Umstrittenes Konzert von Roger Waters in Frankfurt – ohne Ledermantel und Armbinde
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Roger Waters auf der Bühne: Als Musiker ist der Brite unbestritten grandios. Politisch hat er sich in den vergangenen Jahren immer weiter radikalisiert (Israel, Ukraine-Krieg). Dagegen regte sich während seiner Deutschland-Tour Protest in mehreren Städten.
© Quelle: Daniel Bockwoldt/DPA
Frankfurt. Die Proteste gegen den Auftritt von Roger Waters in der Festhalle spielen auf einen berühmten Songtitel von Pink Floyd an, allerdings als Verneinung: „Roger Waters: Wish You Were Not Here“ (Ich wünschte, du wärest nicht hier) heißt es auf Transparenten, dazu sind viele blau-weiße Israel-Fahnen (und einige wenige ukrainische) zu sehen.
Ein Frankfurter Bündnis gegen Antisemitismus hat am Sonntagabend vor der Halle mobilisiert, die nach Polizeiangaben gut 400 Demonstrantinnen und Demonstranten sind aber zahlenmäßig den mehr als 10.000 Konzertbesucherinnen und ‑besuchern klar unterlegen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt stellte klar: Waters darf auftreten
An einem Bauzaun wiederum hat eine „Aktion für Kunst- und Meinungsfreiheit“ die Gegenposition plakatiert: Roger Waters ist den Initiatoren ausdrücklich willkommen in Deutschland. Schwarz auf weiß dokumentieren sie das wegweisende Urteil des Verwaltungsgerichts vom April: Die Messe Frankfurt (und damit die Stadt Frankfurt und das Land Hessen) hatten kein Recht, den Mietvertrag für die Festhalle zu kündigen. Selten war ein Rockkonzert in Deutschland von derart schrillen politischen Nebengeräuschen begleitet.
Da ist es schon beinahe beruhigend, dass an diesem Abend auch Musik gespielt wurde. Waters, dessen Streitlust legendär ist, überrascht das Publikum mit einer Änderung in der Show – zum ersten Mal, seit er die „This is Not a Drill“-Tour im Sommer 2022 in den USA gestartet hat. Dazu später mehr.
Waters dekonstruiert „Comfortably Numb“ – Gilmour muss draußen bleiben
Los geht es um 20.15 Uhr mit vier Songs aus „The Wall“, und der Auftakt „Comfortably Numb“ ist eine aufregende Dekonstruktion des 44 Jahre alten Songs, mit gedrosseltem Tempo und einem abgespeckten Arrangement – ohne die beiden funkelnden David-Gilmour-Gitarrensoli, bei denen jedem Pink-Floyd-Fan warm ums Herz wird.
Es gibt für dieses Statement Gründe jenseits der Musik: Die einstigen Bandkollegen Waters und Gilmour sind so etwas wie die Israelis und Palästinenser der Rockwelt und einander in herzlicher Abneigung verbunden. Auch in den später auf die Videowand projizierten Bandfotos ist nur die Gründungsbesetzung aus den 1960er-Jahren zu sehen – Gilmour muss draußen bleiben.
Markiges Statement aus dem Off
Nach diesem Intro sind Waters, die sechsköpfige Band und die beiden Chorsängerinnen (auf einer Bühne in der Hallenmitte, mit einem XL-Laufsteg in Kreuzform) dann aber rasch wieder werktreu unterwegs. Das beginnt mit den knatternden Hubschraubergeräuschen von „The Happiest Days of Our Lives“.
Auch in Frankfurt hat Waters aus dem Off wieder sein markiges Statement verlesen wie auf jeder vorherigen Tourstation: Die Leute, die Pink Floyd mögen, aber von seinem politischen Aktivismus genervt seien, mögen sich doch bitte an die Bar „verpissen“. Dass die Festhalle fast voll ist, dürfte aber eher dem glorreichen Pink-Floyd-Backkatalog aus den 1970er-Jahren geschuldet sein als gesungenen Leitartikeln à la „Is This the Life We Really Want“, dem didaktisch-kapitalismuskritischen Titelsong seines 2017er-Soloalbums.
Die Pink-Floyd-Nostalgie wird vorbildlich bedient
Die Pink-Floyd-Nostalgie bedient Waters auf seiner Tour geradezu vorbildlich. Neben sieben Songs aus „The Wall“ spielt er jeweils die zweite Schallplattenseite der zeitlos schönen Alben „Dark Side of the Moon“ und „Wish You Were Here“, außerdem mit „Sheep“ das beste Stück vom „Animals“-Album. Dazu lässt Waters auch ein aufblasbares XL-Schaf über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher kreisen – als Sidekick für das anstößige Schweinchen, das in der zweiten Konzerthälfte seine Runden dreht (auf dieser Tour übrigens ohne den inkriminierten Davidstern).
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Das ist der Beweis: Es gibt fliegende Schafe.
© Quelle: Thorsten Keller
Im Vergleich dazu hält sich Waters nicht lange mit seinen Songs aus der Zeit nach Pink Floyd auf – ganze sechs Songs. Nach der ersten Solonummer „The Powers That Be“ setzt Waters zu einer länglichen Verteidigungsrede an („A couple of things I have to tell you“), weist, hörbar angefasst, den Vorwurf zurück, ein Antisemit zu sein, und widmet sich der absurden Kontroverse nach den beiden Berliner Konzerten am 17. und 18. Mai.
Der Ledermantel und die Armbinde bleiben diesmal in der Garderobe
Kurzer Exkurs: Die Polizei in der Hauptstadt ermittelt wegen Volksverhetzung gegen Waters, als wolle sie beweisen, dass sie in den vergangen 42 Jahren auf einem Parallelplaneten ohne Pink Floyd gelebt haben muss. Den langen Ledermantel und die Armbinde (mit den gekreuzten Hämmern) trägt der 79-Jährige, seit „The Wall“ 1980 erstmals live aufgeführt wurde. Für den Song „In the Flesh“ verwandelt sich Waters in einen faschistischen Demagogen, der das Publikum nach unliebsamen Menschen scannt. Es ist eine Bühnenfigur. Daraus jetzt eine Hommage an die Gestapo zu konstruieren, ist schon abenteuerlich.
Auch wenn Waters die Vorwürfe „böswillig“ nennt, rudert er nun ein bisschen zurück – in Frankfurt, der letzten Station seiner Deutschland-Tour, lässt er Mantel und Armbinde in der Garderobe. Er spricht von einer Geste des guten Willens an alle, denen er in der Stadt nicht willkommen ist und die dabei auch mit der dunklen Geschichte der Festhalle argumentieren: In der NS-Zeit wurden von hier mehrere Hundert Jüdinnen und Juden deportiert.
Waters legt Palästinenser-Tuch um
Zu „In the Flesh“ fliegt dann aber wenigstens das Schwein, diesmal bedruckt mit den Namen von großen Rüstungskonzernen (Waters würde eher sagen: dem militärisch-industriellen Komplex) und dem Slogan „Die Armen bestehlen/den Reichen geben“. Zum Song „Déjà Vu“ gibt es den einzigen expliziten Beweis für Waters notorische Gegnerschaft zum Staat Israel.
Wahrscheinlich weil er weiß, wie hoch das Erregungspotenzial auf der anderen Seite ist, legt er für das Stück demonstrativ ein Palästinenser-Tuch um, während auf der Videowand diese Binsenweisheit erscheint (natürlich in GROSSBUCHSTABEN, hey, das ist Roger Waters!): „You can’t have occupation and human rights“ („Besatzungsregime und Menschenrechte schließen sich aus“).
Dieser Artikel ist zuerst in der „Siegener Zeitung“ erschienen.