Die Muldebrücke Wurzen: Seit zehn Jahren rollt der Verkehr über gigantisches Bauwerk
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Markenzeichen der Brücke: Das Zügelgurt-Fachwerk zieht noch heute die Blicke an.
© Quelle: Foto: Kathrin Tutschke
Wurzen. Jürgen Schmidt erinnert sich noch gut an den 9. September 2004 – jenem späten Nachmittag, an dem der damalige Ministerpräsident Sachsens, Georg Milbradt (CDU), in den Bagger stieg, um den Start zum Bau der neuen Muldebrücke einzuläuten. 33 Monate später – am 23. Mai 2007 – endete das Mammutprojekt mit einem Fest und Feuerwerk.
Doch diesen zehnten Jahrestag hat Wurzen glattweg verschlafen. Dabei, so Schmidt, sei der moderne Überweg selbst heute noch „der rote Teppich für die Wirtschaft in beide Richtungen der Bundesstraße 6 und das bedeutendste Bauwerk der Muldestadt“. Allein die Ansiedlungen der mittlerweile vergangenen Dekade führt der 66-Jährige auf die Brücke zurück. Dass die Errichtung des Viadukts inklusive der Ortsumgehung Bennewitz justament in seine Amtszeit (2001 – 2007) fiel, bezeichnet Wurzens Altbürgermeister als Glück im Unglück. Schließlich sorgte die Jahrhundertflut im August 2002 für einen Planungssprint in Rekordzeit.
Damals weilte er mit Familie gerade im Urlaub auf Usedom, als ihn der Anruf von Vize Gerald Lehne erreichte. Schmidt eilte sofort zurück, residierte drei Wochen lang im Stadthaus. Hier erhielt er die wohl erschreckendste Nachricht der Hochwasserkatastrophe. Grund dafür waren zwei Fotos, die der Wurzener Stadtarchitekt Hartmut Krause schoss. Am 13. August 2002 von der Damaschkestraße aus und zwei Tage danach am 15. August vom nahezu selben Standort. Die Bilder zeigten, dass die Wassermassen quasi über Nacht den Flussbettpfeiler weggespült hatten. Oben rollte aber immer noch der Verkehr über die B 6 – gut 25 000 Fahrzeuge pro Tag. Später ermittelten Experten ein Absenken der Fahrbahn um 17 Zentimeter.
Danach, erzählt Schmidt, ging alles rasend schnell. Die Brücke wurde gesperrt, Umleitungen eingerichtet und eine Behelfsstütze mit Hydraulikpressen gesetzt. Zugleich erhöhte sich für Wurzen die Chance, endlich eine neue Brücke zu erhalten. „Schließlich kämpften wir schon seit Mitte der 90er-Jahre für einen leistungsfähigen Überweg, um von der Stadtflucht aus Leipzig zu profitieren“, erzählt Schmidt, der zunächst ab 1994 als Beigeordneter unter Oberbürgermeister Anton Pausch arbeitete.
Die rasche Vorbereitungsphase bis zum Baggerbiss verdanke die Stadt vor allem Walter Christian Steinbach, von 1991 bis 2010 Leipziger Regierungspräsident. Unter seiner Leitung gründete sich ein Runder Tisch, der auch Probleme ins Auge fasste. „Wie zum Beispiel zwei Konfliktfelder: das Fauna-Flora-Habitat nördlich der Mulde und die Flächenbereitstellung durch die Nahrungsmittel GmbH.“ Planer entwickelten zwei Varianten – eine stadtferne mit Zielpunkt zwischen Wurzen und Nischwitz, sowie die stadtnahe, dem heutigen Verlauf. Wegen zu hoher Kosten und aufgrund des Naturschutzes schied die Version Nord aus. Auf Granit bissen die Verantwortlichen anfangs ebenfalls bei ihrer Idee eines Neubaus in Sichtweite der alten Brücke. Die Nahrungsmittel GmbH wollte für die sogenannte Westspange S 11 partout keinen einzigen Quadratmeter Gelände abgeben und zog sogar vor Gericht.
Heute, betont Schmidt, sei der vierspurige Überweg selbstverständlich geworden. Gleichwohl der Bau mit dem segelartigen Zügelgurt seinerzeit besonders an den Wochenenden Hunderte von Schaulustigen mit Kamera magnetisierte. „Ich sehe die Brücke als Lebens- und Wirtschaftsader Wurzens stets mit großer Freude, deren Bedeutung nicht hoch genug zu schätzen ist“ – und um die sich manche Anekdote rankt, wie Schmidt zum Schluss zum besten gibt. Denn nur ein einziges Mal in der langen Geschichte der Privilegierten Schützen-Gilde 1470 zu Wurzen feuerte die einstige Bürgerwehr nicht auf Feinde von außen, sondern auf ihre eigene Heimatstadt – von Bennewitzer Flur aus beim Milbradt-Besuch am 9. September 2004. „Zum Glück nur mit Salutschüssen, welche dennoch die Scheiben des Gebäudes der Firma Auto-Deckwerth scheppern ließen.“
Von Kai-Uwe Brandt