Gentrifizierungs-Gegner bekennen sich zu Anschlag auf Westwerk
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Am neuen Konsum im Westwerk sind in der Nacht Dutzende Scheiben zerstört worden.
© Quelle: André Kempner
Leipzig. Nachdem die letzten Gäste die Einweihungsparty verlassen hatten, splitterten die Scheiben: Der am Mittwochabend in der Karl-Heine-Straße feierlich eröffnete Konsum-Supermarkt ist zur Zielscheibe eines Anschlags geworden. Nach Angaben der Polizei zerstörten unbekannte Täter um 1.22 Uhr in der Nacht zu Donnerstag 52 Glasfenster des ehemaligen Westwerks im Szeneviertel Plagwitz. Zudem warfen sie eine übelriechende Flüssigkeit in das Gebäude. Die Angreifer konnten anschließend unerkannt flüchten.
„Wir gehen von einer linkspolitisch motivierten Tat aus“, sagte Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamts (LKA), am Donnerstag gegenüber LVZ.de. Am Mittag tauchte auf dem Szeneportal Indymedia ein vermutlich von Linksextremisten verfasstes Bekennerschreiben auf, das vom LKA nun ausgewertet wird. „Wir haben in letzter Zeit das Westwerk betrachtet und sind unserem Impuls nachgegangen, angesichts der drohenden Konsumeröffnung einige Steine, Bitumen und Buttersäure dazulassen“, schrieben die mutmaßlichen Angreifer dort. Sie machten auch eindeutige Angaben zu ihrem Motiv: „Verdrängung hat viele Gesichter, eines davon haben wir heute Nacht eingeschlagen.“
Schäden und Proteste nach dem Anschlag:
Vor der Sanierung und Umwandlung des Westwerks hatten Künstler und Kreative das Gebäude als Kulturzentrum genutzt. Sie demonstrierten vor zwei Jahren gegen die Kündigung ihrer Verträge, konnten sich am Ende aber nicht durchsetzen. Auch am Mittwochabend bei der Eröffnung mit rund 250 geladenen Gästen sowie am Donnerstag gab es vor Ort Proteste dagegen, dass die Kulturschaffenden das Gelände verlassen mussten. "Wir haben sie nicht vertrieben", sagte Konsum-Chef Dirk Thärichen am Donnerstag gegenüber LVZ.de. "Der Unmut richtet sich meiner Meinung nach auch nicht gegen uns, sondern den Vermieter des Westwerks."
Westwerk-Chef: „Anschlag beruht auf gefährlichem Halbwissen“
Peter Sterzing, Geschäftsführer der Westwerk GmbH, reagierte am Donnerstag mit Unverständnis auf die Tat. „Ich denke, dass der Anschlag auf – in diesem Fall wörtlich zu nehmendem ’gefährlichen Halbwissen’ oder Ignoranz beruht.“ Er verwies darauf, dass das Areal 120 feste Nutzer habe, davon einen großen Teil Maler, Bands, Kreative, gemeinnützige Vereine oder Werkstätten. „Ein Großteil der Mieten liegt weit unter dem Durchschnitt der Umgebung“, so Sterzing. Er ist der Meinung: „Das Westwerk ist nicht Teil einer Gentrifizierung, sondern ganz einfach Teil der Entwicklung Leipzigs.“
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Festlich angestrahlt: Die noch intakte Fassade des neuen Konsums bei der Eröffnungsfeier am Mittwochabend.
© Quelle: André Böhmer
Konsum-Chef Thärichen verurteilte die Tat. „Wir sind dafür, dass jeder seine Meinung sagen darf, aber Gewalt ist nicht tolerierbar.“ Der neue Markt nahm am Donnerstag um 8 Uhr trotz der Schäden seinen regulären Betrieb auf und öffnete für Kunden. Betroffen war vor allem der Eingangsbereich der historischen Industriehalle, nicht der Supermarkt selbst. Der Verkaufsbereich befindet sich im hinteren Bereich. Durch die kaputten Scheiben sei der Geschäftsbetrieb in dem 500 Quadratmeter großen Markt, einem der größten der Genossenschaftskette in Leipzig, nicht beeinträchtigt, erklärte Geschäftsführer Thärichen. „Der Vermieter hatte heute Morgen die Scherben bereits weggekehrt.“
Ermittlungsgruppe „LE“ übernimmt den Fall
Bei der Polizei übernahm eine gemeinsame Ermittlungsgruppe mit der Abkürzung „LE“ für Linksextremismus den Fall. Die beim LKA angesiedelte Einheit aus insgesamt zehn Beamten der Polizeidirektion Leipzig und des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) war bereits Mitte 2018 gegründet worden. „Leipzig ist in diesem Bereich ein Hotspot und deshalb auch Schwerpunkt der Arbeit“, erklärte LKA-Sprecher Bernhardt gegenüber LVZ.de.
Das Westwerk spiegele den Wandel von Plagwitz wieder, hatte Sterzing bei der Eröffnung betont. Doch es bleibe ein Zentrum für Kultur und Kreative, versicherte er. „Gerade kamen noch der feministische Boxverein Sidekick und eine Filiale der Kaffeerösterei aus der Holbeinstraße hinzu.“ Den Angreifern reichte das jedoch offenbar nicht aus. „Am liebsten hätten wir gestern Abend alle Scheiben eingeworfen und den Konsum zerstört“, schrieben die Gentrifizierungs-Gegner bei Indymedia, „aber es fehlte uns dafür die Zeit.“
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Von Robert Nößler, Mark Daniel und Matthias Roth