Zurück in die Finsternis: David Claerbout über eine Zukunft ohne Licht
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Verlust des Lichts: David Claerbout am Donnerstag in der Leipziger HGB.
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Für seine Arbeiten braucht man Zeit. Ziemlich viel Zeit. Auf 1000 Jahre angelegt ist David Claerbouts Videoarbeit „Olympia“, in der er den Zerfall des Berliner Olympiastadions simuliert, das allmähliche Überwuchern des Albert-Speer-Bauwerks in Echtzeit zeigt. Jeden einzelnen Stein hat er dafür gescannt und im Computer neu zusammengesetzt. Selbst das aktuelle Wetter fließt in die Darstellung ein. Laufzeit: 2016–3016. Eine Anspielung auf das „tausendjährige Reich“ der Nationalsozialisten. Dagegen ist selbst John Cages im Halberstädter Dom aufgeführtes, auf 639 Jahre angelegtes Stück „Organ2/ASLSP“ von übersichtlicher Dauer. Ob kommende Generationen diese Arbeiten weiterführen, werden wir nicht überprüfen können, das macht den Reiz solcher Ansätze aus, in denen künstlerischer Ernst und ein satirisch anmutendes Spiel mit menschlicher Hybris zusammenkommen. Claerbout spricht von einer Spannung zwischen utopischer und gelebter Zeit.
Das Langsame im Schnellen, das Richtige im Falschen
Der 1969 geborene Belgier, der als Meister der Entschleunigung wie der Langeweile international gefeiert wird, stellte am Donnerstag seine Arbeit in der Hochschule für Grafik und Buchkunst vor, auf Einladung von Heidi Specker und Clemens von Wedemeyer. Über das Langsame im Schnellen stellt er die Fragen nach dem richtigen Leben im Falschen neu, wissend, dass die Subversion längst Teil, wenn nicht Vorreiter dessen ist, was sie zu unterwandern beabsichtigt.
Wenn Zeit Geld ist, dann ist diese Kunst teuer, denn sie raubt eine Ressource, die uns, wie Clearbout mit Verweis auf Jonathan Crarys Buch „24/7. Schlaflos im Spätkapitalismus“ andeutet, komplett eingezogen werden soll. Claerbout, der über Malerei und Lithographie zu Fotografie und Film gefunden hat, dehnt demgegenüber die Zeit aus, scheint sie anzuhalten, so dass die in Super-Zeitlupe niedersinkenden Konfettischnipsel in seiner Arbeit „The Confetti Piece“ in der Luft zu stehen scheinen. Gegenstand der Zwei-Kanal-Videoprojektion ist eine Szene, die sich bei einer lokalen Wahlparty in den USA abspielen könnte. Tausende Schnipsel fallen wir Blütenblätter vom Himmel, als die Gäste zu klatschen beginnen. 18 Minuten lang. Es gibt dazu keinen Sound. Keine Ablenkung. Das muss man aushalten. Langeweile, meint der Künstler, sei durchaus Teil des Konzepts. Drei Jahre habe er am „Confetti Piece“ gearbeitet, andere Projekte würden ihn auch schon mal 16 Jahre beschäftigen.
Verlust des Lichts, Verlust des Vertrauens
David Claerbout hat beunruhigende Thesen, die er in seinem Vortrag auf den Nenner „dark optics“ bringt. Sehr vereinfacht wiedergegeben meint er, dass sich die Fotografie als Mittel der Vergewisserung mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie erledigt habe. Die analoge Fotografie sei ein Medium des Lichts, der Hoffnung gewesen. Jetzt würden Algorithmen etwas erzeugen, das wie ein Bild aussieht. Dazu komme noch der sich abzeichnende Verlust der Linse. „Stellen Sie sich vor, Sie wären blind“, sagt er. „Wie finden wir zurück zu den Dingen, die nicht mehr da sind?“
Man sei mitten in einem Prozess, in dem ein rund 160 Jahre gepflegtes Wahrheitssystem verschwinde, meint Clarbout. „Wir spüren es nicht. Was wir spüren, ist Panik, Verunsicherung.“ Es habe alles mit dem Verlust von Vertrauen zu tun. Claerbouts Zukunftsvision ist im wahrsten Sinne des Wortes düster, denn sie braucht kein Licht mehr. Das digitale Bild von der Welt und ihren Bewohnern setzte nicht mehr auf Analogie und Aufzeichnung, sondern auf Konzept, Konversation und Konsens. Was das bedeute, zeige der heutige Zustand der Politik. „Es ist hart. Politiker arbeiten zu 99 Prozent an ihrem Image.“
Und was plant Claerbout? „Eine meiner nächsten Arbeit wird eine Explosion sein. Ich lasse meinen Computer hochgehen.“
Von Jürgen Kleindienst
LVZ