Aus der Reihe „Leipziger Stimmen“: Der Schriftsteller Clemens Meyer („Als wir träumten“) macht sich Gedanken über eine Welt, die angesichts der Kriegsschrecken gerade völlig ins Wanken gerät und über Erinnerungen, die helfen, das Chaos ein wenig einzufangen.
Leipzig.Viel geht mir durch den Kopf, während es langsam Frühling wird in der Tieflandbucht, durch die aber immer wieder die eisigen Winde aus dem Osten wehen, nannte man die nicht früher „Russenpeitsche“, aber dazu später mehr. Denn schwer fällt es, die Gedanken zu ordnen, was wollte man nicht alles schreiben und beschreiben, über welche unerhörte Begebenheit in unserer Stadt aufklären oder sie verklären, wo wird von wem welche Tradition ohne Sinn und Verstand beendet, wo türmen sich die Ärgernisse, warum hat die kleine Buchmesse der Stadt so gut getan und wird es jemals wieder eine große geben (Kulturministerin Roth war da und sagte: ja!), warum wurde ich auf der Eisenbahnstraße, auf Höhe des längst verschwundenen Kinos Wintergarten, mehrfach angesprochen, ob ich Drogen kaufen wolle, ich bin doch nur ein einfacher Trinker, aber der Wodka wird knapp und der Whisky teuer, vieles geht mir durch den drogenfreien Kopf.
Wann wird der nächste Drink im rehabilitierten Westin fällig (an dessen „Schuld“ ich übrigens nie glaubte), und worauf sollen wir trinken, auf alle Idioten dieser Welt? Auf unseren Leipziger Admiral Rudolph Bromme, geboren zu Anger bei Leipzig (Meinem Anger-Crottendorf! „,Moment!“, tönt es über die Crottendorfer Grenze, „Bromme gehört zu Reudnitz!“, schnell werden die Grenzen verschoben und umkämpft...), auf dass der gute Admiral eine Friedensflotte über die Elster in die Mulde, in die Elbe steuere (geht das überhaupt?), die Rietzschke ist ja trockengelegt inzwischen. Ach, ihr Gedanken, ist denn die ganze Welt am Wanken?