Zwischen Kampf und Resignation: Vater schreibt Buch über Crystal abhängigen Sohn
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Lange Zeit will der Vater nicht wahrhaben, dass sein Sohn crystalabhängig ist. Das Buch von Oliver Hope soll eine Warnung sein an alle, die denken: In unserer Familie passiert so was doch nicht.
© Quelle: Foto: Andreas Döring
Borna.Ausgerechnet beim Sport nimmt Max das erste Mal Crystal. In einer Nacht während des Karatelehrgangs bekommt der 15-Jährige den Stoff angeboten, sagt ja und hat seinen ersten Kick, den er nicht wieder vergessen kann. Der Vater Michael Schwarze ahnt davon nichts. Für ihn sind zu jener Zeit Drogen „nur ein Problem von kaputten, asozialen Familien“.
Doch bald hängt sein Sohn mit merkwürdigen Typen herum, haust in verdreckten Katen, kommt nicht mehr nach Hause – und verändert sich. Einmal sucht ihn der Vater tagelang, will schon bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgeben. Als er ihn findet, erschrickt er: „Er war irgendwie total anders, fast entstellt. Sein Mund war seltsam verzogen, seine Augen starrten ins Leere.“
Vorläufig festgenommen
Doch er denkt nicht an Drogen. Schließlich sagt ein Freund zu ihm, er gehe jede Wette ein, dass Max etwas nimmt und mahnt: „Zum Drogenkaufen braucht man Geld, viel Geld, das die so genannten Assis nicht haben.“ Er kenne „mehr als zehn Träger eines Doktortitels, die kiffen und Koks durch die Nase ziehen“. Michael Schwarze reagiert abwehrend: Keine Ahnung, wen er da so kennt, „aber wir reden hier von meinem Sohn“.
Der Anruf von der Polizei und die Einladung aufs Revier lassen ihn ebenfalls nicht wirklich aufschrecken. Er vermutet, dass sein Sohn ohne Führerschein Motorrad gefahren ist. Doch Max wurde in einem Auto kontrolliert, in dem 2000 Ecstasy-Tabletten lagen. Er steht im Verdacht, mit Drogen zu handeln und wird vorläufig festgenommen, Polizisten durchsuchen das Haus. Dennoch kann der Sohn seine Familie beruhigen. Er habe nicht gewusst, „dass die Typen mit Drogen zu tun haben“. In der Schule geht es immer weiter bergab. Die Lehrerin meint, wenn kein Wunder geschieht, muss Max die Klassenstufe wiederholen.
Gefahr eines Rückfalls besteht lebenslang
Schließlich hebt Max heimlich mit der Geldkarte seines Vaters eine hohe Summe ab. Michael Schwarze tritt vor Wut die Zimmertür seinen Sohnes ein, als dieser nicht öffnen will. Dann hört er das Geständnis, das ihm den Boden unter den Füßen wegzieht: „Ich habe das Geld für Drogenschulden gebraucht. Von dem Zeug komme ich einfach nicht mehr weg.“ Der Karatelehrgang liegt fast zwei Jahre zurück.
Der Vater bringt seinen Sohn zur Drogenberatung. Die erfahrene Fachfrau lässt sich nichts vormachen: „Mir ist schon klar, dass Lügen und Drogen zusammengehören, doch wenn du wirklich clean werden willst, solltest du mich nicht belügen. Also noch einmal meine Frage: Welche Drogen nimmst du?“ Max antwortet leise: „Kiffen und Crystal.“
Auch der Vater hört von ihr klare Worte: Eine Sucht könne man nicht mal so nebenbei lösen. „Es ist eine Krankheit und selbst wenn ihr Sohn es schafft, davon loszukommen, wird ihn die Gefahr eines Rückfalls ständig sein Leben lang begleiten.“ Doch er glaubt ihr nicht. Sein Kind sei eben mal in etwas hineingerutscht, das wird sich schon wieder hinbiegen lassen. Nach dem Entzug in der Klinik wird alles gut, denkt er, und kümmert sich mit Engagement um einen Therapieplatz.
Vorurteile begleiten Michael Schwarze, als er das erste Mal die Elternselbsthilfegruppe drogenabhängiger Jugendlicher besucht. Er erwartet „lauter Leute, die ich sonst mit der Bierflasche in der Hand vor der Kaufhalle“ sehe. Wie erstaunt ist er, als dort Verkäuferin, Friseurin, Beamtin, Ingenieurin, Architektin und Ärztin sitzen, lauter Mütter. Und wie nah gehen ihm die Schicksale. Die Tochter einer der Frauen war bis zum Heroin abgeglitten und spurlos verschwunden. Die Mutter hörte auf zu arbeiten und suchte wochenlang ihr Kind. Jeden Tag lief sie durch Leipzig, fragte Jugendliche, saß abends weinend im Zug, wenn sie wieder nach Hause fuhr. Endlich fand sie ihre Tochter, die nun in einer Langzeittherapie ist. Max’ Vater denkt dennoch: Mein Sohn muss beim ersten Versuch von dem Dreck loskommen.
Der ersten Entgiftung folgt der Absturz
Doch das gelingt nicht, obwohl es nach der Entgiftung erst mal aufwärts geht. Michael Schwarze bringt Max zu Freunden nach Tirol, wo er in der Gastronomie arbeitet. Dem jungen Mann geht es gut. Nach Monaten kehrt er nach Hause zurück, holt seinen Schulabschluss nach, beginnt eine kaufmännische Ausbildung. Dann der erste Rückfall. Mit viel Crystal kann Max zwölf Tage und Nächte am Stück wach sein. Selbst nahe Verwandte erkennen ihn in solch einem Zustand kaum, seine Gesichtszüge sind komplett verschoben, die Bewegungen muten spastisch an. Irgendwann muss der Körper schlafen, deshalb kifft Max. Weil das nicht mehr reicht, nimmt er zusätzlich Beruhigungstabletten. Dies schaukelt sich hoch: mehr Crystal zum Aufputschen, mehr Beruhigungsmittel, um irgendwann schlafen zu können.
Es sollen weitere Rückfälle folgen. Zwischendurch gibt es Zeiten, in denen alles gut scheint. Wieder eine Therapie, der Sohn schließt sogar seine Ausbildung ab. Dann bringt eine „falsche Freundin“ ihn zurück zu den Drogen... Irgendwann muss die Trennung sein, Michael Schwarze sagt zu seinem Sohn: „Es bricht mir das Herz, doch ich kann dies alles nicht mehr ertragen. Weder deinen Zustand noch neue Versprechen, die sicher bald folgen. Führe du dein Leben, wenn gewünscht eben mit diesem Drogendreck und ich führe meines. Ich bin am Ende meiner Kräfte.“
Der Autor und Vater meint heute: „Das Auf und Ab ist für die Familie des Betroffenen das Allerschwerste.“ Emotional ein Level zu ertragen sei nicht so schwierig, wie Hoffnung zu haben und kurze Zeit später zu wissen, „jetzt hat er sich wieder weggeschossen“. Sein Sohn sei derzeit in einem drogenfreien Leben angekommen, „wobei mir absolut klar ist, dass dies nicht automatisch so bleiben muss“. Darüber wird sein längst erwachsenes Kind täglich selbst entscheiden müssen.
Von Claudia Carell