Warum schreien Sie Regenwürmer an, Fahri Yardim?
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Schauspieler Fahri Yardim.
© Quelle: picture alliance/dpa
Das Fernsehpublikum kennt Fahri Yardim als Hamburger „Tatort”-Ermittler an der Seite von Haudrauf-Kommissar Til Schweiger – oder auch aus der Comedy-Serie „Jerks.”, in der Yardim eine peinliche Version seiner selbst spielt (die vierte Staffel läuft Ende August an). Jetzt kann man den 1980 geborenen Schauspieler als angehenden Naturburschen kennenlernen: In der Dokumentarserie „SaFahri – Eine Reise zu den Elementen” (Sky, ab 9. September) macht er sich aus seiner Heimatstadt Hamburg auf in die Wälder. Yardim will herausfinden, was Erde, Wasser, Feuer und Luft mit ihm zu tun haben – und was er zum Wohle des Planeten tun kann.
Herr Yardim, haben Sie heute schon einen Baum umarmt?
Heute noch nicht. Aber in Berlins Straßenschluchten finden sich auch gar nicht so viele Bäume, die sich umarmen lassen wollen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich auf meiner Reise zur Natur in der Sky-Dokureihe „SaFahri“ tatsächlich in Bäume verknallt habe.
Da sind Sie unterwegs in Wäldern, auf Bergen und an der Küste: Stand hinter der Umarmung so ein Idefix-Impuls, der Wunsch, die so heftig strapazierten Wälder zu schützen?
Mancher mag die Aktion plump nennen, vielleicht lächerlich: Aber dahinter steckte das Bedürfnis, der Natur wieder näher zu kommen. Die Umarmung war das plakativste Bild dafür. Man muss beim Bäumeumarmen nur erst mal die Angst überwinden, uncool zu wirken. Dann ist es ein erdendes Erlebnis, das sich esoterischer Verklärung entzieht.
„Für die Reise habe ich bewusst eine naive Seite bedient“
Und warum schreien Sie in der Serie einen Regenwurm an?
Es hat mich schockiert, was ich im Wald von einer Expertin gelernt habe: Regenwürmer sind nicht nur blind, sondern auch taub und stumm. In meinem Schrei steckte eine gewisse Verzweiflung: Ich hatte die absurde Hoffnung, die Taubheit des Wurms überwinden zu können. Ich denke, er hat ein klein wenig gezuckt. Fühlen kann er ja. Für die Reise habe ich bewusst eine naive Seite bedient: Ich wollte nicht als halbkluger Besserwisser im Wald herumlaufen.
Dafür wussten Sie über Wildschweine aber sehr gut Bescheid.
Beim Sexualverhalten der Tiere hatte ich tatsächlich ein partielles Expertenwissen: Eber können bis zu sechs Minuten lang ejakulieren.
Könnte man sagen, dass Sie sich ein klein wenig dumm gestellt haben auf Ihren Reisen?
Ich habe mich in eine Froschperspektive begeben, um dem Zuschauer, der Zuschauerin einen unbeschwerten Zugang zu ermöglichen. Oder lassen Sie es mich so sagen: Ich habe mich auf mich selbst ohne jeden Bluff eingelassen. Schon an der Uni hat es mich maßlos verwirrt, dass sich alle einem offensichtlichen Bluff unterwarfen. Alle taten schlauer, als sie waren. Als verstünden sie Adorno im ersten Semester. Alles Bluff! Oder Habermas: Der ist doch erst mal unlesbar. Es kann eine unglaubliche Befreiung sein, die eigene Unvollständigkeit einzugestehen und sich seinem inneren Trottel hinzugeben. Für eine echte Verbindung zur Natur brauchte ich diese unbefleckte Narrenfreiheit.
Narzisstischer Wunsch der Heilung
Sie sind doch ein Großstadttyp. Wieso sind Sie überhaupt losgezogen?
Ich spürte eine unglaubliche Erschöpfung. Wenn ich es auf einen Feind herunterbrechen sollte: Durch die Handysucht war mein Dopaminhaushalt völlig durcheinandergeraten. Dieses Hüpfen von Belohnungsmoment zu Belohnungsmoment hat mich schleichend ausgebrannt. Bis zu einem Punkt, an dem ich mir fremd wurde, mich kaum mehr spüren konnte. In meinen Reisen verbarg sich ursprünglich also auch ein narzisstischer Wunsch der Heilung.
Wie meinen Sie das denn?
Na ja, ursprünglich war es ein touristischer Ansatz: Ich schwenke ein paar Kameras im Wald und schaue, welche Wirkung die Natur auf mich entfaltet. Bitte heile mich, Natur! Das hatte was Konsumorientiertes. Aber je länger ich unterwegs war, desto ruhiger wurde ich. Die Natur hat eine milde Kraft, sie ist unwiderstehlich.
Das hat funktioniert, obwohl die ganze Zeit Kameras auf Sie gerichtet waren?
Ein gewisses Spannungsverhältnis blieb bestehen. Ganz und gar konnte ich mich unter Beobachtung nur schwer auf das Unmittelbare einlassen. Aber es war eine Annäherung.
Sind Sie anders aus dem Wald rausgekommen, als Sie reingegangen sind?
Klingt ein bisschen pathetisch, doch es hat sich in mir etwas beruhigt, was zuvor in Aufruhr war. Ein kleiner Pfad hat sich für mich eröffnet, wie es danach weitergehen könnte. Eine Aussicht darauf, was hinter der Fassade aus Sicherheit und Ernüchterung warten könnte. Es tut gut, im Moorschlamm abzutauchen oder mit nackten Beinen im Fluss zu stehen.
Ihr Handy bleibt seitdem länger aus?
Der Griff zum Handy ist ehrlicherweise schneller wieder zurückgekehrt, als ich es mir gewünscht hätte. Aber die Erfahrung der Ruhe hat sich tief verankert und drängt nachhaltig auf eine Reduktion.
Wovor haben Sie mehr Angst: vor einem Zeckenbiss oder davor, auf der Straße überfahren zu werden?
Zecken wecken größte Befürchtungen in mir. Nach jedem Drehtag habe ich akrobatische Verrenkungen unternommen, um auch die diffizilsten Körperregionen zu inspizieren – da sitzen die Flitzpiepen ja am liebsten. Je kleiner das saugende Viech ist, desto größer ist meine diffuse Angst. Trotzdem war ich zu feige, Teammitglieder zu bitten, ob sie mich hintenrum untersuchen könnten. Dagegen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich in Berlin nicht überfahren werde.
Haben Sie wenigstens Ihre Kindheit mit Pfeil und Bogen im Grünen verbracht?
Mein Wald war der Asphaltdschungel. Ich war auf zementiertem Boden unterwegs. Da fühlte ich mich wohl. Doch so sehr ich meine sozialen Kompetenzen in der Stadt erlernt habe, so sehr war da offenbar eine verdeckte Sehnsucht. Daran erinnert eine meiner Gesprächspartnerinnen in der Serie: Die allermeiste Zeit seiner Evolution hat der Mensch in der Natur verbracht.
Was hat Sie bei Ihren zahlreichen Begegnungen besonders beeindruckt?
Ich habe so viele Menschen getroffen, die sich dem Thema Natur voll und ganz verschrieben haben – Ranger, Landwirte, Bergführer, Fischer … Da bin ich neidisch geworden: Diese Menschen haben etwas Sinnhaftes im Leben gefunden, was spürbar ihre Persönlichkeit prägt. Ich dagegen bin als Jugendlicher aus dem unbedingten Bedürfnis heraus, geliebt zu werden, in eine ganz andere Richtung abgebogen und ausgerechnet Schauspieler geworden. Nur ist mir umso klarer geworden: Unsere Gesellschaft feiert nicht unbedingt die richtigen Vorbilder.
Sie wollen gar nicht von Fans angehimmelt werden?
Ich schäme mich manchmal für die Unverhältnismäßigkeit der Wertschätzung. Ohne Koketterie. Manchmal entdecke ich ein mildes Bereuen, dass ich mich nicht in eine andere Richtung bewegt habe. Erst recht, wenn ich mir anhöre, was sogenannte deutsche Stars in jüngster Zeit so von Bühnen herunterposaunen. Ein erbärmliches Bild.
Ist das eine Anspielung auf die Äußerungen deutscher Schauspieler zu Corona – etwa bei der zweifelhaften Aktion #allesdichtmachen?
Letztlich geht es mir nicht um Einzelne, sondern generell um die abnehmende Fähigkeit zu differenzieren und zur Abstraktion. Konkreter mag ich nicht werden, dazu bin ich zu feige. Es werden jedenfalls nicht immer die hellsten Kerzen ins Schaufenster gestellt. Anders gesagt: Wenn Pappnasen wie ich so sehr das Scheinwerferlicht genießen dürfen, dann wird deutlich, wie teilweise grotesk unsere Gesellschaft gestaltet ist. Aber lassen Sie uns bitte zurückkommen zum eigentlichen Star, der Natur.
„Der Kapitalismus hat nun mal die Fähigkeit, alles zu vereinnahmen“
Hinter der Natur steht ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig. Ist das Versenken in ihr auch Mode?
Der Kapitalismus hat nun mal die Fähigkeit, alles zu vereinnahmen. Alles wird Konsumgut. Sogar Che-Guevara-T-Shirts sind Verkaufsschlager. Waren es zumindest mal. Darin liegt oft sicherlich eine Perversion. Auch Sinnstiftendes wird zu einem Marktzweig, wenn sich Profit damit machen lässt.
Das hat Sie nicht gestört?
Trotzdem füllt die Natur ein tieferes Bedürfnis in uns allen. Sie ist und bleibt ein Gegengewicht zum vermarktbaren Wahnsinn. Andererseits habe ich noch nie verstanden, warum man teure Karbonstöcke braucht, um zum Nordic Walking aufzubrechen. Früher hieß es schlicht Wandern oder Spazierengehen. Ich kenne leider auch zu viele speckige Männer, die Bike-Magazine mit hochpreisiger Ausrüstung lesen. Nur Fahrrad fahren tun diese geilen Macker selten.
Dann erklären Sie mir doch bitte mal das Besondere am Waldbaden, dem Sie sich in der Serie hingeben.
Waldbaden tut auch dann gut, wenn jemand damit sein Geld verdient. Ich bin von meiner Begleiterin mit allen Sinnen durch den Wald geleitet worden. Da ergebe ich mich gewissermaßen der Seite des sinnvollen Konsums. Aber klar, man kann seinen Körper auch dehnen, ohne es Yoga zu nennen.
Sie sagen in der Serie, dass Sie die Erde als einen besseren Platz hinterlassen wollen. Gilt das auch jetzt noch, da keine Kamera außer jener an ihrem Zoom-Laptop auf Sie gerichtet ist?
Es ist mein Mantra, das ich wiederholt ausspreche, gerade weil es mir so schwerfällt, danach zu handeln. Obwohl ich um die Verwundbarkeit der Erde weiß und ein Fan von Greta Thunberg und Fridays for Future bin, komme ich nicht aus’m Quark. Die Diskrepanz ist fast schon bigott. Ich will mich mit meinem Mantra selbst anpeitschen. Und in dieser Serie wollte ich zusätzlich die eigene Behäbigkeit ergründen. Was hält mich trotz all der Bilder von Bränden und Überschwemmungen davon ab, etwas zu tun? Ich empfinde Mitgefühl – und verharre trotzdem in Passivität.
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Die Klimaaktivistin Greta Thunberg.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Okay, eine fiese Frage: Wie viel Kaffee aus Pappbechern haben Sie während der Dreharbeiten getrunken?
Das dürften einige gewesen sein. Ich finde aber nicht, dass ein sinnstiftendes Vorhaben daran scheitern darf, dass man sich in Widersprüchen verheddert. Ambivalenzen müssen wir uns erlauben. Sonst enden wir in einer moralischen Vollstarre. Meiner Ansicht nach wächst momentan das Bewusstsein, dass ein systematischer Wandel fürs Überleben auf der Erde dringend notwendig ist – allen Rückfällen zum Trotz. Es bringt nichts, uns unaufhörlich zu geißeln. Noch ist die Mehrheit von uns Teil eines alten Systems. Ja, ich bekenne, ich habe Kaffee aus Einwegbechern getrunken.
Tragen Sie Schuldgefühle mit sich, weil Sie jenen Generationen angehören, die diesen Planeten zerstören?
Natürlich! Und es ist auch richtig, dass die Jüngeren es laut anklagen. Auch dadurch bewegt sich etwas. Auch wenn es bei einigen Älteren kindlichen Trotz hervorruft. Zum Beispiel durch das Wegducken hinter der ewigen Leier vom geringen Anteil Deutschlands am gesamten CO₂-Ausstoß. Der falsche Begriff vom „alten weißen Mann“ meint ja nur das richtige Bild einer Generation von Egoisten. Klar schmerzt es, lieb gewonnene Privilegien infrage zu stellen. Es bringt aber auch wenig, nur nach Hauptverantwortlichen zu fahnden. Um es ordinär auszudrücken: Josef Ackermann hatte nun mal den Auftrag, die Deutsche Bank nach vorn zu ficken und nicht die Welt zu retten. Er stand nur beispielhaft für ein systematisches Problem. Die Empörung über die individuelle Schuld lenkt vom wichtigeren Vorhaben ab, die Machtverhältnisse so zu ändern, dass grundsätzliche Veränderungen möglich werden.
Auf Ihren Reisen tragen Sie stets einen Rucksack. Was war da drin?
Ertappt: fast gar nichts. Der Rucksack war ein Utensil, das Reisen symbolisieren sollte. Ich hatte zum Aufplustern alte Handtücher und Jogginghosen reingepackt, die ich nie getragen habe. Gereist bin ich ja tatsächlich, bloß mit Rollkoffer. Aber bitte, das darf das Publikum nicht wissen.
In ein paar Tagen läuft auch die vierte Staffel Ihrer Erfolgsserie „Jerks.“ an: Wie würden Sie Ihrem Kumpel Christian Ulmen das Waldbaden schmackhaft machen?
Ich hätte keine Chance. Christian würde mir viel Spaß wünschen und das auch von Herzen so meinen. Aber ich könnte ihn nicht dazu bewegen mitzukommen. Er sitzt lieber in seinem kleinen Schnittstudio und bastelt an „Jerks.“. Das ist sein Wald- und Seelenbaden. Da tanzt sein innerer Baummensch, sein Schrat.