Ein Fall für Leipziger Nachwuchsdetektive
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Kinderkrimi-Tour durch Leipzig: Isabell, Rene, Nino, Luna und Amelie (von links) lassen sich von Stadtführer und Krimi-Experte Henner Kotte (Dritter von rechts) etliche haarsträubende Geschichten erzählen.
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Stadtführung mit Gruselfaktor: Ein Drache im Auwald, Trickdiebe am Hauptbahnhof, eine Hinrichtungsstätte mitten in der Stadt, ein Kunstraub am helllichten Tag. Die Kinderkrimi-Tour mit Henner Kotte ist dem Verbrechen auf der Spur. Denn Leipziger Gebäude und Straßen künden bis heute von den Gräueltaten der Vergangenheit.
„Es wird gruslig“, prophezeit Kotte an diesem Freitagvormittag. Es ist Punkt 10.30 Uhr. Treffpunkt der Gruppe: der Durchgang des Alten Rathauses. Gruslig? Der Krimi-Experte, Autor und Stadtführer wirkt gar nicht so schrecklich. „Eher lustig“, finden die Kinder. Ein bisschen will der 56-Jährige den Mädchen und Jungen aber doch das Gruseln lehren – und packt ein paar Handschellen aus. Doch das Faschingsutensil löst bei den Kids zwischen sieben und 14 Jahren erst mal nur Kichern aus.
Mordsüchtige Stiefmütter, vergiftete Äpfel
Geschichten mit Spaß und Spannung sind bei Kotte jedenfalls garantiert. Und genau deshalb ist der Nachwuchs ja auch gekommen. Manche haben im Ferienpass von der Veranstaltung gelesen, andere zufällig von ihr erfahren. Amelie zum Beispiel. Die siebenjährige Würzburgerin wird, wie die übrigen Kinder im Grundschulalter auch, von Erwachsenen begleitet. Könnten die Verbrechen nicht zu erschreckend für Amelie & Co. sein? „Von wegen! Krimis kennen die Kleinen doch schon aus dem Kindergarten“, sagt Kotte und verweist auf die Grimmschen Gruselmärchen mit mordsüchtigen Stiefmüttern, vergifteten Äpfeln oder Eltern, die ihre Kinder in den Wald schaffen, wegrennen und den Kannibalen überlassen.
„Die essen Menschen“
„Wisst ihr, was Kannibalen sind?“, fragt Kotte in die Runde. „Die essen Menschen“, antwortet Remo (12) ganz ungerührt. Im konkreten Fall plane dies eine scheinbar liebe alte Frau, die Kinder mit Pfefferkuchen anlockt. Bevor es dazu kommt, mache Gretelchen was? „Die schubst die Hexe in den Ofen“, erklärt Amelie trocken. Quasi ein Mord aus Notwehr. „Aber warum tötete Johann Christian Woyzeck? Kennt ihr seine Geschichte?“, fragt Kotte. „Das ist eine Oper“, vermuten Nino und Caspar. „Leider nein. Das ist ein Drama von Georg Büchner nach einem echten Fall: Woyzeck erstach seine untreue Freundin und wurde als Letzter auf dem Leipziger Markt öffentlich hingerichtet. Der Platz war damals voller Menschen“, erzählt der Stadtführer und zeigt ein historisches Bild von dem Ereignis. „Heute befindet sich an der Stelle der Hinrichtungsstätte das Leipziger Stadtwappen im Kleinpflaster. Lauft niemals über das Wappen! Bringt Unglück! Kein Aberglauben!“, warnt Kotte mit ernster Miene. „Eine Fünf in Mathe?“, kommt einem der jungen Teilnehmer in den Sinn. „Mindestens!“
Diebesgut nach zehn Minuten wieder da
Vom Markt führt die Tour weiter zur Handelsbörse, dem Ort ehrlicher, aber auch unehrlicher Geschäfte. Angekommen am Bildermuseum berichtet Krimi-Experte Kotte von einem Diebstahl am helllichten Tag: „,Friedhof im Schnee‘, das berühmte Gemälde von Caspar David Friedrich, wurde während der Öffnungszeiten geklaut; auch ein Rembrandt-Bild sei mal für zehn Minuten verschwunden, bis es der Dieb bereute und zurückbrachte.“
Ein Hufeisen in der Kirchenmauer
Verwunderung an der Nikolaikirche: „Ein Hufeisen in der Kirchenmauer. Wie kommt denn das dorthin?“ „Wisst ihr was eine Sage ist?“ „Klar, was mit Helden.“ „Stimmt“, lobt der Stadtführer und erzählt „von einem Schloss, das einst dort stand, wo Pleiße und Parthe zusammenfließen. Im Schloss lebte ein alter König mit seiner schönen Tochter, die ein Drache, ein gräulicher Lindwurm, als Menschenopfer forderte. Flugs ritt der Heilige Georg heran, tötete den Unhold, wobei sein Pferd ein Hufeisen verlor. Und was wünschte sich der Georg für seine Heldentat?“ „Die Königstochter!“ „Ein neues Hufeisen für sein tapferes Pferd“, korrigiert Kotte und weist auf die Ostwand von St. Nikolai. „Welches Gebäude in Leipzig heißt Sankt Georg?“ „Das Krankenhaus“, antworten Isabell und Luna sogleich.
Eine Gedenktafel für Karl May
Mittlerweile sind die Nachwuchsdetektive in der Nikolaistraße, der früheren Weltstraße der Pelze, angelangt. Die Gelegenheit, nach dem bekanntesten deutschen Schriftsteller zu fragen. „Goethe?“ „Schiller?“ „Karl May! Der Winnetou-Erfinder erschlich sich einen Pelz, kam ins Gefängnis, hatte viel Zeit zum Lesen und wurde zum Schreiben fantasievoller Indianerstorys inspiriert. Wäre May in Leipzig nicht ins Gefängnis gekommen, hätte er vielleicht nie Romane verfasst“, mutmaßt Autor Kotte und fordert eine Gedenktafel für May.
Diebe waren es auch, die 1925/26 ihr Unwesen vor dem Hauptbahnhof trieben. „Und wer gehörte zur Diebesbande? Ein Polizeikommissar!“ Doch damit nicht genug. Anderthalb Stunden lang sind die Kids auf der Spur weiterer Schwindler, Mörder und Ganoven. Tatort Leipzig – ein Fall für pfiffige Ferienkinder.
Henner Kotte ist auch an den Ferienfreitagen 9. und 16. August, jeweils ab 10.30 Uhr, auf Kinderkrimi-Tour. Treffpunkt ist der Museumsshop im Durchgang des Alten Rathauses am Markt.
Von Ingrid Hildebrandt
LVZ