Heiterblick #27: Vier düstere Prognosen, die 2022 doch nicht eingetreten sind
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© Quelle: RND
Guten Abend, Leipzig!
2022 war ein Jahr der dunklen Wolken. Aber kam auch alles so schlimm wie befürchtet? Ja, in der Ukraine herrscht Krieg. Aber das Land ließ sich nicht innerhalb weniger Tage einnehmen, obwohl das manche so vorhersagten. Ja, Corona macht uns immer noch zu schaffen. Aber inzwischen, so sagt es auch Christian Drosten, hat die Pandemie die endemische Phase erreicht und gilt damit als beendet.
Es zogen noch mehr dunkle Wolken auf: Affenpocken, Militärputsch in Brasilien, die Rückkehr von Trump. Aber all das ist, zumindest für den Moment, weit weg. Und auch auf der regionalen Ebene blieben einige Apokalypsen aus. Hier eine kleine Auswahl.
1. Auf den heißen Herbst folgt der Wut-Winter
Anfang September standen sich in Leipzig zwei verfeindete Lager gegenüber, von den manche glaubten, dass sie sich am Ende dieses Tages auf dystopische Weise vereinigen könnte: Rechte und Linke; Sören Pellmann auf der einen Seite, Freie Sachsen auf der anderen. Und schließlich hatten beide ein ganz ähnliches Thema, was die Verschwörungstheorien über den Ausgang dieses Tages noch nährte: Die steigenden Energiekosten als Folge einer vermeintlich falschen Sanktionspolitik gegenüber Russland.
Aber den vielen von überregionalen Zeitungen angereisten Reporterinnen und Reportern blieb der geschichtsträchtige Moment, der große Dammbruch an den Enden des Hufeisens, verwehrt. Weil linke Aktivisten den Ring blockierten – und damit die Route der rechten Demo. Und gleichzeitig altlinke Pellmann-Fans alsbald wieder nach Hause gingen.
Der Anfang des vermeintlichen heißen Herbsts war auch schon wieder dessen Ende. Denn die Demos nahmen nie richtig Fahrt auf. Was sicher auch mit der recht pragmatischen bundesdeutschen Energiepolitik zu tun hat: In sächsischen Wohnungen musste, bislang jedenfalls, niemand frieren. Übertriebene Rechnungen flatterten nur vereinzelt in die Häuser. Auf einen Wählerstimmen bringenden Wutwinter, jedenfalls, dürfte zur Zeit kein politisches Lager mehr setzen.
2. Die Leipziger Mieten steigen weiter unkontrolliert
Leipzig wächst, auch im Jahr 2023. Die Inflation und steigende Rohstoffpreise sorgen zudem dafür, dass eigentlich alles teurer wird. Also auch das Wohnen. Dass es im Herbst hieß, dass die Preise für Eigentumswohnungen um 7,4 Prozent sinken, erfreute nur jene, die den Gedanken einer eigenen Wohnung mit sich herumtragen. Dunkle Wolken für Mieter also – die die Stadt Leipzig nun mit acht Millionen Euro vertreiben will. Mit dem Geld sollen Hunderte leerstehende Wohnungen saniert und bezugsfertig gemacht werden. Leipzigs Baubürgermeister sprach bereits von einem „Schatz, der jetzt gehoben werden muss“. Mal sehen ob das gelingt.
3. Es wird nie, nie wieder eine Buchmesse geben
Daran, dass die letzte Leipziger Buchmesse ausfiel, war ausnahmsweise nicht Corona schuld. Nein, es waren die Verlage selbst, die absagten. Zu teuer, bringt uns nix – hieß es. Schließlich hätten viele auch während der Pandemie fleißig Bücher gekauft und gelesen. Wer braucht noch eine Messe? Manche prognostizierten schon das Ende der traditionsreichen Veranstaltung. Gut, dass einige das nicht wahrhaben wollen. Unter anderem wieder einige Verlage. Und Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die der Leipziger Buchmesse nun drei Millionen Euro für ihren Neustart zubilligte. So kann es etwas werden.
4. Eine Flüchtlingskrise, so schlimm wie 2015
Das Wort „Flüchtlingskrise“ ist ein Unwort. Aber wer sich die sächsische Realität mancherorts ansieht, der kommt nicht umhin, die Prognosen für steigende Flüchtlingszahlen als drohendes Problem anzusehen. Man nehme den Bautzner Landrat Udo Witschas, der in seiner Weihnachtsansprache in Bezug auf Turnhallen als Notunterkünfte sagte: „Es ist nicht unsere Absicht, den Sport für diese Asylpolitik bluten zu lassen.“ Auch die Nutzung leerer Wohnungen lehnte der Landrat ab.
Der Politiker gab damit wieder, was leider viele in Sachsen zu denken scheinen: Geflüchtete? Nicht bei uns. Nicht in meinem Hinterhof. In Kriebethal bei Döbeln sammelte eine Initiative 257 Unterschriften gegen die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer – also von jedem Achten im Ort.
Nicht jeder, der nicht komplett gelassen auf die bevorstehende Ankunft von Geflüchteten blickt, ist ein Menschenfeind. Zuletzt war die sächsische Lokalpolitik vor Ort nicht mehr in der Lage – oder überhaupt willens – die Bürgerinnen und Bürger ordentlich aufzuklären und passende Lösungen zu finden. In jedem Fall hätte die kurzfristige Aufnahme vieler Geflüchtete hier für Probleme gesorgt.
Und nun? Blieb die große Ankunft vorerst aus. Laut der Europäischen Kommission wurden 2022 insgesamt 86.000 „irreguläre Grenzübertretungen“ registriert – und damit deutlich weniger als 2015. Damals kamen mehr als 760.000 Menschen über die Balkanroute in die EU.
Die Zahlen steigen also, bestimmt auch wieder im Frühling. Und bestimmt auch in Sachsen. Von einem 2015 kann aber keine Rede sein, jedenfalls noch nicht. Genügend Zeit also für die sächsische Politik, eine realistische Haltung zu entwickeln – um aus ankommenden Menschen keine Krise werden zu lassen.
Übrigens: Meine Kolleginnen und Kollegen haben noch eine Menge ganz positiver Nachrichten gefunden, auf die sich Leipzig und Sachsen im kommenden Jahr freuen darf.
Wo trifft sich Leipzig gerade?
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Ein "Tschau" sagt "Tschüssi": Der vermeintliche Galerie-Shop zieht in die Kolonnadenstraße um.
© Quelle: LVZ
Wer schon einmal im „Kapital“ Kaffee trinken war oder in der GfzK Kunst angucken, der schlenderte vielleicht auch durchs „Tschau Tschüssi“ – jenen Nicht-ganz-Museums-Shop (auch wenn er teils so wirkt) im Gebäude eben genannten Cafés und genannter Galerie. Wem das alles gar nichts sagt, dem dürften eventuell die „Chill like…“- Plakate ein Begriff sein, die in vielen, vielen Leipziger Wohnzimmern hängen. Und die es ganz exklusiv hier gibt. In diesen Tagen, jedenfalls, zieht das „TT“ um – in die Kolonnadenstraße. Und ist auch dort sicher immer einen Besuch wert.
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Wortmeldungen: Leipzig, Sachsen, der Osten
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Vielen Dank fürs Lesen und bis in zwei Wochen,
Dein Josa
Was ist Heiterblick?
Eigentlich ein Leipziger Stadtteil, da oben im Nordosten. Dieser Newsletter handelt nicht von dem Stadtteil, er ist ein Leipzig-Newsletter. Aber ich möchte den Namen des Stadtteils neu beleben, daher borge ich ihn mir. Natürlich nicht, ohne vorher einmal nach Heiterblick gefahren zu sein – und seinen idyllischen Müllberg erklommen zu haben.