Zwischen Traum und Wirklichkeit: Prinz Friedrich von Homburg
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/JKUT3HOPZOX6UTPXS67FLAXI5M.jpg)
Zwischen Traum und Wirklichkeit: Der Prinz Friedrich von Homburg im Schauspiel.
© Quelle: Rolf Arnold
Leipzig. Sie umarmen und verlieren einander und finden sich wieder, die beiden Verliebten, tollend im Bühnennebel, von dem man sich fragt, ist er Traumgespinst oder Pulverdampf der Schlacht gegen die Schweden? Er ist beides in diesem „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist, der am Samstagabend im Schauspiel Leipzig als raffiniertes Spiel der Gleichzeitigkeiten Premiere feierte. Traum und Realität, Leben und Tod, der Prinz aus der Feder Kleists und Kleist selbst und ebenso das Schwarz und Weiß der Bühne und Kostüme, die Sphären überlagern sich, lösen sich ineinander auf.
Den Prinz von Homburg kann man immer spielen, sagt sinngemäß ein Akteur des Schultheaters in „Das Tierreich“, am Schauspiel vor einigen Jahren uraufgeführt. Hausregisseur Philipp Preuss nun knöpft sich das Kleist-Drama nicht vor, weil man es „immer spielen kann“, sondern weil er genau weiß, wo er den Stoff packen will: an seinen somnambulen Geheimnissen, die sich der Ratio widersetzen und anschmiegen an die Biografie Kleists. Wenn sich der Prinz (Felix Axel Preißler) und Natalie (Anna Keil; die vielseitig auch in weiteren Rollen überzeugt), die Nichte des Kurfürsten, in diesem nebulösen Weiß der Bühne begegnen, so sind sie zugleich Kleist und dessen Geliebte Henriette Vogel, die sich 1811, kurz nach Beendigung des Dramas, in „unaussprechlicher Heiterkeit“, wie es im Abschiedsbrief heißt, erschießen.
Der Rausch der Liebe, der Übergang in den Tod, das sind Momente, in denen sich die Zeit aufhebt, in denen es nur den Augenblick gibt oder die Unendlichkeit. Und so beginnt die Drehbühne zu kreisen und die Szene schlüpft in die Wiederholungsschleife, der Vorhang öffnet und schließt sich immer wieder. Die Inszenierung treibt dem Abend seine Linearität aus und verdichtet den Stoff mit nur vier Schauspielern und einem Chor auf seinen Kern, auf die inneren Kämpfe, Zweifel, Hoffnungen, nicht die äußeren Bedingungen.
Zur Abrechnung mit dem preußischen Militarismus gerät das Stück auf den Bühnen sonst gern, weil dieser Homburg, Reitergeneral im Dienste des preußischen Kurfürsten, zwar siegreich in die Schlacht von Fehrbellin gegen die Schweden führt, aber gegen den Befehl zu früh eingreift. Ein Befehl, der erst gar nicht ins Bewusstsein des Prinzen gelangte, der irritiert über den Handschuh Natalies sinniert, den er am Abend zuvor schlafwandelnd in seinen Besitz genommen hat.
Als der Kurfürst ihn wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt, steigt der Prinz allmählich die Erkenntnissprossen herab vom Siegesrausch bis zur rasenden Todesangst. Preißler lässt keine der Stufen aus, spielt sich nuanciert durch die Stimmungslagen seiner Figur vom ersten stimmbrüchig kieksenden Liebesrausch bis zur brüllenden Verzweiflung. Er gibt den Träumer im Soldatenmantel, der in einer dieser wunderbar sinistren Gegenlichtszenen in die schwarze Kutsche steigt, vom Chor gezogen. Der Prinz glaubt trotz der Nachricht des Graf Hohenzollern (Markus Lerch) an Gnade, dabei zeigt ihn die Szene längst als Passagier in seinem eigenen Leichenzug.
Was ist Traum, was ist Wirklichkeit, die Frage schwebt durch den Abend, dessen Elemente als Gesamtkunstwerk großartig ineinandergreifen mit minimalistischen (traum)tänzerischen Choregrafien. Mit der atmosphärischen Musik von Kornelius Heidebrecht und Philipp Rohmer, die den Soundtrack live auf der Bühne spielen und per Loop die Musik nachhallen lassen wie ein Geisterecho. Geisterhafte Gestalten (Kostüme: Eva Karobath) wandern über die Bühne (von Ramallah Aubrecht), auf deren Rückwand sich die Schauspieler projizieren lassen. Andreas Keller etwa als Kurfürst, der das Urteil spricht, die Last des Amtes ins Gesicht eingeschrieben. Und wenn das Gesicht gigantisch und diffus über den Bittstellern erscheint, da erlaubt es der Abend, die politischen Autoritäten auch als psychische Größen zu deuten, als Stimme des Unterbewussten, als den ewigen Kampf von Wunsch und Gewissen.
Die Inszenierung trägt – welch gelungene Schelmerei – das Spiel mit der Ungewissheit bis ins Publikum. Als sich im Stück die irrtümliche Nachricht vom Tod des Kurfürsten verbreitet, reihen sich die Schauspieler in Zeitlupe zur Verbeugung auf, ernten ersten irritierten Applaus. Aber nein, der Kurfürst lebt, und der Abend dreht sich weiter und lässt irgendwann auch einen Bären über die Bühne tapsen, scheu sich dem Prinzen nähernd, als Bote aus Kleists Schrift „Über das Marionettentheater“. Jener Text, in dem er das Bewusstsein des Menschen als Hindernis zur Vollkommenheit ausmacht. Der Bär gerät Kleist zum gleichnishaften Gegenpol zum Menschen. Und auf der Bühne zum nächsten zauberhaften Theatermoment in diesem Reigen der Traumsequenzen, die mit Homburg im Unterbewusstsein wühlen und danach forschen, wie sich der Mensch selbst erlösen kann. Die Gefühlsgewitter, die Kleist Zeit seines Lebens erduldete, er schrieb sie seinem Homburg ein – und Preißler lässt sie zwei Stunden über die Bühne flackern in der vom Publikum gefeierten Premiere.
Weitere Aufführungen: 5., 18., 30. Mai, 19.30 Uhr; Schauspiel Leipzig; Karten: 0341 1268168
Von Dimo Riess
LVZ