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Träumen mit Paul: das Album „Mc Cartney III – Imagined“

Paul McCartney hat ein neues Album herausgebracht.

Paul McCartney hat ein neues Album herausgebracht.

Winterlieder standen am Beginn und Ende des Albums „McCartney III“, das am 18. Dezember erschien, also einige Wochen nach Beginn des meteorologischen Winters 2020/21. Es begann mit dem Beinahe-Instrumental „Long Tall Winter Bird“ und der Frage „Do you miss me?“ – vermisst du mich. Und es endete mit dem Song „When Winter Comes“ und dem Wunsch, noch „die Zeit zu finden, ein paar Bäume auf der Wiese zu pflanzen, durch die der Fluss fließt – weil sie dann in einer Zeit, die noch kommen wird, einer armen Seele guten Schatten spenden könnten.“ In einer Zeit – das implizierte die heimelige Naturskizze – in der ihr Sänger, Paul McCartney, vielleicht keinen Schatten mehr braucht.

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Der Winter als Metapher für die letzte Phase des Lebens – obzwar McCartney zwischendurch auch noch von anderen Dingen wie verderblichen Frauen („Lavatory Lil“) und männlichen Models („Pretty Boys“) sang, beschlich einen ein mulmiges Gefühl, lag doch Abschiedsstimmung in der Luft. Das Album, das es ohne die für anderthalb Jahre konzertverhindernde Pandemie wohl nicht gegeben hätte, war eins fürs Innehalten, Nachdenken, Werte überprüfen. Schlichte Weisheiten wie „Bleib geerdet“, „Nutze den Tag“, „Wir müssen wachbleiben“ brachte der 78-jährige Ex-Beatle an den Hörer. „So intensiv ist die Freude des Gebens“ und „Es geht nach wie vor in Ordnung, nett zu sein“, sang Paul. Ein summa summarum in Songs.

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„McCartney III“ war das beatligste Album seit Langem

Zudem war es das beatligste Album, das seit den Tagen der Fab Four oder zumindest dem vierten und bislang letzten Album unter McCartneys Pseudonym The Fireman („Electric Arguments“ von 2008) erschien. Kein Schielen nach dem schnellen Hit, stattdessen die Zeitlosigkeit als Ziel. In den Stücken fanden sich Spurenelemente aus seinen frühen Tagen. Beatles-Gitarren, Beatles-Rhythmen, Wings-Stimmungen: Hier ein dunkles „Let It Be“-Piano, dort ein nobles Spinett-Solo wie einst bei „In My Life“.

Das kurze „Lavatory Lil“ klang wie ein verlorenes Stück aus der „Abbey Road“-Suite, „Slidin‘“ wie ein Vetter des Rockers „Come Together“. Und das folkige „When Winter Comes“ erinnerte an „When I’m 64“, wo McCartney sich schon als junger Mann vorgestellt hatte, wie es wohl wäre, alt zu sein. Das „doing the garden, digging the weeds“ von „Sergeant Pepper“ wird hier konkreter. Gärtner Paul muss die Küken und Lämmer vor zwei streunenden Füchsen beschützen, und einen Abzugsgraben ausheben, damit ihm das Karottenbeet nicht absäuft.

Paul erinnert an Dick Dale und seinen Riff aus „Misirlou“

Und mit einem Augenzwinkern zitierte er aus der Popmusikgeschichte auch jenseits seiner Überband: Das Gitarrenzwirbeln von Surfer Dick Dale aus dessen größtem Hit „Misirlou“ (aus dem Jahr, in dem „Love Me Do“ von den Beatles erschien, den meisten bekannt aus dem Film „Pulp Fiction“) baut McCartney in „Find My Way“ ein. Und schafft mit dem bezwingenden Riff im Opener „Long Tall Winter Bird“ zugleich eine Art Slowmotionvariante davon.

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Mitten im meteorologischen Frühling (der sich allerdings bislang noch ziemlich wie Winters Blinddarm anfühlt) erschien am 16. April – zunächst nur online – eine Version von „McCartney III“: „McCartney III – Imagined“ ist ein Cover- und Remixalbum des Originals, das der Künstler selbst kuratiert hat, das aber – um in Beatles-Songs zu sprechen – „mit ein bisschen Hilfe von Freunden“ entstand. Eine namhafte Reihe von Gästen, die von Beck („Loser“) über St. Vincent („MassEducation“) bis zu Blur- und Gorillaz-Chef Damon Albarn reicht, hat sich der Lieder angenommen. Hat die Tracks entweder als Remixe um McCartneys Stimme herum verändert oder Coverversionen mit eigenem Gesang eingespielt.

Dabei entstehen recht reizvolle Petitessen wie die vorab ausgekoppelte Version von „The Kiss of Venus“ des 25-jährigen Rappers Dominic Fike („Vampire“) aus Florida. Rhythmischer, tanzbarer, aber auch opulenter, poppiger, verspielter gerät der Song über Planeten und Göttinnen in der neuen Version. Dass in die Akustikgitarre der letzten zehn Sekunden noch eine Heliumstimme à la Micky Maus fährt, ist eine der wenigen „Hätte nicht sein müssen“-Momente der elf Bearbeitungen (zu denen sich seit 23. Juli - wo die CD- und Vinyl-Versionen erschienen, noch ein zwölfter Track von „Luther“-Darsteller und DJ Idris Elba gesellt).

Vieles klingt anders, alles ist trotzdem eindeutig Hommage. Der von den Beatles geprägte Britpop-Prinz der Neunzigerjahre, Damon Albarn, setzt vor „Long Tall Winter Bird“ ein beatleskes Intro und flicht den im Original durchgängig anklingenden, prägenden Riff erst ganz am Ende seines Remixes ein. Beck Hansen verpasst dem poppigen „Find My Way“ einen funkigen, submarinen Groove, durch den McCartneys Stimme mit ihrer Botschaft von Hilfe und Beistand seduktiv und mantramäßig hallt. Der britische R’n‘B-Sänger Blood Orange gibt „Deep Down“ mit Mellotron und Bläsern ein psychedelisch-souliges Ambiente.

Der US-Rapper Anderson Paak macht dann das traute Landleben von „When Winter Comes“ per Breakbeat tanzbarer. Während die amerikanische Songwriterin St. Vincent dem Kern des Songs „Women And Wives“ mit Gospelzutaten nahekommt. McCartney erzählt darin, wie man beim „Erjagen der Zukunft“ das Hier und jetzt zu vergessen droht, wie jeder eingeschlagene Weg die Lebensreise schwieriger machen kann. „Bekomm deine Füße auf den Boden“, so des Sängers Rat, „und halt dich bereit zur Flucht.“

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Gerockt wird auch: Kyuss- und Queens-of-the-Stoneage-Gründer Josh Homme dreht „Lavatory Lil“, die Warnung vor einer gierigen Abzockerin, deutlich stärker auf Bluesrock. Und richtig „Helter Skelter“-hart wird die Version von Radiohead-Gitarrist Ed O’Brien.

Phoebe Bridgers liefert die schönste Coverversion

Das schönste Lied? Phoebe Bridgers mit ihrer Interpretation von „Seize The Day“. Mit Kirchenglocken hebt ihre Coverversion an, und wenn sie in der ersten Strophe die Macht von Güte und Freundlichkeit beschwört, erinnert ihre versunkene Stimme an eine Billie Eilish auf Stippvisite im „Octopus‘ Garden“ – nur klingt die 26-jährige Kalifornierin (die 2019 in dem Song „Lied Motion Sickness“ ihre toxische Beziehung zum Musikerkollegen Ryan Adams öffentlich gemacht hatte) noch verwunschener.

Kleine Textkorrektur hin zu politischer correctness für die USA: Statt „Yankeezehen und Eskimos“ wie bei Paul McCartney drohen bei Bridgers im Winter „Megastores und Fleischfresser“ einzufrieren. Und ein Mellotron träumt hinter ihrer Stimme von den Strawberry Fields. Dieser Song zieht nicht nur gleichauf mit der Vorlage – er überholt sie.

Eine geänderte Liedreihenfolge ergibt eine andere Stimmung

Nicht bloß vereinzelte Worte, auch die Liedfolge wird geändert. Mit der positiven Aufbruchzeile „Ich finde meinen Weg, ich weiß, wo ich stehe“ von „Find My Way“ beginnt das Album „Mc Cartney III – Imagined“ und endet mit dem elfminütigen Remix von „Deep Deep Feeling“ des Massive-Attack-Mitbegründers Robert „3D“ Del Naja (der bei vielen immer noch im dringenden Verdacht steht, der geheimnisvolle Street-Art-Magier Banksy zu sein). „3D“ verwandelt den Song in eine glitzernd-elektronische Collage, und flicht Klangbezüge zu Kraftwerk und Pink Floyd ein. Es geht um das warme bis heiße Gefühl der Liebe, den „ocean of love“, der „das Herz bersten lässt“ und einem aber gern auch mal im Weg steht, sodass man sich manchmal wünscht, er möge verschwinden.

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Mit den letzten Worten dieses Songs – einem zweifachen „go away“, gefolgt von einem dreifachen „stay“ – verabschiedet sich Paul McCartney schließlich aus „McCartney III – Imagined“. Ein Finish mit der eindeutigen Aussage pro Gefühl, pro Liebe – quasi die realistischere Version des alten Beatles-Kommandos „All You Need Is Love“. Der Zuhörer wird in eine völlig andere Stimmung versetzt als beim Originalalbum, ein musikalischer Weg wird ihm gewiesen – durch den Frühling und durch den Sommer. Kein Goodbye, sondern ein Hallo! Kann man gut gebrauchen dieser Tage.

Paul McCartney & Gäste – „Paul McCartney III – Imagined“ (Capitol Records)

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