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Trotz der Corona-Beschlüsse: „Viele Theater werden am 22. März nicht öffnen“

Im Dezember haben Theater wie hier in Dortmund auf Initiative von Alarmstufe Rot ihre Häuser rot angestrahlt, um auf die Not der Spielstätten hinzuweisen.

Im Dezember haben Theater wie hier in Dortmund auf Initiative von Alarmstufe Rot ihre Häuser rot angestrahlt, um auf die Not der Spielstätten hinzuweisen.

Hannover. Theater, Kinos und Konzerthäuser dürfen ab dem 22. März laut der Corona-Beschlüsse vom Dienstag wieder öffnen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region 14 Tage lang unter 50 geblieben ist. Wenn sich der Inzidenzwert zwischen 50 und 100 befindet, dürfen die Spielstätten weiter geöffnet sein, es werden aber negative Testergebnisse von Besuchern nötig. Eigentlich eine gute Nachricht, oder? Wer sich aber in der Kultur- und Veranstaltungsbranche umhört, dem schlagen keine Jubelschreie oder Erleichterungsrufe entgegen.

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Im Gegenteil: Verwunderung hat sich breitgemacht. Und Theater-, Opern- und Musicalhäuser werden dem ersten Eindruck nach erst einmal nicht in Massen wieder geöffnet werden, selbst wenn sie das dem Papier aus der Ministerpräsidentenkonferenz nach könnten. Das berichtet Tom Koperek, Vorstandsvorsitzender von Alarmstufe Rot, des Aktionsbündnisses der Veranstaltungsbranche, auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). „Die meisten Theaterhäuser werden zum 22. März wahrscheinlich nicht direkt öffnen.“ Und das habe vielerlei Gründe. Der eine ist der Faktor Zeit: „Sie müssten schon heute sofort ihre Belegschaft aktivieren, um innerhalb einer Frist von 14 Tagen wieder aufzuschließen.“

Kritik an Corona-Beschlüssen: Die finanzielle Absicherung fehlt

Darüber hinaus kommt gerade bei privat geführten Häusern, also keinen Staatstheatern oder Staatsopern, auch die finanzielle Unsicherheit ins Spiel. „Ohne die Absicherung, dass die Investitionen, die die Theater jetzt tätigen, durch einen Ausfallfonds abgesichert werden, ist es zu riskant, jetzt aktiv zu werden – gerade bei Häusern in privater Hand. Diese Ausfallversicherung hatte Finanzminister Olaf Scholz schon vor Weihnachten angekündigt – und selbst wieder verschoben. Wir brauchen sie aber schnell.“ Ohne diese Versicherung gäbe es keine Planbarkeit.

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Bei dem Unternehmen Stage Entertainment, das unter anderem Musicals wie „König der Löwen“ produziert, spielt die Wirtschaftlichkeit ebenfalls eine Rolle. „Es fehlt der für uns entscheidende Punkt, nämlich die Frage des Abstandes. Solange es beim Postulat von 1,50 Meter bleibt, erlaubt das nur Gesamtbesucherzahlen, mit denen wir nicht kostendeckend spielen können“, sagt Pressesprecher Stephan Jaekel auf Anfrage des RND.

Vorerst keine Musicals von Stage Entertainment

Beide Gesprächspartner kritisieren die Kopplung der Öffnung an den Inzidenzwert. Denn sollte der wieder an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 steigen, müssen die Türen wieder schließen. Das bringe eine zusätzliche Unsicherheit. „Solange der Inzidenzwert die einzige Richtschnur bleibt, droht eine eventuelle Wiederschließung und damit weitere erhebliche Verluste für uns, wenn wir wieder schließen müssten“, so Jaekel weiter. Auch bei den Häusern des Musicalproduzenten werden Shows ab dem 22. März ebenfalls nicht auf die Bühne gebracht. „Insgesamt sind also Stand heute sehr gemischte Gefühle bei uns. Wir selber sind natürlich auf jeden Fall startklar innerhalb von sechs bis acht Wochen, sollten die Vorzeichen und Vorgaben genauer werden.“

Kino: Lüftungsanlagen und „schachbrettartige Sitzanordnung“

Ähnlich groß ist die Verärgerung der Kino-Betreiber. Zwar sei erfreulich, dass Lichtspielhäuser in der aktuellen Öffnungsplanung wenigstens erwähnt werden, betonte Christine Berg, Vorstand des Branchenverbandes HDF Kino. Gleichwohl führten die inzidenzbasierten Vorbedingungen dazu, dass das Wiederaufsperren „zeitlich unklar“  bleibe und womöglich auch nicht bundesweit erfolge. Berg spricht von einem schweren Schlag für die Filmtheater und von einer großen Hürde für den Start neuer Filme. Zahlreiche Blockbuster-Streifen liegen seit Monaten auf Halde – wie der neue James-Bond-Film. Und eine ganze Reihe hochwertiger Produktionen wird mittlerweile von Streamingdiensten vermarktet.

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Berg verweist auf ein aktuelles Eckpunktepapier, das Voraussetzungen  für  die Wiedereröffnung von Theatern, Konzerthäusern und Kinos auflistet. Es wurde unter der Federführung des Umweltbundesamtes erarbeitet. Die Autoren halten Öffnungen für vertretbar, sofern Lüftungsanlagen Außenluft in hinreichenden Mengen in die Veranstaltungsräume blasen. Um Abstände zu gewährleisten wird eine „schachbrettartige Sitzanordnung“ vorgeschlagen. Veranstaltungen sollen maximal zweieinhalb Stunden dauern und es soll eine Maskenpflicht geben – Letzteres lehnen die Kinobetreiber allerdings ab.

Alarmstufe Rot: Festivalsommer 2021 wird wahrscheinlich ausfallen

Alarmstufe Rot macht außerdem auf Schwierigkeiten für die Livebranche mit Konzerten und Festivals aufmerksam, also Veranstaltungen, die außerhalb eines festen Hauses stattfinden. Denn hier würde der Planungsvorlauf etwa drei bis sechs Monate betragen. „Unter den jetzigen Voraussetzungen wird der Festivalsommer 2021 ausfallen müssen. Denn ohne Ausfallversicherung werden die Veranstalter keine Investitionen tätigen.“

Veranstalter wünschen sich ein Abrücken vom Inzidenzwert

Koperek hat einen anderen Vorschlag: „Wir wünschen uns eine Doppeltest-Strategie. Der Besucher macht erst einen Corona-Test zu Hause, dann einen zweiten direkt am Veranstaltungsort. Sind beide negativ, erhält er Zugang zum Event. Denn damit eine Veranstaltung nicht zu einem Superspreader-Event wird, ist nicht die Frage wichtig, wie hoch der Inzidenzwert in einer Region ist, sondern wie wahrscheinlich es ist, dass ein mit Corona Infizierter an einer Veranstaltung teilnimmt. Mit dieser Strategie und bereits erprobten Hygienekonzepten wie Masken, Abstand und guter Lüftung, ist es weniger wahrscheinlich, dass sich jemand in einer Spielstätte ansteckt als im öffentlichen Nahverkehr. Das sagen die Experten, mit denen wir gesprochen haben.“

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Scharfe Kritik an den Beschlüssen übt der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. „Die ohnehin seit Monaten wachsende Verzweiflung der Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft wurde durch den Beschluss noch vergrößert. Ein weiteres Mal wurde versäumt, auch der Veranstaltungsbranche eine Perspektive zu geben“, sagt der Geschäftsführende Präsident Jens Michow. Für die Branche beginne das zweite Jahr des Lockdowns, ein Ende sei nicht in Sicht.

Mit Schnelltests oder dem Nachweis einer Impfung ließe sich jeder Veranstaltungsraum zu einer sicheren Zone gestalten und Veranstaltungen auch in Zeiten höherer Inzidenzraten risikolos durchführen, sagt Michow. „Wir erwarten, dass Bund und Länder hier unverzüglich nachbessern.“

Theaterverein: Chance für Aufführungen vor Ostern

Der Direktor des Deutschen Theatervereins, Marc Grandmontagne, sagte gegenüber dem RND: „Wir freuen uns zunächst einmal, dass es zur bisherigen Situation einen Strategiewechsel gab und die Kultur in den nun veröffentlichen Beschlüssen in jedem Öffnungsschritt mitgedacht wird.“ Es seien noch einige Fragen zu klären, es gebe jetzt aber eine Öffnungsperspektive und sogar die Chance für Aufführungen vor Ostern.

Dennoch: Dass die Kultur überhaupt bei den Öffnungsdebatten wieder auf dem Plan steht, darüber sind sowohl Alarmstufe Rot als auch Stage Entertainment froh. Für Jubelschreie reichen diese Beschlüsse aber nicht.

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