„Es war Liebe auf den ersten Blick“
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Der Leipziger Alpinist Olaf Rieck (54) am Shivling (6543 Meter) im indischen Teil des Himalayas.
© Quelle: Foto: Olaf Rieck
Leipzig. Er ist im Himalaya genauso zu Hause wie in seinem Stadtbezirk Lindenau: der Leipziger Bergsteiger Olaf Rieck (54). Im Herbst 1998 entschied er sich für ein Leben als Bergsteiger und gegen seine bürgerliche Existenz als promovierter Tierarzt. Im Interview blickt er auf Höhen und Tiefen seiner alpinen Karriere und erzählt davon, welchen Achttausender er 2019 bezwingen will.
Herr Rieck, vor 20 Jahren haben Sie Ihr Leben komplett umgekrempelt. Sie wollten das Bergsteigern professionell betreiben und haben die lebenslang sichere Existenz als Veterinärmediziner an der Uni Leipzig aufgegeben. Wie hat das damals Ihre Umgebung aufgefasst?
Die Reaktionen waren fast durchweg ablehnend, besonders in meiner Familie. Niemand konnte sich vorstellen, dass man professionell als Bergsteiger seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Vor allem meine Mutter war enttäuscht, dass ich meine schwer erkämpfte Hochschullaufbahn nach Studium, Promotion und Fachtierarzt freiwillig aufgeben wollte.
Wo kommt Ihre Liebe zu den Bergen her? Als gebürtiger Wittenberger hat man ja nicht zwingend alpine Landschaften um sich.
Ich konnte in DDR-Zeiten als Student 1988 eine Reise in den Tienschan, nach Kirgistan in die damalige Sowjetunion unternehmen. Als ich dort die Berge sah, war es Liebe auf den ersten Blick. Ein Jahr später habe ich mit dem Pik Energie im heutigen Tadschikistan meinen ersten Fünftausender bestiegen. Seitdem komme ich nicht mehr von den Bergen los.
Ihr Einstieg in die professionelle Kletterei war geprägt von einem schweren Unfall. Unter normalen Umständen wäre das eigentlich das Ende für einen Alpinisten gewesen. Was war passiert?
Ich habe mir im Herbst 1998 beim Klettern nach einem Absturz eine schwere Trümmerfraktur in der Ferse zugezogen. Der Chef der Unfall-Chirurgie in der Uniklinik, Professor Josten, sprach ohne Umschweife von drohender Invalidität. Für mich brach eine Welt zusammen.
Wie kommt man aus so einem Tal heraus?
Ich musste meine Zweifel besiegen. Im Hinterkopf hörte ich immer meine Mutter, die mir vorwarf, alles, was ich erreicht hatte, wegzuwerfen. Das wollte ich so nicht stehen lassen. Ich hatte keine Wahl, schließlich warteten meine Partner darauf, dass ich mit ihnen im Frühjahr 1999 die erste große Expedition zum Cho Oyu, einen Achttausender, antrete. Ich habe dann mein Training vom Laufen auf Fahrrad umgestellt und bin dann mit viel Leiden und einer starken Physiotherapie ins Kletter-Leben zurückgekehrt.
Und heute?
Trainiere ich weiter nur per Fahrrad, lange Laufstrecken auf Expeditionen halte ich durch – aber nur mit Schmerzmitteln.
Im Sommer 1999 wurde der Cho Oyu als erster Achttausender bezwungen, war das der Durchbruch in der alpinen Szene?
Es wurde danach etwas leichter, tatsächlich vom Bergsteigen zu leben. Den Durchbruch in der alpinen Szene habe ich vermutlich bis heute nicht geschafft und werde ihn auch nie schaffen, einfach weil ich viel zu spät mit dem Bergsteigen angefangen habe. Aber als ich danach in Wittenberg einen Vortrag vor 700 Zuhörern gehalten habe, waren auch meine Eltern tief beeindruckt.
20 Jahre professioneller Alpinismus im Rückblick, was war der Höhepunkt?
Schwere Frage, den einen Höhepunkt gab es so nicht. Eine Zäsur war sicher der Everest im Jahr 2005. Wir mussten zwar im Lager III auf 7500 Meter umkehren, aber die Tour hat einen Schub an Bekanntheit in Leipzig gebracht. Sie war eingebettet in die Olympia-Bewerbung der Stadt und danach habe ich im Panometer von Yadegar Assisi viele Vorträge in der Everest-Ausstellung gehalten. Die Kanu-Expeditionen durch Spitzbergen und Feuerland gehören sicher auch zu den Höhepunkten.
Wo Höhen sind, sind auch Tiefen ...
Die Feuerland-Expedition in Chile zum Monte Sarmiento 2016 auf Feuerland war Höhepunkt und Tiefpunkt zugleich. Wir mussten 50 Meter unterm Gipfel umkehren, waren nahe dran, ihn auf einer schweren Route erst als zweites Team zu besteigen. Es war nicht das Wetter, sondern es waren die objektiven Risiken, die uns nicht mehr kalkulierbar erschienen, vor allem beim Abstieg. Irgendwie muss man von einem Berg ja auch wieder runter.
Das hört sich jetzt notgedrungen positiv an. Aber ist es mental nicht furchtbar, alles auf ein Ziel auszurichten und dann 50 Meter davor, nach wochenlangen Entbehrungen, wieder abzusteigen?
Nach so einer Entscheidung hadert man wochenlang. Einerseits ist man todtraurig, es nicht geschafft zu haben, andererseits aber auch erleichtert, gesund wieder zurück zu sein. Das Leben ist zu schön,um es selbst am schönsten Berg zu riskieren.
Und dann kehrt man aus der hochalpinen Bergwelt nach Leipzig mit einer gefühlten Niederlage im Gepäck zurück. Es gibt ja Mitmenschen, für die der Fockeberg schon ein Top-Gipfel ist, die dann gern hämische Urteile abgeben. Wie gehen Sie damit um?
Das habe ich glücklicherweise nur sehr selten erlebt. Fitz Roy, Everest, Monte Sarmiento und Hidden Peak – diese vier Gipfel habe ich (noch) nicht bezwungen, die meisten Reaktionen waren trotzdem sehr positiv. Viele und vor allem die, die sich beim Klettern auskennen, haben den Mut unserer Teams bewundert. Es wird dann anerkannt, dass wir in schweren Steilwänden und auf neuen Routen die Expedition ans Ziel bringen wollten. Aber Scheitern gehört im Alpinismus eben dazu.
Von was lebt eigentlich ein professioneller Alpinist in Leipzig?
Meine geführten Trekking-Touren durch den Himalaya sind eine wichtige Einnahme-Quelle. Dazu kommen die Vorträge über Expeditionen wie aktuell der über die Besteigung des Shivling im Himalaya. Ich habe mich sehr über die Leipziger Resonanz gefreut, ausverkauft zur Premiere in der Stadtbibliothek. Die Wiederholung im Januar im Zeitgeschichtlichen Forum war auch schnell ausverkauft, deshalb gibt es noch eine Zusatz-Vorstellung. Und dann halte ich Vorträge in Firmen zur Motivation, da bin ich vom Bodensee bis zur Nordseeinsel Juist gut unterwegs.
Können Vorträge und Motivationsseminare auf Dauer die Basis bilden, dass der Alpinist Rieck sesshaft in Leipzig wird?
Nein, ich freue mich zwar immer nach einer Expedition auf mein Zuhause in Lindenau. Auf meine Freundin und die Annehmlichkeiten wie einen Kühlschrank oder mein Auto. Aber nach einigen Wochen kommt dann das Fernweh wieder. 2019 will ich den nächsten Versuch am Hidden Peak starten, verdammt harte 8080 Meter in der Gasherbrum-Gruppe. Zum Everest kehre ich nicht mehr zurück, aber Fitz Roy in Argentinien und Monte Sarmiento in Chile – die reizen mich immer noch.