Wolfram Hölls Text-Partitur „Disko“ uraufgeführt
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Regisseur Ivan Panteleev bringt Wolfram Hölls „Disko“ am Schauspiel zur Uraufführung.
© Quelle: Rolf Arnold
Leipzig. Am Schluss sind alle tot. Ermordet. Aber das ist nicht so wichtig, ein Randaspekt fast, weil es weniger um Handlung geht in „Disko“, um Handlung im Sinne von A tötet B wie im Krimi, sondern um gesellschaftliche Mechanismen der Exklusion und des Dazugehörens. Um das Drinnen und das Draußen – und um die Schnittstelle, die Wand dazwischen, die hier als Lautsprechermembran vibriert in der Uraufführung von „Disko“ von Wolfram Höll, Auftragswerk des Schauspiels Leipzig, uraufgeführt am Samstagabend auf der Zweitbühne „Diskothek“.
„Du stehst auf der Liste“, deklamiert der Türsteher (Andreas Hermann) mit strenger Miene und elektronisch leicht ins maschinenhafte verschobener Stimmfrequenz, die ihn entmenschlicht und auf Autorität reduziert. Im weißen Anzug entscheidet er, eine Mischung aus antiker Göttlichkeit und dem Kurator einer Ausstellung, über Schicksale. „Du stehst auf der Liste.“ Oder: „Du stehst nicht auf der Liste.“ Ein Wort entscheidet über Chancen. Über einen Abend nur, so lange die Disko der Kontext bleibt, um ein Leben aber, wenn es um Flucht und das Überschreiten von Grenzen geht und im weiteren Verlauf um gesellschaftliche Integration oder Ausschluss. Bedeutungsebenen, die sich im rhythmischen Sprachsog überlagern, wechselseitig durchdringen – und verschiedene Lebenswelten aufeinanderprallen lassen. Etwa wenn Mo (Roman Kanonik) draußen seine Kriegsgeschichte erzählt und drinnen sich die Wortfragmente derer, die es geschafft haben, zwischen „Arbeit“, „Tempo des Lebens“, „noch eine Stunde“ und „früher“ zur gehetzten Poesie über ihren Alltag verbinden.
Wolfram Höll, 1986 in Leipzig geboren, in der Schweiz zu Hause und für den Rundfunk als Hörspiel-Regisseur tätig, gilt als einer der eigenständigsten Dramatiker der Gegenwart. Er hat eine Sprache gefunden, die sich abhebt durch ihre poetische Gliederung der Vielstimmigkeit. Für „Und dann“ und „Drei sind wir“, beides ebenfalls am Schauspiel uraufgeführt, erhielt er jeweils den renommierten Mülheimer Dramatikerpreis. „Disko“ nun lotet das Spiel fragmentierter Poesie noch radikaler aus, geradezu als Partitur. Sieben Stimmen greift die Regie auf, darunter ein Single, ein besorgter Bürger, ein Flüchtling.
Das Team um den Regisseur Ivan Panteleev und den Musiker und Komponisten Jan-S. Beyer nimmt das Stück in seiner Form erfreulich ernst, greift konsequent den Sprachrhythmus auf und legt einen Beat darunter, in den sich die Schauspieler einklinken. Was über die Spielzeit von rund 75 Minuten bemerkenswert präzise getimt gelingt. Die Akteure, getragen vom Metrum, sind mehr Musiker als Schauspieler. Und wenn die Drum-Machine lautmalerisch Übersetzung findet in repetitivem „Bums“, „Tschick“, „Bamm“, wenn Beat und Worte zusammenfallen, dann kann man das debil finden oder eintauchen und erleben, wie der Rhythmusteppich ins Fliegen gerät.
Hölls textliches Form-Spiel überzeugt, weil es nicht als Selbstzweck experimentiert, sondern gemäß des Handlungsortes Disko-Elemente imitiert, mit den Regeln der sich schematisch alle paar Takte verschiebenden Beats der House-Musik jongliert. Und der Alltagsflucht-Ort (Edel-)Disko wiederum, der funktioniert durchaus als Ort der Distinktion, letztlich auch der Gruppendynamik, die aus einem Gefühl der Zugehörigkeit entsteht. Das sich erst dann komplett entfaltet, wenn es auf der anderen Seite die Ausgeschlossenen gibt, über die man sich erheben kann.
Yanjun Hu hat die Bühne klug geteilt in ein hinten liegendes Drinnen und das Draußen im Vordergrund, parallel einsehbar, zunächst getrennt von einem luziden Vorhang. Zugang erlaubt nur eine türbreite verglaste Schleuse, kontrolliert vom Türsteher: „Dein Fall ist hoffnungslos, lass alle Hoffnung los.“
Hinten, drinnen, drei Menschen in Overalls, die aber nicht in fröhlich tanzen, sondern auf Laufbändern hetzen im von Beat und Drehzahl diktierten Tempo. Ein gelungenes Bild, ist ihm doch die Bedrohung eingeschrieben, nicht mithalten zu können und ins (gesellschaftliche) Aus zu kippen. Vorne, draußen, drei Menschen in Pailletten-Gewand oder Lederjacke, die ausharren und ihre (Kriegs-)Geschichten erzählen.
Später wird auch die Schleuse keinen Halt mehr gebieten, werden sich die Sphären mischen, physisch zumindest. Aber die Klüfte bleiben, wenn der Single (Thomas Braungardt) Avancen macht und die Frau aus dem Bürgerkriegsland (Julia Berke) das Vergewaltigungs-Trauma nicht aus dem Kopf bekommt. Wenn Mo erzählt, wie er Musiker werden wollte und dann seine Schule zerbombt wurde. Die Schule zerbombt – „Toll“, sagt die Interviewerin (Anne Cathrin Buhtz) und strahlt wie eine frisch gespülte Teflon-Pfanne, weil sie jetzt eine so schöne Geschichte auf dem umkämpften Medienmarkt feilbieten kann. Irgendwann liegen goldschimmerende Alu-Decken um die Schultern der Spieler. Das Knistern über die Mikros stört zwar an dem so auf Akustik ausgelegten Abend, aber es entsteht wieder so ein schönes Bild der Gleichzeitigkeit: Die Folien verstrahlen halb mondänes Disko-Geglitzer, halb existenziellen Rettungsdecken-Notfall. Und jeder steht auf einmal fremd mit seiner Isolierschicht neben dem anderen. Die scheint auch zwischen der Bühne und dem Premierenpublikum zu liegen, fast reserviert fällt der Applaus aus. Ein hermetischer Abend durchaus, der polarisieren mag, der aber wunderbar konsequent seine Linie findet, musikalisch präzise den Textnuancen nachspürt und jederzeit in Wort und Bild die Bedeutungsebenen gelungen verwebt.
Ach ja, am Schluss sind alle tot. Der Türsteher war’s. Aber das ist, wie gesagt, nicht so wichtig.
Weitere Termine: 16. und 26. Feb., 24. März, 20 Uhr; Karten: 0341 1268168
Von Dimo Rieß
LVZ