„Tigermilch“: Rebellinnen im Berliner Sommer
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Abenteuerlustig und bereit zum Verlust der Jungfräulichkeit: Nini (Flora Li Thiemann, l.), Jameelah (Emily Kusche).
© Quelle: Constantin
Hannover. „Manchmal kann die Musik gar nicht laut genug sein, damit man das Leben nicht hört“, heißt es zu Beginn dieser Geschichte von zwei Mädchen, zwischen die kein Blatt Papier passt: Nini (Flora Li Thiemann) und Jameelah (Emily Kusche) sind beste Freundinnen seit Kindesbeinen. Die eine ist Deutsche, die andere hat einen irakischen Pass und den Wunsch, Deutsche zu werden. Die beiden streunen durch Berlin, es ist Sommer, in der Luft liegt ein Hauch von Freiheit und Abenteuer. Das Projekt „Defloration“ steht auf der Agenda, zwei tolle Jungs aus dem Freibad sind bereit. Nur klappt der erste Versuch nicht so richtig, zu viel Alkohol, zu viel Schüchternheit. Aber es eröffnen sich bald noch andere Möglichkeiten.
In der Zeit der Grenzüberschreitungen
Nach dem Jugendroman „Tigermilch“ von Stefanie de Velasco folgt Regisseurin Ute Wieland („Freche Mädchen“) den beiden durch die Hauptstadt. Es geht nicht nur um Spaß und Party, sondern auch um Ernstes und Verstörendes in dieser Zeit der Grenzüberschreitungen. Die Regisseurin kommt ohne pädagogischen Zeigefinger aus, das anfänglich stürmische Tempo beruhigt sich.
Die Handlung springt von Romantik zu Drama
Filmklammer sind drei dominierende Themen: die erwachende Sexualität, die drohende Abschiebung von Jameelah und ihrer Mutter in den Irak und der Clash der Kulturen im Sozialwohnungsblock. Die Handlung springt von Romantik zu Drama und zurück. Da tanzen die 14-Jährigen und veranstalten einen Liebeszauber mit Rosenblättern. Sie beobachten entsetzt den „Ehrenmord“ an einer Bosnierin, weil deren Liebe zu einem Serben angeblich die Familienehre beschmutzte, gehen mit Fremden ins Hotel, klauen ihnen Geld, und sie erleben die Härte der deutschen Bürokratie in der Ausländerpolitik.
Ziemlich viel wird in den Film gepackt, weniger wäre mehr gewesen, obgleich die Regisseurin schon einige Erzählstränge der literarischen Vorlage weggestrichen hat. Ute Wieland, die seit Jahren erstmals wieder einen eigenen Stoff umsetzt, sagt, es sei schwierig gewesen, dem Buch gerecht zu werden. Nun erzählt sie aus dem Blickwinkel der Jugendlichen vom Ende der Kindheit und vom Aufbruch in die Erwachsenenwelt, die mit ihren Lebenslügen nur marginal vorkommt.
Von der Kunst, einen Platz im Leben zu finden
Beim schmerzlichen Prozess, einen Platz im Leben zu finden, versinken die Mädchen nicht in Selbstmitleid, sondern entdecken die Lust an der eigenen Kraft. Man sieht ihnen gerne zu, wie sie trotz allem ihren Mut nicht verlieren. Dass die Story funktioniert, dafür sorgen die jungen Darstellerinnen als Teenie-Rebellinnen, die sich in der Pause auf dem Klo Tigermilch, ein Gesöff aus Milch, Maracujasaft und Weinbrand hineinschütten. Ihre Lebensfreude und ihr Lebenshunger sind mitreißend.
"Tigermilch"
, Regie: Ute Wieland, Länge 106 Minuten, FSK 12 Kino
Von Margret Köhler / RND