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Unkraut vergeht nicht: der sanfte Einwandererfilm „Minari“

Sucht eine neue Heimat für seine Familie: Steven Yeun als Vater Jacob in einer Szene des Films „Minari“.

Sucht eine neue Heimat für seine Familie: Steven Yeun als Vater Jacob in einer Szene des Films „Minari“.

Zumindest der kleine David (Alan S. Kim) ist begeistert: Da sind Räder dran am neuen Zuhause! Es steht auf einer Wiese im grünen Nirgendwo von Arkansas, seine ältere Schwester Anne (Noel Cho) und er begucken sich neugierig den geräumigen Trailer. Mutter Monica (Han Yeri) ist offenkundig weniger angetan. Mit verschränkten Armen bleibt sie demonstrativ erst einmal auf Distanz.

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Monicas Blick spricht Bände. Das soll ihr neues Heim sein? Dafür sind sie aus Kalifornien in die Pampa umgezogen? In diesen erkennbar in die Jahre gekommenen Wohnwagen und in dieses unscheinbare Fleckchen hat ihr Ehemann Jacob (Steven Yeun) das mühsam Ersparte gesteckt?

Jacob versucht bei der Ankunft nach langer Fahrt mit Mühe, die aufkeimende schlechte Stimmung klein zu halten. Eine Handvoll der saftig-braunen Erde hebt er hoch und lässt sie durch seine Finger rieseln: Koreanisches Gemüse für koreanische Einwanderer, wie sie selbst es sind, will er hier ziehen und eine neue Existenz für die Familie aufbauen. 30.000 Menschen aus ihrer Heimat würden jährlich in die USA ziehen. Der Markt muss einfach da sein.

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Mit den momentanen Jobs in der nahen Geflügelfarm soll es irgendwann vorbei sein. So wie auch schon in Kalifornien sortieren Monica und er weibliche und männliche Küken in Kisten. Männliche Tiere geben weder Eier noch gutes Fleisch. Sie werden „entsorgt“, wie Jacob seinem Sohn vorsichtig erklärt. Grauer Rauch kommt aus dem Schornstein der Fabrikanlage.

In sommerlich-flirrendes Licht hat Lee Isaac Chung sein Drama getaucht. Grillen zirpen, Insekten surren zwischen Blüten im Gegenlicht. Aber unter der idyllischen Oberfläche sind von Beginn an all die Konflikte spürbar, die sich in den nächsten zwei Kinostunden auftun werden. Der viel zitierte amerikanische Traum wird einem Praxistest unterzogen.

Erinnerungen an die eigene Kindheit

Das Leben in Arkansas wird immer wieder durch finanzielle Rückschläge und familiäre Katastrophen gefährdet. Irgendwann warten Jacob und Monica erschöpft mit ihrem herzkranken Sohn im Krankenhaus, und Jacob sagt: „Als wir nach Amerika gingen, hatten wir uns versprochen, dass wir einander retten. Stattdessen streiten wir nur.“ Präzise zeigt dieser Film die Zerrissenheit der Familie zwischen beiden Welten.

Chungs Drama gründet auf eigenen Kindheitserlebnissen im Arkansas der 1980er-Jahre. Dieser Film sollte sein letzter Versuch sein, in der US-Filmbranche Fuß zu fassen. Und dann hagelte es Preise schon bei der Premiere beim renommierten Sundance-Festival. Am Ende sammelte der von Brad Pitts Firma Plan B mitproduzierte Film im April dieses Jahres sechs Oscarnominierungen in den wichtigsten Kategorien.

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Nach „Parasite“ (2019) von Regisseur Bong Joon-ho war dies der zweite Film in koreanischer Sprache, den Hollywood geradezu umarmte. Das lässt sich durchaus als Zeichen für die wachsende Bereitschaft in der US-Filmbranche lesen, sich fürs Kino aus dem Rest der Welt zu öffnen. Den Oscar gewann schließlich die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong für die beste Nebenrolle: Sie spielt die eigenwillige Oma Soon-ja, die von den Eltern aus Korea nach Arkansas nachgeholt wird, um die Kinder zu betreuen.

Sardellen und Chili aus Südkorea

Ihre Ankunft im Wohnwagen zeigt die Liebe zum Detail, die diesen Film durchweg kennzeichnet: Als Soon-ja den aus Korea mitgebrachten Chili und die Sardellen auspackt, steigen ihrer Tochter Monica sofort die Tränen in die Augen. Erinnerungen kommen in ihr hoch: So roch und schmeckte die koreanische Heimat.

Für David aber ist der familiäre Neuzugang erst einmal gewöhnungsbedürftig: Diese Großmutter ist in seinen Augen gar keine richtige Großmutter. Sie kann weder kochen noch backen, schnarcht nachts lautstark in seinem Zimmer, flucht beim Kartenspielen, begeistert sich für Wrestling im Fernsehen, und Männerunterwäsche trägt sie auch noch.

Die Beziehung zwischen David und Soon-ja wird bald zum genauso komischen wie bewegenden Mittelpunkt von „Minari“. Zwei Sturköpfe begegnen und nähern sich vorsichtig einander an.

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Was in diesem Film gar nicht vorkommt, fällt einem erst nach und nach auf: Es gibt keine rassistischen Konfrontationen. In der Kirchengemeinde wird die Familie geradezu begeistert aufgenommen – obwohl die vier gar nicht an Gott glauben, sondern nur Anschluss suchen. Und Nachbar Paul ist genauso kauzig wie hilfsbereit.

Und was ist nun mit dem titelgebenden „Minari“, bei uns bekannt als koreanische Petersilie oder auch Wassersellerie? Die Samen dieses Gewächses hat die Oma aus Korea mitgebracht und an einem nahen Bach in den Boden gebracht. Bald sprießt das Grün kniehoch – und Großmutter Soon-ja formuliert sinngemäß gegenüber ihren Enkeln: Unkraut vergeht nicht, egal wo man es aussät.

„Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“, Regie: Lee Isaac Chung, mit Yoon Yeo-jeong, Steven Yeun, Han Yeri, Alan S. Kim, Noel Cho, 116 Minuten, FSK 6

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