Sie ließ im TV die Puppen tanzen: Irmgard Pieper ist Wahl-Wurzenerin
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Irmgard Pieper (84) am Schreibtisch ihrer Wurzener Wohnung. Hier ist auch ihre Krimikomödie entstanden.
© Quelle: Haig Latchinian
Wurzen. Was tut eine fantasievolle Dame, die in der Corona-Zeit die Wohnung hüten muss, aber ein Freigeist bleiben will. Genau: Sie lässt sich nicht unterkriegen, macht das Beste draus und erfüllt sich einen lang gehegten Wunsch: Sie versucht sich erstmals als Autorin. Und tatsächlich, ab Seite 50 habe es ihr richtig Freude bereitet.
Nachdem sie die Geschichte am Computer lange ausgebrütet hatte, war sie sich plötzlich sicher, „das Ei zu legen“, lacht Irmgard Pieper. Die 84-Jährige will noch nicht zu viel verraten. Bei der Krimikomödie gehe es um Lena und Nobert, beide Mitte 20, WG-Bewohner irgendwo in Norddeutschland.
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Die Puppen auf der Bank hat Irmgard Pieper selbst gefertigt: Lena, die Blonde, ist Hauptheldin des Buches. Daneben sitzt ihre beste Freundin Sofia.
© Quelle: Haig Latchinian
Es läuft so lala, bis er spitz bekommt, dass sie erbt. Norbert, der von der eigenen Kneipe träumt, will Lena als Sponsorin gewinnen. Doch das Mädchen denkt gar nicht dran und bringt Norbert damit in Rage. Der trinkt und trinkt und verprügelt seine Mitbewohnerin am Ende sogar. Lena wehrt sich auf besondere Weise.
Bilder vom Krieg verstören
„Keine Angst“, baut die Wurzenerin gängigen Rollenklischees vor: Auf den 227 Laptop-Seiten seien die Frauen nicht nur gut, genauso wie die Männer nicht nur böse seien. Es handle sich auch um keine schwere Kost. „Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir auch mal ein wenig Zerstreuung“, findet die fesche Seniorin.
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Die aktuellen Bilder von Krieg und Leid verstörten sie zutiefst, sagt Pieper. Sie wolle nicht untätig bleiben und habe sich entschieden, den Reinerlös ihres Buches für die Flüchtlingskinder aus der Ukraine zu spenden. Denn auch sie selbst war Flüchtlingskind. „Zu viert kamen wir aus Schlesien und sind im Norden gelandet.“
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Irmgard Pieper auf ihrem Balkon. Sie genießt jeden Tag den Blick ins Grüne.
© Quelle: Haig Latchinian
Die Kinder beschimpften sie als „Flüchtlingssau“, weshalb sie sich minderwertig fühlte. „Dabei gab es gar keine Veranlassung dazu. Als einziges Mädchen in der Straße ging ich aufs Gymnasium. Ich hatte sogar zwei Klassen übersprungen.“ Sie musste zwingend gute Noten schreiben, damit der ohnehin armen Familie zumindest das Schulgeld erlassen wurde.
Zuarbeiten für Sendung mit Rudi Carrell
Sie spürte Tonnenlasten auf ihren schmalen Schultern, weshalb sie noch heute leicht gebeugt läuft. Gebeugt, nicht geduckt, betont die selbstbewusste Frau und gelernte Kindergärtnerin. Eigentlich wollte sie Ärztin werden, doch der frühe Tod des Vaters und die Pflege der Mutter bremsten sie aus. Hinzu kam eine geschiedene Ehe.
Doch die Mutter zweier Kinder wollte es allen zeigen. Sie spürte einige Talente in sich und ging in die Offensive. Für die Rudi-Carrell-Sendung „Am laufenden Band“ erdachte sie jede Menge Spiele. Nun hatte sie einen Fuß in der Tür und kam mit immer mehr Produzenten aus der Fernsehbranche in Kontakt.
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Irmgard Pieper in jungen Jahren mit Heini. So nannte sie die lebensgroße Puppe mit hoher Stirn, dicker Brille und verträumtem Blick.
© Quelle: privat
Sie baute lebensgroße Figuren, etwa jene Mamsell mit Schürze, die für Ferien auf dem Bauernhof warb. Gedacht war sie als Präsent für Carrells „laufendes Band“. Irmgard Pieper saß mit ihrer Mamsell in der Kantine der Fernsehleute und – wurde entdeckt. „Wie am Fließband“ lieferte sie nun Charakterköpfe aus Pappmaché, bezog sie mit Stoff und polsterte sie.
Puppe schafft es in die Tagesschau
Heraus kam etwa Heini mit hoher Stirn, dicker Brille und verträumtem Blick. In der Sendung „3 nach 9“ hatte er einen Auftritt. „Das große Buch der Heinzelmännchen“ wurde damals auf der Frankfurter Messe mit einem riesigen Zwerg vermarktet, den Irmgard Pieper gezaubert hatte: „Das Kerlchen schaffte es sogar in die Tagesschau.“
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Diese Puppe hatte Irmgard Pieper damals fürs Fernsehen kreiert. Die Mamsell mit Schürze sollte für Ferien auf dem Bauernhof werben.
© Quelle: privat
In der Unterhaltung mit einem Werbetexter platzte es eines Tages ganz zufällig und eher zynisch aus ihr heraus: „Weil ich es mir wert bin.“ Bei ihrem Gegenüber machte es sofort klick. Der Satz wurde zur Mutter aller Werbesprüche. Ein bekannter Kosmetikhersteller nutzt ihn noch heute weltweit und in vielen Sprachen.
Als die Tochter mit ihrer Familie nach Leipzig ging, zog auch Irmgard Pieper mit: „Ich will den Kindern nah sein.“ Im Muldental bewohnte sie ein Haus mit Garten, bis ihr das Grundstück zu groß und die Arbeit zu viel wurde. Sie nahm sich eine kleine Wohnung in Wurzen und genießt seitdem ihren Balkon mit Blick ins Grüne.
Wohlfühlen in Wurzen
Sie erfreut sich jeden Tag aufs Neue am Gezwitscher der Vögel. Sie liebt den nahen Park. Weil ihr das Laufen schwer fällt, setzt sie sich aufs Fahrrad. Sie langweile sich nicht, könne auch gut alleine. Für ihren Kasten mit den Flaschen hat sie ein Röckchen genäht. Für sich häkelte sie eine Jacke und restaurierte einen Spiegel.
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Irmgard Pieper zauberte diesen lebensgroßen Zwerg mit riesiger Zipfelmütze.
© Quelle: privat
Vom Schreibtisch aus sieht sie genau auf zwei Puppen, die sie zuletzt gebaut hat: Zwei beste Freundinnen auf einer Bank. Die eine ist Sofia, die andere Lena. Genau, die Lena. Die Hauptheldin ihrer Geschichte. Jetzt müsse sie nur noch einen Verleger für den Krimi finden und hofft bei ihrer Suche auch auf die Hilfe der LVZ-Leser.
Von Haig Latchinian