Die Finsternis des Jahrhunderts

Am 21. August wird der Kernschatten einer totalen Sonnenfinsternis quer über die USA ziehen – ein Spektakel, nicht nur für Hobby-Astronomen.

Am 21. August wird der Kernschatten einer totalen Sonnenfinsternis quer über die USA ziehen – ein Spektakel, nicht nur für Hobby-Astronomen.

Washington D. C. . Echte Leidenschaft ist unstillbar. Trotz seiner 80 Jahre lässt sich Jay Miller in seiner Begeisterung nicht bremsen. Mit leuchtenden Augen und ausufernden Gesten schwärmt der weißhaarige Mann von den beeindruckendsten Minuten seines Lebens. Von den Sonnenfinsternissen, die er 1998 – damals im mexikanischen Curacao – und ein Jahr später in Straßburg erlebte. In diesem Sommer erwartet Miller nun seine dritte und angesichts seines Alters vielleicht letzte Sonnenfinsternis: “Es ist ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.“

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Am 21. August wird es in einigen Teilen der USA mitten am Tag dunkel. “Es ist ein unwirklicher Moment“, sagt Miller. Wenn sich zur Mittagszeit der Mond vor die Sonne schiebt, erscheint es, als ob eine unbekannte Kraft die Nacht vorgaukeln würde. Von einem Moment zum anderen fallen die Temperaturen, die Vögel hören auf zu zwitschern, Fledermäuse erwachen und die hellsten Sterne und Planeten sind zu sehen. Für manche Tiere ist es ein beunruhigender Moment, da sie nach dem Naturspektakel wieder in den Tagesrhythmus zurückfinden müssen.

“Für uns Menschen ist es einfacher. Wir wissen schon vorab, wie die Sonnenfinsternis abläuft“, erklärt Miller. Jeden Donnerstag steht er im Smithsonian Museum unweit des Kapitols in Washington Rede und Antwort, um Besuchern Grundlagen der Astronomie nahezubringen: “Ich arbeite seit 28 Jahren ehrenamtlich für die Welt außerhalb unserer Welt. Aber ich bin noch immer auf jeden einzelnen Zuhörer gespannt.“ Die Freude am Erklären ist Miller auch an diesem Nachmittag anzumerken. Als er sich außerhalb des Observatoriums auf dem Freigelände des Museums mit dem Reporter unterhält, gesellen sich mit der Zeit mehr und mehr Zuhörer dazu. Es vergeht keine Viertelstunde, da unterbrechen Kinder das Gespräch, um Fragen nach dem Ursprung und dem Ende der Sonne zu stellen.

Hobbyastronom mit Leidenschaft: Jay Miller arbeitet ehrenamtlich im Smithsonian Museum.

Hobbyastronom mit Leidenschaft: Jay Miller arbeitet ehrenamtlich im Smithsonian Museum.

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Um eine Antwort ist Miller nie verlegen: “Woher rührt Ihre Begeisterung für die Sonnenfinsternis?“, fragt ein Tourist aus Indien. Miller lacht. “Es ist ein Hobby, mit dem ich rund um die Erde reisen kann.“ Der studierte Biochemiker hat sich sein Interesse an der Astronomie über so lange Zeit erhalten, vielleicht weil er dieses Fach selbst gar nicht studiert hat: “Ich bin ja nur Laie. Als ich in Rente ging, habe ich ein paar Semester in diesem Fachbereich belegt.“

Geschadet hat ihm das entspannte Herangehen an das gewichtige Thema offenbar nicht: Das National Air and Space Museum in der US-Hauptstadt, das zu den meistbesuchten Museen der Welt zählt, weiß den Dienst des alten Mannes, der auf den ersten Blick etwas kauzig wirkt, zu schätzen. Mittlerweile melden sich sogar Schüler zu den Führungen an, deren Eltern sich einst selbst von Miller in die fernen Welten einführen ließen.

Das Phänomen der vorgegaukelten Nacht ist schnell erklärt: Der Mond schiebt sich vor die Sonne, bis nur noch ein leuchtender Strahlenkranz zu erkennen ist. Es ist letztlich nichts anderes als ein effektvoller Einstieg in ein abstraktes Thema, das sich sonst so schwer fassen lässt. Schnell ist die Rede von mehreren Millionen Jahren, von scheinbar unendlichen Entfernungen und der ewigen Frage, ob auch auf anderen Planeten Leben existiert.

“Nur ein Stern, der irgendwann erlischt“

Der 21. August erscheint Miller als ein perfekter Tag, um neue Astronomiefans zu gewinnen: “Dass die Sonne letztlich auch nur ein Stern ist, der irgendwann erlischt, erscheint verständlicher, wenn sie mitten am Tag plötzlich verdeckt wird.“ So blickt der Hobbyastronom in staunende Gesichter, wenn er auf die spannenden Momente zu sprechen kommt – zum Beispiel auf den 11. August 1999 in Stuttgart: “Ich war eigens aus Washington angereist. Und wenige Stunden vor dem eigentlichen Ereignis zog sich der Himmel zu und es fing an zu regnen“, erzählt Miller.

Um Haaresbreite hätte er die seltene Himmelskonstellation verpasst, hätte ihm nicht ein Freund angeboten, spontan nach Straßburg weiterzufahren. “Dort, gleich hinter der französischen Grenze, waren die Wetterprognosen deutlich besser.“ Und tatsächlich lohnte sich der kurzfristige Abstecher: Während die Stuttgarter auf dem verregneten Marktplatz standen und enttäuscht gen Himmel blickten, konnte Miller einige Fotos von der Sonnenfinsternis schießen, die er sich noch heute gern anschaut.

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Ohnehin erinnert Miller in diesen Wochen gern an das Ereignis von 1999 in Mitteleuropa: Diese Finsternis fand im selben Saros-Zyklus statt wie die diesjährige. Schon seit dem Altertum ist bekannt, dass sich Finsternisse in bestimmten Zyklen wiederholen: “In Stuttgart hatte ich mir fest vorgenommen, die nächste Sonnenfinsternis in diesem Zyklus anzuschauen – genau 18 Jahre später.“

Seltenes Schauspiel: Nur im kleinen Bereich des Kernschattens ist tatsächlich einen totale Sonnenfinsternis zu sehen.

Seltenes Schauspiel: Nur im kleinen Bereich des Kernschattens ist tatsächlich einen totale Sonnenfinsternis zu sehen.

Die Beschäftigung mit dem Saros-Zyklus oder mit der jahrtausendealten Geschichte der Astronomie ist indes keine Voraussetzung, um sich für eine Sonnenfinsternis zu begeistern. Das zeigt sich in Greenville in South Carolina. Die Region gilt unter Amerikareisenden zurzeit als Geheimtipp, da die Sonnenfinsternis an kaum einem Ort so lange zu beobachten sein wird wie in der 60 000-Einwohner-Stadt. “Wir erwarten einen Festtag. Viele Bekannte nehmen sich eigens Urlaub, um in unsere Stadt zu fahren. Und in den Betrieben herrscht zumindest für einige Momente Ruhe“, sagt Lukas Steinke. Der 35-Jährige leitet die US-Filiale einer Berliner Seilfabrik und lebt seit acht Jahren in Greenville. Gemeinsam mit seinen neun Mitarbeitern will er das Naturschauspiel im Vorgarten seines Bürogebäudes beobachten: “An so einem Tag sollten wir alle einen Moment innehalten. Es gibt eben Dinge, die größer sind als alles, was wir kennen.“

Einen weniger philosophischen Blick auf das kommende Ereignis werfen dagegen die Geschäftsleute in Charleston, wenige Hundert Kilometer von Greenville entfernt. Die Stadt, die nach dem englischen König Karl II. benannt ist, erinnert sich an eine lange zurückliegende Begebenheit: 1654 konnte Karl II. eine Sonnenfinsternis beobachten, die damals in Europa für Begeisterung sorgte. Das heutige Hotel King Charles Inn bietet daher gleich ein ganzes Paket für Sonnenfinsternisgäste an – es reicht vom Champagnerempfang bis zu einem Gastredner, der das astronomische Phänomen fachgerecht erläutert. Kurzerhand wird das Paketangebot auf eine Woche ausgedehnt und kostet mehr als 1000 Euro.

Andere Hotels wie das Harbourview Inn sind etwas zurückhaltender, locken ihre Gäste aber immerhin mit einer Mittagsparty auf dem Hoteldach – wobei ebenfalls ein Experte von der städtischen Hochschule, Fachbereich Physik und Astronomie, als Gesprächspartner zur Verfügung steht.

Einmalige Gelegenheit für Forscher

Auch wenn Amerikas Geschäftsleute besonders erfinderisch sind, um ein Naturschauspiel gewinnbringend zu vermarkten, lassen auch die Wissenschaftler aufhorchen: Ein ganzes Heer von Freiwilligen steht parat, um beim längsten Video mitzuhelfen, das jemals von einer Sonnenfinsternis gedreht wurde. “Für die Forscher ist es eine einmalige Gelegenheit“, sagt Mark Penn vom National Solar Observatory in Tucson.

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Da der Kernschatten über den gesamten nordamerikanischen Kontinent wandert, sei er lange aus relativ bequemen Positionen heraus zu beobachten. Die Forscher müssten sich nicht auf hohe See begeben oder in menschenarme Regionen reisen, um das Phänomen zu studieren, sondern könnten es quasi vor der Haustür beobachten. Das einzige Problem: Die Finsternis wandert schnell. So schnell, dass sich das Schauspiel nicht leicht begleiten lässt, sondern von mehreren Hundert Beobachtungsstationen aus dokumentiert wird.

Penns Interesse gilt vor allem der Sonnenkorona. Dieser Strahlenkranz lässt sich ohne besondere Hilfsmittel nur bei einer totalen Sonnenfinsternis beobachten und gibt seit Jahrzehnten Rätsel auf: Obwohl die Korona deutlich sichtbar von der Sonne entfernt liegt, besitzt sie eine höhere Temperatur als die darunterliegenden Schichten. “Es ist ungefähr so, als ob es immer wärmer wird, je weiter man sich von einem Ofen entfernt“, sagt Penn. Die Korona sei ein mysteriöses Objekt: “Wir verstehen noch immer nicht so richtig, woher die Energie der Sonnenwinde stammt.“

Einmal quer durch die USA: Der Kernschatten bewegt sich in 90 Minuten von der West- an die Ostküste.

Einmal quer durch die USA: Der Kernschatten bewegt sich in 90 Minuten von der West- an die Ostküste.

Neue Erkenntnisse verspricht sich Penn vom 21. August: In der Vergangenheit hätten die Forscher aus Tucson Sonnenfinsternisse nur für wenige Minuten beobachten können. Nun aber gebe es erstmals die Gelegenheit, das Phänomen über 90 Minuten zu verfolgen. “Dank der vielen Beobachtungsposten ist es fast so, als hätten wir einen vollständigen Film“, so Penn.

Wertvoll könnten nicht zuletzt die Aufnahmen von Laien sein: “Da wir die Strecke nicht vollständig abdecken können, setzen wir auf die Zuarbeit von weiteren Augenzeugen.“ Penn, der bereits zwei Sonnenfinsternisse beobachtet hat, kann den Besuch im Kernschatten jedenfalls nur empfehlen: “Sie können es fühlen, wie der Schatten über Sie hinweggeht. Und Sie spüren, dass etwas falsch ist.“

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Zu den vielen Zuträgern will sich erwartungsgemäß auch Hobbyforscher Miller gesellen. Der Sonnenfinsternisveteran reist eigens nach Wyoming, um eigene Videos zu drehen. Der Ort ist sorgfältig gewählt: “Mag ja sein, dass es viele Astronomiefans nach South Carolina zieht. Ich fliege aber nach Wyoming. Im Mittleren Westen ist das Wetter stabil.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass eine dichte Wolkendecke die Sicht auf das Spektakel nimmt, sei deutlich geringer als in der Nähe des Atlantiks. Miller lacht: “In meinem Alter darf ich nichts dem Zufall überlassen.“

Interview mit Dr. Manfred Gaida

Dr. Manfred Gaida ist Astronom beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Er ist einer der Autoren des Buches “Warum nimmt der Mond zu und ab? Mit 80 Fragen durch das Weltall“.

Dr. Manfred Gaida ist Astronom beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Er ist einer der Autoren des Buches “Warum nimmt der Mond zu und ab? Mit 80 Fragen durch das Weltall“.

“Man glaubte, ein Drache habe die Sonne verschlungen“

Wie viele totale Sonnenfinsternisse haben Sie schon gesehen?

Insgesamt zwei. Im August 1999 südlich von Karlsruhe – mit etwas Pech, denn es fing während der totalen Verdunkelung an zu regnen. Und am 29. März 2006 in der Türkei am Fluss Manavgat.

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Eine Finsternis kann bei den Betrachtern einen tiefen Eindruck hinterlassen – was haben Sie als Astronom dabei empfunden?

Bei der ersten Finsternis, die leider durch dichte Wolken getrübt war, empfand ich das Heranrasen des Kernschattens des Mondes mit gut 3000 Kilometern pro Stunde als überwältigend. Dieses Gefühl, einer kosmischen Geschwindigkeit unmittelbar ausgesetzt zu sein, erlebt man ja sonst nicht im Alltag. Sieben Jahre später war ich dann an der Meeresmündung des Manavgats höchst beeindruckt, wie der Horizont während der Totalität ringsum in ein rötliches Dämmerungslicht eingetaucht war. Und natürlich ist der Anblick der Korona, des Strahlenkranzes um die Sonne, einzigartig. So war die zweite totale Finsternis für mich besonders ergreifend, auch wenn man sich als Naturwissenschaftler den Ablauf des Phänomens natürlich in allen Einzelheiten erklären kann.

Früher reisten Astronomen um die halbe Welt, um Sonnenfinsternisse zu beobachten. Was hat die Wissenschaft dabei gelernt?

Es gab eine Vielzahl von Entdeckungen im Zusammenhang mit Sonnenfinsternissen. So hatte der englische Astronom Edmund Halley bei der Finsternis von 1715 festgestellt, dass der tatsächliche Verlauf des Totalitätsstreifens auf der Erde von dem zuvor berechneten abwich. Solche Abweichungen nahm man zum Anlass, Ort und Zeit historischer Finsternisse, wie sie unter anderem im alten Babylon beschrieben worden waren, zu überprüfen: Anhand der Aufzeichnungen wusste man, wo sie stattgefunden haben, doch nach den Berechnungen hätten sie an anderen Orten beobachtet werden müssen. Halley fand anhand einer der Abweichung im Jahre 1715 bestätigt, was er schon gut zwei Jahrzehnte zuvor durch ähnliche Vergleiche herausgefunden hatte, nämlich dass die Geschwindigkeit, mit der sich der Mond um die Erde bewegt, zunimmt. Später erkannte man, dass ein Teil dieser Beschleunigung in Wirklichkeit auf einer Verlangsamung der Erdrotation beruht.

Wie kommt die zustande?

Der Grund dafür ist die Gezeitenreibung: Mondanziehung und Fliehkraft rufen zwei Flutberge hervor, unter denen sich der Erdkörper Tag für Tag hindurchdreht und die dabei wie Bremsbacken wirken. Als Folge nimmt die Tageslänge in jeweils 100 Jahren um etwa zwei Tausendstelsekunden zu. Das ist zwar ein sehr kleiner Effekt, aber er führt dazu, dass bereits in 2000 Jahren die Vorhersage einer Finsternis um 50 Längengrad auf dem Globus vom richtigen Ort abweicht, wenn man bei der Berechnung die Zunahme der Tageslänge unberücksichtigt lässt.

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Was hat man über die Sonne selbst herausgefunden?

Man kannte natürlich die bei einer Finsternis mit bloßem Auge zu beobachtende Sonnenkorona, also den Strahlenkranz der Sonne, und die bogenförmigen, leuchtenden Materieströme, die Protuberanzen. Mithilfe von Fotografien konnten Astronomen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts klar nachweisen, dass diese Effekte tatsächlich zur Sonne gehören und nicht zum Mond und auch keine rein atmosphärischen Erscheinungen sind, die nur bei Sonnenfinsternissen zutage treten. Auch entdeckte man im Jahr 1868 bei einer Sonnenfinsternis im Spektrum der Sonne ein chemisches Element, das man damals auf der Erde noch nicht kannte und nach dem griechischen Wort für Sonne Helium nannte. Nur ein Jahr später fand man dann bei einer anderen Finsternis in der Korona ein weiteres neues Element, das sogenannte Coronium, welches sich später als ein hochangeregter Zustand von Eisenatomen entpuppte.

Die Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 hat Albert Einstein schlagartig weltberühmt gemacht – was ist damals passiert?

Das ist eine spannende Geschichte. Schon Isaac Newton hatte Anfang des 18. Jahrhunderts die Frage aufgeworfen, ob Licht nicht in der Nähe von schweren Körpern durch deren Anziehungskraft abgelenkt würde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts berechnete dann der Münchner Astronom Johann Georg von Soldner als Erster einen Wert für diese Ablenkung am Sonnenrand. Er kam auf weniger als eine Bogensekunde, den 1800. Teil des Vollmonddurchmessers – ein winziger Winkelwert. Als Albert Einstein gut hundert Jahre später 1915 seine allgemeine Relativitätstheorie fertiggestellt hatte, ergab sich aus seiner Theorie der Raumkrümmung für die Ablenkung des Lichts am Sonnenrand ein doppelt so großer Wert, nämlich 1,75 Bogensekunden. Trotz des Ersten Weltkriegs gelangte Einsteins Arbeit, von dem niederländischen Astronomen de Sitter übersetzt, nach England, wo man alsbald Pläne schmiedete, während einer kommenden Sonnenfinsternis die mögliche Ablenkung des Sternenlichts am Sonnenrand zu prüfen. So begaben sich dann bald nach dem Kriegsende mehrere britische Astronomen und Techniker unter der Leitung von Arthur Eddington und Frank Dyson Anfang März 1919 auf dem Seeweg nach Sobral in Brasilien und zur Insel Príncipe im Golf von Guinea. Dort fotografierten sie von ihrem jeweiligen Beobachtungsort aus das Himmelsfeld, in dem während der knapp siebenminütigen Totalität helle Sterne nahe der verfinsterten Sonne sichtbar wurden. Der Vergleich der Fotoplatten mit solchen, auf denen dieselben Sterne nachts, also ohne Sonne, zu sehen waren, ergab einen akzeptablen Wert für die Ablenkung der Lichtstrahlen, wie ihn Einstein vorhergesagt hatte. Damit galt die allgemeine Relativitätstheorie als bestätigt und die Finsternis vom 29. Mai 1919 ging als die bisher bedeutendste in die Geschichte der Astronomie ein.

Mit Fotos von der Sonnenfinsternis 1919 wurde die Relativitätstheorie bewiesen.

Mit Fotos von der Sonnenfinsternis 1919 wurde die Relativitätstheorie bewiesen.

Welche wissenschaftliche Bedeutung haben Finsternisse heute?

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Für fundamentale Fragen der Grundlagenforschung ist ihre Beobachtung generell nicht mehr nötig. Trotzdem dienen sie weiterhin als präzise Zeitmarker für langfristige Veränderungen der Erdrotation und der Mondbahn. Insofern sind Finsternisse, das exakte Eintreffen all ihrer Phasen, stets ein Test dafür, ob das Weltbild, das wir uns auf dem Papier und mit Computern zurechtlegen, der Natur standhält oder angepasst werden muss. Manche Detailfrage versucht man freilich auch heute noch mit Hilfe einer Sonnenfinsternis zu studieren. So fördert die Nasa bei der kommenden Sonnenfinsternis am 21. August elf kleinere Forschungsprojekte, die sich mit speziellen Fragen zu Sonne, Erde und Instrumententechnik befassen.

Heute weiß man ja genau, wie eine Sonnenfinsternis entsteht, aber wie hat man sich vor Jahrtausenden die „schwarze Sonne“ erklärt?

Für die meisten Menschen war es gewiss ein Schock, wenn sich die Sonne verfinsterte. Sie wurde ja als Quell des Lebens und als Gottheit verehrt. Wenn sich die Sonne also verdunkelte, galt dies als schlechtes Omen, als böses Zeichen oder günstigstenfalls als eine deutliche Mahnung der Götter zur Umkehr. Im alten China glaubte man auch, ein Drache habe die Sonne verschlungen. Mit Trommelschlägen und schrillem Gesang versuchten die Chinesen, das Untier so zu erschrecken, dass es die Sonne wieder ausspie – was glücklicherweise auch immer gelang. Die Furcht vor der Finsternis führte übrigens dazu, dass frühere Herrscher ihre Astronomen, die zugleich Gelehrte und Priester waren, anwiesen, den Himmel genauestens zu beobachten und dessen Zeichen zu deuten.

Seit wann können Astronomen Finsternisse vorhersagen?

Das war schon den Gelehrten im alten Babylon möglich: Durch jahrzehntelange Beobachtung, vor allem der Mondfinsternisse, fanden sie den sogenannten Saros-Zyklus. Diesem zufolge wiederholen sich ähnlich verlaufende Finsternisse nach einem Zeitraum von 18 Jahren, zehn oder – je nach der Zahl der Schaltjahre – elf oder zwölf Tagen und acht Stunden. Zur selben Saros-Serie zählen übrigens die Sonnenfinsternis, die am 11. August 1999 in Deutschland zu sehen war und – als ihre direkte Nachfolgerin – die Great American Eclipse am 21. August in den USA.

Nicht immer haben Finsternisse Unheil verkündet: Im 6. Jahrhundert vor Christus soll in Kleinasien ein langjähriger Krieg beendet worden sein, weil die Kämpfer glaubten, die Götter missbilligten das endlose Blutvergießen. Wie glaubwürdig sind solche Berichte?

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Diese Geschichte zeigt jedenfalls, dass sich Unwissenheit in einigen Fällen auch positiv auswirken kann. Ob solche Berichte stimmen, ist nicht immer leicht zu sagen. Oft entstanden im Laufe der Zeit Legenden, die verschiedene Ereignisse vermischten. Eine davon ist sicher die Geschichte der beiden chinesischen Astronomen Ho und Hi, die hingerichtet worden sein sollen, weil sie dem Kaiser eine Finsternis nicht vorhergesagt hatten.

Aber man kann heute ja auf Tausende Jahre zurück berechnen, wann Finsternisse stattgefunden haben. So müsste man doch die historischen Berichte über sie überprüfen können – beziehungsweise die berichteten Ereignisse genau datieren können?

Dazu müsste das Berichtete historisch zutreffend sein. Manchmal fangen die Unsicherheiten schon bei der Übersetzung an: So kann ein falsch gedeutetes Wort dem Text einen verkehrten Sinn geben. Und manches darf man nicht wörtlich nehmen: Wird von einer Finsternis gesprochen, könnte es auch bloß darum gehen zu verdeutlichen, dass hier ein besonders düsterer Moment der Geschichte stattfand – so wird im Neuen Testament berichtet, dass während der Kreuzigung Jesu eine dreistündige Verfinsterung über das ganze Land kam, die sich jedoch historisch einer bestimmten Sonnen- oder Mondfinsternis nicht eindeutig zuordnen lässt.

Fliegen Sie auch in die USA, um sich das Schauspiel anzusehen?

Nein. Ich werde mir eher eine andere Finsternis aussuchen, die länger dauert und für die ich unter Umständen nicht so weit reisen muss. Im nächsten Jahrzehnt gibt es zwei Finsternisse, die recht attraktiv sind. Ich meine, man sollte heutzutage allein wegen einer Finsternis nicht so weit reisen, sondern dabei noch andere Ziele im Auge haben: Am Ende reisen Sie sonst Tausende Kilometer, um ein zwei bis drei Minuten langes Schauspiel zu bewundern – und dann zieht sich der Himmel zu …

Interview: Udo Harms

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Von Stefan Koch

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