Sieg über die stillen Killer
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Klein und tückisch: Die potenziell tödliche Schlafkrankheit Trypanosoma Cruzi wird durch einen einzelligen Parasiten ausgelöst, der nur wenige Mikrometer winzig ist.
© Quelle: iStock
Hannover. In den ärmsten Ländern der Welt leiden Millionen Menschen unter Krankheiten, die eigentlich gut zu bekämpfen wären – wenn es nicht an Aufklärung, Geld und Medikamenten mangeln würde. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von den „neglected tropical diseases“, den vernachlässigten Tropenkrankheiten, weil die Industrienationen ihnen lange Zeit wenig Aufmerksamkeit schenkten. Das hat sich inzwischen geändert: Seit einigen Jahren widmet sich die WHO verstärkt dem Kampf gegen Krankheiten, die vor allem ein Problem tropischer Regionen Afrikas, Asiens sowie Mittel- und Südamerikas sind. Der Plan ist es, sie eines Tages ganz auszulöschen.
Bei einer ursprünglich weit verbreiteten Dracontiasis, der Infektion mit dem Guineawurm, scheint das schon fast gelungen. Der äußerst langlebige, bis zu ein Meter lange Parasit nistet sich über viele Jahre im Organismus seines Wirts ein und peinigt ihn mit Entzündungen, Geschwüren und Fieberschüben. Nur 25 Fälle hatte die WHO im Jahr 2016 noch registriert, 2007 waren es noch fast 10 000 gewesen, in den Achtzigerjahren gab es mehr als drei Millionen pro Jahr. Geholfen hatte ein recht simples Programm: Es gibt kein Medikament, das gegen den Guineawurm hilft, deshalb betrieb die WHO Aufklärung über die Infektionswege.
Weil die Ansteckung über das Trinkwasser erfolgt, riet man Menschen, ihr Wasser mit Baumwolltüchern oder speziellen Filtern zu klären. Zudem wurden die Zugänge zu sauberem Wasser ausgebaut. Wer sich bereits mit dem Wurm infiziert hatte, sollte sich möglichst schnell behandeln lassen und von Gewässern fernhalten, die der Trinkwassergewinnung dienen. Zusätzlich wurden winzige Krebstiere im Wasser chemisch bekämpft, die zur Verbreitung des Guineawurms beitragen.
Erfolgreich gegen die Schlafkrankheit
Erfolge gab es auch bei der Bekämpfung anderer Parasitosen, wie der Schlafkrankheit, die zu einer verheerenden und oft tödlichen Schädigung des Nervensystems führt, und der Onchozerkose, die unbehandelt zur Erblindung führt.
Damit sei es aber noch nicht getan, sagt Jürgen May. Er ist Sprecher des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten und am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin tätig. „Auch wenn es in den letzten Jahren Erfolge gab, darf man sich jetzt nicht zurücklehnen“, sagt der Professor. „Gerade die letzten Meter bis zur Auslöschung einer Krankheit sind oft sehr schwierig.“ Als Beispiel nennt er Programme gegen Polio, die Kinderlähmung. In Nigeria galt die Krankheit durch Impfungen als so gut wie besiegt – bis im vergangenen Jahr neue Fälle auftraten. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, die Impfung würde zur Unfruchtbarkeit führen. Auch der Terror durch die radikalislamistische Miliz Boko Haram hatte das Gesundheitsprogramm behindert.
Anstrengungen dürfen nicht nachlassen
Aber nicht nur unvorhergesehene Ereignisse, sondern auch ein Nachlassen der Anstrengungen könne den Erfolg von Jahren zerstören, sagt May: „Und man sieht ja leider immer wieder, dass das Interesse der Geldgeber abnimmt, sobald Erfolge vermeldet werden.“
Auf der WHO-Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten stehen weder Zika noch Ebola, für die es ohnehin schon viel Aufmerksamkeit gibt – auch weil Industriestaaten deren weltweite Ausbreitung fürchten. Sondern vor allem leicht bekämpfbare Leiden, die chronisch verlaufen und Erkrankte lange Zeit oder dauerhaft arbeitsunfähig machen. Behandlungen können sich die Betroffenen dann erst Recht nicht mehr leisten. „Es besteht ein Kreislauf aus Armut und Krankheit, den es zu durchbrechen gilt“, sagt May. Auf der WHO-Liste würde er aber gern noch weitere Krankheiten sehen, etwa Typhus oder andere speziell in Afrika verbreitete Salmonellosen. „Im Grunde“, sagt May, „sind fast alle Tropenkrankheiten vernachlässigt.“
Das allmählich einsetzende Umdenken habe auch mit den Eigeninteressen der Industrienationen zu tun, meint May: „Inzwischen sieht man, dass Armut und Krankheit Fluchtgründe sind.“ Zudem sei klar geworden, dass Krankheit in armen Ländern auch Auswirkungen auf das Weltwirtschaftsgeschehen habe. Was man vor allem nicht vergessen dürfe: Unsere Wirtschaft habe von der Ausbeutung von Rohstoffen profitiert, die zur Armut und Abhängigkeit afrikanischer Länder beitrug. „Daher gibt es jetzt auch eine Verpflichtung zu helfen.“, ist der Tropenmediziner überzeugt.
Von Irene Habich/RND