldt21 vereint und jahrelang gegen das Konzept des Berliner Humboldt Forums protestiert. Kritische intellektuelle Stimmen wie die der mutigen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die dem internationalen Berater-Gremium des Forums enttäuscht den Rücken kehrte und heute Macron berät, haben ebenfalls Bewegung in die Debatte gebracht. Die Zeiten haben sich eben geändert: Sich mit Beutekunst und ergaunerten Kulturschätzen zu schmücken, schadet heute dem Image eines Museums.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich bin gerade in Mali, recherchiere seit ein paar Monaten in Westafrika, dem Sahel und der Sahara. Daraus wird ein Buch. Und ich beginne eine Vortragsreihe zum Thema Raubkunst.

Von Jürgen Kleindienst

LVZ

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