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100. Geburtstag

Freie evangelische Gemeinde Borna hat nur noch acht Mitglieder

Rita Merkel vor dem Kreuz im Festzelt

Rita Merkel vor dem Kreuz im Festzelt.

Borna. Ein riesiges weißes Zelt steht auf der Wiese neben dem Supermarkt in der Magdeborner Straße in Borna. Darin könnten 400 Leute ein zünftiges Dorffest feiern. Doch hier geht es um etwas anderes. „Gott ERlebt“ heißt es auf einem blau-grünen Banner über dem Eingang.

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Im Inneren des beheizten Zeltes gibt es eine geräumige Bühne sowie Tische und Stühle für etwa 80 Besucher. Aus dem Lautsprecher erklingt ein Lied über Jesus Christus, der stets beim Gläubigen weilt – vor und hinter, rechts und links, über und unter ihm, heißt es darin. Seit vergangenem Freitag feiert hier die Freie evangelische Gemeinde (FeG) ihren 100. Geburtstag.

Zukunft der kleinen Gemeinde ist ungewiss

Jeder Tag steht unter einem bestimmten Motto. Diesmal heißt es „Aber was fehlt mir noch zum Glück?“. Knapp 60 Leute sind gekommen. Viele von ihnen singen mit Inbrunst „Denn der Herr tut heute noch Wunder, Stunde um Stunde, Tag für Tag“, begleitet von Michael Wendler am Keyboard, ein Musiker aus Wilkau-Haßlau bei Zwickau, der sich „MicWen“ nennt.

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Rita Merkel vor dem Kreuz im Festzelt

Rita Merkel vor dem Kreuz im Festzelt.

Rita Merkel stimmt bei all seinen Liedern ein. Sie ist nach dem plötzlichen Tod von Klaus Pagenkopf in der vergangenen Woche Hauptakteurin der kleinen FeG in Borna, die nur noch acht Mitglieder hat. Der Altersdurchschnitt ist hoch. Ihren Sitz hat diese Freikirche in der Altstädter Gasse, wo jeden Sonntag Gottesdienst ist. "Wir haben eine 100-prozentige Beteiligung", sagt die 56-jährige Christin.

Streitthema Homosexualität in der Freikirche

Sie zeigt auf die Festschrift zum 100. Jubiläum. Auf dem Titelblatt ist ein Baum zu sehen, der auf der einen Seite abgestorben ist und auf der anderen Seite blüht. „So sieht es jetzt in unserer Gemeinde aus“, sagt sie. Wie es weiter geht, sei ungewiss, „Gott wird uns führen“.

Als Teenager habe sie zu Gott gefunden, später ein theologisches Fernstudium absolviert und seit 2007 die Predigterlaubnis. Die zweimal geschiedene Mutter von sechs Kindern verließ wie andere auch die Evangelisch-lutherische Landeskirche. Ein wesentlicher Grund sei für sie die erlaubte Homosexualität in Pfarrhäusern gewesen.

Vorm Zelt spielen zur Begrüßung  Michael Kärmer (l) und Tobias Stephan

Vorm Zelt spielen zur Begrüßung Michael Kärmer (l.) und Tobias Stephan.

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Dieses Thema sorgt seit Jahren für Kontroversen. Die Freien evangelischen Gemeinden sehen Homosexualität laut Bibel als Sünde und raten "Betroffenen" zu Enthaltsamkeit und Therapien. Der Lesben- und Schwulenverband kritisierte dies als "homophoben und gefährlichen Humbug". Selbst in Kirchenkreisen wird diese Haltung oft mehr als kritisch gesehen.

Rita Merkel: „Es geht ganz klar um Missionierung“

Für das Geburtstagsfest im großen Rundzelt habe die Gemeinde nahezu die kompletten Ersparnisse genommen, berichtet Merkel. Es gehe „ganz klar um Missionierung“. Nicht nur bei den Abenden im Festzelt, auch tagsüber seien Christen in Borna unterwegs und würden Menschen ansprechen.

„Die Reaktionen sind unterschiedlich“, sagt sie. „Viele wollen davon nichts wissen.“ Das sei in solch einem atheistischen Landstrich aber nicht verwunderlich. Ein Blick in die Statistik, was die beiden großen Kirchen betrifft: Danach sind in Sachsen 18 Prozent der Bevölkerung protestantisch und knapp vier Prozent katholisch – der Bornaer Raum liegt deutlich darunter.

Evangelisationsteam tourt mit Zelt durchs Land

Das Fest bedeutet einen großen Aufwand. Beträchtliche Hilfe, auch finanzieller Art, komme, wie Merkel sagt, vom Evangelisationsteam, dem es vor allem ums Missionieren geht. Es entstand 2005 unter dem Dach der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. 2011 bekam es das Veranstaltungszelt geschenkt, mit dem die Christen seitdem durchs Land ziehen. Nach Querelen mit der Landeskirche gründete sich 2014 der Verein Missionswerk Evangelisationsteam.

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Freie evangelische Gemeinde Borna

– Der Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland ist eine evangelische Freikirche, versteht sich als „geistliche Lebens- und Dienstgemeinschaft“ und soll in Deutschland etwa 41.000 Mitglieder haben. Sie leiten ihr Selbstverständnis vom Neuen Testament her. Danach gehören zur Gemeinde Jesu nur solche, die eine persönliche Glaubensentscheidung für die Nachfolge Jesu getroffen haben.

– Der Unternehmer Gustav Weischet, Besitzer der Harmoniumfabrik in Borna, gilt am 25. Mai 1919 als Gründer der „Christlichen Gemeinschaft“. Diese wurde 1925 als Freie evangelische Gemeinde Borna in den landesweiten Bund dieser Freikirche aufgenommen.

– Die Mitgliederzahlen schwankten in den vergangenen hundert Jahren stark. Den Höhepunkt erlebte die Gemeinde in den 1970er-Jahren, als knapp 180 Gläubige zu ihr zählten. Das Gemeindehaus steht in der Altstädter Gasse in Borna.

Hier wird professionell missioniert, persönliche Schicksale spielen eine wichtige Rolle. So betritt im Festzelt eine Frau, die nur ihren Vornamen Sabine nennt, die Bühne und liest von einem Zettel ihre dramatische Lebensgeschichte ab, bei der sie zu Gott fand. Jahrgang 1964, als viertes von fünf Kindern geboren, Vater Alkoholiker, Mutter überfordert. Mit vier Jahren sei sie vom Vater geschlagen und mit sechs Jahren vom Stiefvater missbraucht worden.

Persönliche Schicksale auf der Bühne der Kirche

Mit 16 ging sie weg von zu Hause, absolvierte eine Ausbildung, arbeitete im Krankenhaus, „ich passte mich an“ und sie verschwieg ihre Vergangenheit, sagt sie. Auch nach Heirat und Geburt ihres Sohnes. Sie hoffte auf „ein Leben in Glück“. Doch es kam zur Scheidung. Der Sohn habe die „falschen Freunde“ gefunden und sei auf Abwege geraten. Sie sah keinen Ausweg mehr, berichtet von einem gescheiterten Selbstmordversuch.

2012 veranstalteten Christen in ihrer Heimatstadt, deren Namen sie nicht nennt, einen Vortrag, in dem es um Lebenssinn geht. Dabei sei ihr klar geworden, „wie allein und traurig mein Leben verlief“. Danach schrieb sie auf der Homepage gottkennen.de eine Mail. So habe sie Kontakt zu Christen und zum Glauben gefunden und verstanden, dass sie ihr „kaputtes und beschmutztes Leben erneuern kann“.

Zehn Tage lädt die Gemeinde jeden Abend ein, die Resonanz ist unterschiedlich

Zehn Tage lädt die Gemeinde jeden Abend ein, die Resonanz ist unterschiedlich.

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Es gebe immer noch Höhen und Tiefen, Zweifel und Ängste, aber es sei ihr gelungen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und loszulassen. Mit ihren Erfahrungen unterstütze sie gern das Evangelisationsteam auf Veranstaltungen.

Dazu gehört seit Jahren auch Andreas Riedel aus Vielau bei Zwickau. Er ist Hauptredner in Borna. Er nennt sich Evangelist, also ein Verkünder des Evangeliums. Der Mann ist Profi, mit Headset und rhetorisch geschult, er tritt regelmäßig im „Gott ERlebt“-Zelt auf, das durchs Land tourt.

Prediger bleibt allein am Kreuz

Riedel redet über ein erfülltes Leben, das seiner Meinung nach nur bei Jesus zu finden sei. Indem man die Gebote halte – und lerne, auf den „Mammon“ zu verzichten, „auf das meine, meine“ . Er spricht über eine Textstelle in der Bibel, in der ein gläubiger Mann beschämt von Jesus weggeht, als dieser ihn auffordert, seine Güter zu verkaufen und die Armen zu beschenken.

Der Redner hält nicht nur einen Vortrag, er missioniert und fordert am Ende seine nichtchristlichen Zuhörer auf, zu ihm ans Kreuz zu kommen und sich zu Jesus zu bekennen. Doch er bleibt mit seiner Bibel in den Händen allein am großen Holzkreuz – es sind entweder keine Atheisten im Zelt oder sie wollen das nicht.

Rita Merkel beunruhigt das nicht. Sie erzählt, dass sie vor einigen Tagen einen jungen Mann auf seinen Wunsch hin zum Kreuz im Zelt begleitet hat. Schon für den einen habe sich der ganze Aufwand gelohnt. Was mit ihrer Gemeinde wird: „Entweder es geht mit unserer Truppe weiter oder wir machen den Laden zu. Gott macht keine Fehler.“

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Programm: Noch zu drei Veranstaltungen lädt die FeG ins Festzelt in der Magdeborner Straße ein. Sonnabend, 19 Uhr: Aber wie gehe ich mit meiner Schuld um? Sonntag, 10 Uhr: Er bleibt. Sonntag, 13 Uhr: Gruß- und Dankstunde mit Musik.

Von Claudia Carell

LVZ

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