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Nach Suizid in Leipzig

Dolmetschen im Gefängnis: Weniger Missverständnisse, höhere Sicherheit

Die Dolmetscher Yvonne Helal und Hossameldin Moustafa in der Justizvollzugsanstalt Leipzig: Hinter ihnen befindet sich eines der Hafthäuser.

Die Dolmetscher Yvonne Helal und Hossameldin Moustafa in der Justizvollzugsanstalt Leipzig: Hinter ihnen befindet sich eines der Hafthäuser.

Leipzig. Halbzeit für ein neues Projekt: Seit Ende 2017 sind Yvonne Helal und Hossameldin Moustafa als Dolmetscher in der Justizvollzugsanstalt Leipzig (JVA) angestellt. Zuvor konnte die Gefängnisleitung lediglich Honorarkräfte buchen. Ein enormes Manko, das durch den Suizid des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr 2016 in der Leipziger Haftanstalt offenbar wurde. Mittlerweile gibt es zehn angestellte Dolmetscher in den sächsischen JVA. Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) bewertet deren Einsatz überaus positiv: „Mit der Einstellung der Dolmetscher hat sich die Sicherheit in den Vollzugsanstalten deutlich erhöht.“

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Büro befindet sich auf JVA-Areal

Das Büro von Yvonne Helal und Hossameldin Moustafa befindet sich direkt auf dem Meusdorfer Gefängnis-Areal an der Leinestraße. Helal ist Dolmetscherin für Arabisch, Deutsch und Französisch. Die 41-Jährige, die aus Brandenburg an der Havel stammt, war nach ihrem Studium in Leipzig der Stadt treu geblieben und Freiberuflerin. Hossameldin Moustafa (29), ein gebürtiger Ägypter, hat in Kairo Germanistik und Übersetzung studiert, schloss sein Masterstudium in Österreich ab. Von 2013 bis 2017 lebte er in Wien und Graz, arbeitete unter anderem für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

„Wir können uns mit Gefangenen aus immerhin 22 arabischen Ländern verständigen“, berichtet Helal. Denn Hocharabisch wird in Algerien, Marokko, Tunesien, Libyen oder Syrien genauso gesprochen wie in Saudi-Arabien oder dem Irak. „Natürlich gibt es Ausnahmen“, sagt sie. So existierten in verschiedenen Ländern Gruppen wie etwa die Berber in Marokko, die eine andere Sprache hätten. Zudem hänge auch vom Bildungsniveau des einzelnen ab, inwieweit er Hocharabisch beherrscht oder nur seinen Dialekt.

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„Massive Arbeitserleichterung“

Bei der Aufnahme neuer Gefangener sind beide vor Ort sofort verfügbar, erzählt die 41-Jährige. Sie und ihr Kollege dolmetschen, wenn es etwa um Suizidprophylaxe geht, zudem bei Gesprächen zwischen Insassen und Sozialarbeitern oder Psychologen, der Bewältigung des Alltags in den Haftstationen, der Behandlung von inhaftierten Patienten im Haftkrankenhaus, das zur JVA Leipzig gehört.

„Das hilft, Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen“, sagt Hossameldin Moustafa. „Dramatische Situationen können manchmal durch nur drei Worte geklärt werden“, weiß Nicole Borchert aus Erfahrung. Für das Personal stelle der Einsatz eine „massive Arbeitserleichterung“ dar, betont die JVA-Sprecherin.

Helal und Moustafa übersetzen auch diverse Schriftstücke – etwa für Aushänge. Und an zwei Tagen in der Woche leisten sie in den JVA Waldheim, Torgau und Zeithain Amtshilfe.

„Sprachbarrieren fallen weg“

Sprachbarrieren, meint Justizminister Gemkow, seien somit „zu einem großen Teil“ weggefallen. „Die Bediensteten können mit den ausländischen Gefangenen unmittelbar in einen Austausch treten, die im Vollzug geltenden Regeln besser vermitteln und die Anliegen der Gefangenen leichter verstehen. Missverständnisse, die zu Spannungen und Auseinandersetzungen führen, treten seltener auf.“ Von den Anfang Juli 2018 in Leipzig inhaftierten 473 Personen waren 194 Ausländer (41 Prozent). Insgesamt saßen in Sachsen 3576 Personen hinter Gittern, davon 1019 mit ausländischer Staatsangehörigkeit (28,5 Prozent).

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Die übervollen Haftanstalten nach der 2015 einsetzenden Flüchtlingsflut sowie der Freitod des 22-jährigen Syrers Dschaber al-Bakr hatten hitzige Debatten über die verfehlte Sparpolitik in Sachsen ausgelöst. Al-Bakr konnte im Oktober 2016 in Chemnitz, wo er in einer Wohnung hochexplosiven Sprengstoff hortete, zunächst entwischen. Er flüchtete nach Leipzig, wurde von mehreren Landsleuten überwältigt, nahm sich dann aber am 12. Oktober in einer Zelle in Leipzig das Leben.

Zunächst befristetes Projekt

Mit dem Doppelhaushalt 2017/18 wurden schließlich für Sachsens Gefängnisse 105 neue Stellen geschaffen, darunter für zehn Dolmetscher. Dabei handelt es sich um sechs Dolmetscher für Arabisch und je einen für Russisch, Tschechisch, Polnisch und Englisch/Französisch. Laut Ministeriumssprecher Jörg Herold sind derzeit alle Stellen besetzt – mit Ausnahme einer geplanten Stelle für die Justizvollzugsanstalt Zwickau.

Das Projekt war zunächst bis Ende 2018 befristet worden. Laut Justizministerium sieht der Regierungsentwurf zum Doppelhaushalt 2019/2020 die Möglichkeit vor, die befristeten Beschäftigungsverhältnisse auf insgesamt zwei (weitere) Jahre zu verlängern. In den nächsten Monaten würden nun die Verlängerung der Beschäftigungsverhältnisse und die Nachbesetzung gegebenenfalls frei werdender Stellen vorbereitet, so Sprecher Herold.

Videodolmetschen wird erprobt

Darüber hinaus würden Honorardolmetscher eingesetzt. Die Mittel dafür seien von 107 000 Euro (2015) auf 445 000 Euro (2017) gestiegen. Herold zufolge wird derzeit in der JVA Dresden auch das Videodolmetschen erprobt. Damit sollen Lücken geschlossen werden, wenn bei seltener gesprochenen Sprachen, in der Nacht sowie an Wochenenden und Feiertagen kein Honorardolmetscher erreicht wird.

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Von Sabine Kreuz

LVZ

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