Newsletter „Heiterblick“

Heiterblick #26: In Connewitz gibt es nur noch einen Geldautomaten - warum eigentlich?

Guten Abend, Leipzig!

Es gibt ein T-Shirt (ich finde es nirgends mehr, wer einen Link zum Onlineshop hat: gerne her damit!), auf dem Connewitz als gallisches Dorf dargestellt wird. Auf dem Rücken ist eine Karte abgedruckt, statt Gallien eben Sachsen, sowie die Asterix-typische Lupe. Irgendwo steht dann auch dieser Spruch, abgewandelt: „Ganz Sachsen? Nein…“

Tatsächlich war Connewitz einmal ein Dorf. Es galt sogar einmal als eines von Sachsens schönsten. Während der Völkerschlacht verbarrikadierten sich Napoleons Truppen hier. Mit den ersten Gaslaternen um die Jahrhundertwende wurde es ein Teil von Leipzig.

Wie komme ich jetzt auf den versiegelten Geldautomaten?

Vielleicht so: Manchmal habe ich das das Gefühl, dass Connewitz sich wieder zum Dorf entwickelt. „Cops raus aus Connewitz“ gibt es als Slogan. Oder „Yuppies raus aus Connewitz“. In Connewitz will man also das, was einen stört, nicht mehr verändern, bekämpfen oder gar aus der ganzen Welt schaffen – sondern erstmal nur aus dem eigenen Vorgarten. Hauptsache Connewitz bleibt sauber, finden einige. Deshalb ja auch das T-Shirt.

Das Neueste ist, dass man die Connewitzer abends verzweifelt umherirren sieht, weil sie kein Bargeld mehr haben. Bis auf wirklich wenige Ausnahmen, gibt es in dem Stadtteil nur Barzahlung. Aber nun haben innerhalb weniger Woche zwei der drei letzten Connewitzer Geldautomaten geschlossen: Die Filiale der Sparkasse in der Kantsstraße. Und die Filiale der Postbank an der HTWK, am Rand von Connewitz. Letztere rät, man möge sein Geld bitte künftig 30 Minuten entfernt abheben. Besser man nimmt dafür die Bahn. Oder gleich das Auto.

In die Stadt fahren, um Geld abzuheben. Wie viel Dorf darf es noch sein?

Man könnte allerhand Vermutungen anstellen, warum es nicht mehr Geldautomaten in Connewitz gibt. Die Banken erklären den Schwund mit Strom- und Energiepreisen. Ein anderer Grund scheint plausibler. Es gibt diese Abende, an denen Wut, Hass und andere Gefühle in Connewitz auf die Straße getragen werden. Andere würden sagen: Der schwarze Block nimmt Connewitz auseinander. Und es sind gar nicht unbedingt Connewitzer, die das tun. Eher es ist das Schicksal des Stadtteils, der mit seiner Hausbesetzer-Geschichte die passende Kulisse für Riots und Zerstörung bietet. Wer wütend Dinge kaputtschlagen will, tut das gerne in Connewitz.

Wann immer sich ein solcher Abend anbahnt, rüsten sich die Geschäfte dafür. Viele Banken, Versicherungen und eben alles, was für Establishment und Geld steht, verbarrikadieren ihre Fenster, bis tief in die Südvorstadt. Gut möglich, dass viele Banken keine Lust mehr aufs Verbarrikadieren haben. Der Geldautomat der Postbank wurde nun ironischerweise von den eigenen Leuten verplombt.

Im Dorf scheinen sich die Stammesältesten aber längst geeinigt zu haben, dass eine Bank immer unversehrt bleibt: die Sparkasse am Connewitzer Kreuz. Dass man eben dort sein Geld abhebt. Diese eine Bank gibt es jetzt noch. Für alle anderen galt: „Banken raus aus Connewitz“.

Wo trifft sich Leipzig gerade?

Auf einem großen Bildschirm in unserer Redaktion lässt sich nachvollziehen, für welche Texte die meisten Leute ein Abo abgeschlossen haben. Meistens machen sehr viele Texte jeweils einige Abos. Manchmal sticht aber einer heraus. Zuletzt war es dieser über Leipzigs alternative Weihnachtsmärkte. Nun soll dieser Newsletter keine Abo-Umgehungsmaßnahme sein. Dennoch möchte ich verraten: Der Markt im Werk II lohnt sich ganz besonders. Zum Beispiel, um georgische Chatschapuri mit frischer Roter Beete zu essen. Oder zwei Tacos vom Paps in der Bornaischen Straße.

Weihnachten am Kreuz, Kochstraße 132. Noch bis 18. Dezember. Mittwoch, Donnerstag und Sonntag bis 21 Uhr. Freitag und Samstag bis 22 Uhr.

 

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Wortmeldungen: Leipzig, Sachsen, der Osten

  • „Die leichte Schwimmbad-Note seit einigen Jahren schon, gefühlt immer nach stärkeren Regenfällen. Vielleicht aber alles auch nur Einbildung.“ – @Heldenstadt auf die Frage, ob Leipzigs Trinkwasser nach Chlor schmecke.
  • „Jedes Mal, wenn ich nach Leipzig komme, freue ich mich darüber, wie entspannt der Straßenverkehr ist, abgesehen von der lebensgefährlichen Kreuzung vor dem Hauptbahnhof vielleicht. Dort sollte man selbst als Hauptstädter voller Todesverachtung nicht schnell über 13 Spuren und 23 Gleise sprinten, um die 15 nach Miltitz noch zu kriegen.“ – Berlinert Autorin Christina Rietz über den Leipziger Straßenverkehr.
  • „Wichtigste Fahrplan-Neuerung für Sachsen-Pendler: Der täglich letzte Fernzug Dresden-Leipzig ist jetzt ein tschechischer EC! Děkuji!“ – Dlf-Reporter @DerMonologist voller Freude nebst einem frischgezapften Pilsner Urquell.
 

Zuletzt hat mich interessiert

Unter dem Hashtag #Eisenbahnstraße finden sich etwa auf TikTok derzeitig viele Videos vom Treiben auf selbiger nachdem die Mannschaft von Marokko im WM-Viertelfinale die Portugiesen besiegte. Zum Beispiel dieses Prachtstück von einer spontan beflaggten LVB-Straßenbahn. Wenn Marokko heute Abend der Coup gelingt, an Frankreich vorbei ins Finale zu ziehen, ist bestimmt noch einmal doppelt so viel los.

 

Vielen Dank fürs Lesen und bis in zwei Wochen,

Dein Josa

 

Was ist Heiterblick?

Eigentlich ein Leipziger Stadtteil, da oben im Nordosten. Dieser Newsletter handelt nicht von dem Stadtteil, er ist ein Leipzig-Newsletter. Aber ich möchte den Namen des Stadtteils neu beleben, daher borge ich ihn mir. Natürlich nicht, ohne vorher einmal nach Heiterblick gefahren zu sein – und seinen idyllischen Müllberg erklommen zu haben.

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