Jedes dritte Kita-Kind unter fünf Jahren kommt aus dem Ausland
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Auch Vorbereitungsklassen sollen Flüchtlingskinder fit für die Schule machen.
© Quelle: dpa
Leipzig. Für einen Forschungsbericht „Herausforderungen von Kindertageseinrichtungen in einer vielfältigen Gesellschaft“ hat die Hochschule Rosenheim im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) 94 Einrichtungen in Sachsen und Thüringen befragt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
Warum wurde die Befragung in Sachsen und Thüringen durchgeführt?
Weil nach Meinung der Autoren neue gesellschaftliche Entwicklungen im Osten präsenter sind. Dazu rechnen sie auch den erstarkten Rechtspopulismus. Außerdem sind Arbeitslosigkeit und Armut im Osten höher. „Uns hat interessiert, in Bundesländer zu gehen, in denen dieses Thema heiß diskutiert wird. Wir haben uns gefragt: Kommt das in den Kitas an, und wie kommt es in den Kitas an?“, sagt der DKHW-Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. Die Studie habe jedoch gezeigt, dass weder in Sachsen noch in Thüringen besondere Belastungen existieren, die in Nordrhein-Westfalen oder Berlin vergleichsweise nicht vorhanden sind.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil von Ausländerkindern in Kitas?
Bei den unter Fünfjährigen doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung – nämlich durchschnittlich 34 Prozent. Armutsrisiken, Bildungsstatus und berufliche Chancen der Eltern, aber auch Instabilität von Ehen und Partnerschaften, verschiedene Familienformen führen dazu, dass Kitas erste und bedeutsame Bildungs- und Sozialisationsinstanzen sind.
Welchen Anteil nehmen Flüchtlingskinder ein?
Kinder mit Fluchterfahrung leben in rund 28 Prozent der befragten Einrichtungen. Maximal werden 18 solcher Kinder betreut, in knapp der Hälfte sind es aber nur ein bis drei Kinder. Rund 47 Prozent leben in Klein-, 38 Prozent in Großstädten. Der Rest verteilt sich auf kleinere Ortschaften. In Einrichtungen in sozialen Brennpunkten liegt der Anteil viermal höher als in wohlhabenden Gegenden.
Deutsche Werte hoch im Kurs
Wie setzt sich das Personal in den Kitas zusammen?
Älter, weiblich, deutsch. Mit 30 Prozent Anteil in knapp der Hälfte aller Einrichtungen ist die Altersgruppe der über 55-jährigen Pädagogen vertreten. Die daraus erwachsende Personallücke durch Verrentung deutet sich schon an. Nur in acht der befragten Kitas arbeiten auch ausländische Pädagogen – keine davon mit muslimischer oder anderer nicht christlicher Glaubensrichtung. In über der Hälfte der Einrichtungen findet sich keine männliche Fachkraft. Allerdings zeichnet sich im Osten eine kleine Veränderung ab: hier stieg die Zahl der männlichen Erzieher mittlerweile von 2,3 (2006) auf 6,6 Prozent.
Wie viele Kinder stammen aus Alleinerziehenden-Haushalten?
Fast jede neunte Einrichtung betreut mindestens ein Kind mit alleinerziehendem Elternteil. In Kleinstädten ist diese Form am stärksten ausgeprägt. Angesichts des hohen Armutsrisikos Alleinerziehender wird davon ausgegangen, dass diese Kinder oft unter finanziellen Nachteilen leiden. 67 Prozent der Kitas geben an, dass Kinder, deren Eltern keinen Beitrag bezahlen, ihre Einrichtung besuchen. Die Gemengelage viele Kinder mit Migrationshintergrund, hoher Anteil aus Ein-Elternfamilien und besonders arme Familien findet sich vor allem an sozialen Brennpunkten.
Wie sieht es mit der religiösen Vielfalt aus?
Die religiöse Vielfalt der Kinder wurde von 84 Prozent der Befragten als Bereicherung empfunden, dagegen werden nur in 40 Prozent der Einrichtungen Feste gefeiert, die für die Kinder aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit wichtig sind. Dennoch pflegen knapp 93 Prozent der Kinder mit unterschiedlichen Religionen Freundschaften untereinander. Kinder mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen werden eher in sozialen Brennpunkten betreut (92 Prozent der dortigen Kitas). In wohlhabenden Gegenden sind es nur rund 44 Prozent. 53 Prozent der Einrichtungen betreuen auch behinderte Kinder.
Wird Vielfalt als Vor- oder Nachteil empfunden?
Die Macher der Studie sind nach eigenen Angaben weder auf rassistische noch andere menschenfeindliche Tendenzen gestoßen. Die Vermittlung deutscher Werte und Traditionen wird jedoch als sehr wichtig empfunden. Dass deutsche Kinder ausländischen überlegen sind, konnte die Mehrheit der Befragten nicht bestätigen. Dafür wurden Freundschaften zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund ausdrücklich begrüßt.
Was sagen deutsche Eltern zur Aufnahme von Flüchtlingskindern?
Fast drei Viertel haben nichts dagegen, beim restlichen Viertel spielt fast ausschließlich die Sorge um einen eigenen Betreuungsplatz eine Rolle. Die Erzieherinnen selbst bemühen sich um eine Integration, klagen jedoch gleichzeitig über die damit verbundenen bürokratischen Auflagen.
Defizite bei Zusammenarbeit mit Eltern
Welche Rolle spielt die Inklusion?
Die Bildungspläne der Länder sehen vor, dass Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung in Kitas integriert werden. 93 Prozent der Einrichtungen mit behinderten Kindern sieht das als Bereicherung an. Nur knapp zwei Prozent äußerten sich negativ. Bei Kitas, die behinderte Kinder nicht aufnehmen zu können, gab mehr als jede dritte mangelnde Barrierefreiheit als Grund an.
Schlagen Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit durch?
„Die insgesamt sehr positiven Befunde mit Blick auf den Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt legen nahe, dass Kitas in Sachsen und Thüringen keine Probleme mit Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben“, heißt es in der Studie. Eine gewisse Ratlosigkeit existiere bei Erziehern allerdings im Umgang mit Eltern, die solche Auffassungen vertreten. „Es gibt da einzelne Eltern, die ihnen das Leben schwer machen. Zum Beispiel, weil sie den Anspruch haben, dass ihr Kind nur Freundschaft mit deutschstämmigen Kindern schließen darf“, so Hofmann.
Woher rühren die Probleme?
„Da stößt die pädagogische Handlungsfähigkeit ein Stück weit an ihre Grenzen“, konstatiert Professorin Sabina Schutter von der Hochschule Rosenheim. Die Autoren der Studie mahnen deshalb eine Unterstützung der Fachkräfte in den Kitas an, um rechte Einstellung besser zu identifizieren und pädagogische Angebote für Kinder zu erarbeiten. „Es gibt keinen Ort, an dem man über menschenfeindliche Kommentare reden kann“, lautet eine Kritik. In Konsequenz sei es wichtig, das der öffentliche Träger Bedingungen herstelle, damit die Belastungen nicht zu hoch werden. „Man muss sehen, unter welchem großen Druck die Kita-Leitungen stehen“, mahnt Schutter. „Sie arbeiten unter engsten Bedingungen und haben gleichzeitig hohe Anforderungen an ihre Bildungsleistungen.“
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Eltern ausländischer Kinder?
Sie sei wichtig, aber nicht einfach, ist das Fazit der Befragung. Als größte Kommunikationshürde wird in rund einem Drittel der Einrichtungen der Zeitmangel aller Eltern empfunden. Dies empfehlen die Autoren, noch einmal vertieft zu untersuchen. In sozialen Brennpunkten spielen außerdem sprachliche, soziale und kulturelle Barrieren eine Rolle.
Welche Rechte haben die Kinder?
Teilhabe der Kinder ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Bildungspläne. So sind in den meisten Einrichtungen Kenntnisse über die UN-Kinderrechtskonvention bekannt, über Kinderrechte an sich jedoch nur in 80 Prozent der Kitas. Kindern entsprechend ihrer Altersstruktur flexible Ruhe-, Essens- und Spielmöglichkeiten zu gewähren, scheitert oft an den Räumlichkeiten. Außerdem verfolgen ältere Pädagogen eher restriktivere Konzepte der Erziehung. Schutter sagt, sie habe beeindruckt , dass die Kita-Leitungen, die die Friedliche Revolution noch miterlebt haben, das als persönliche Befreiung beschrieben und ihre pädagogischen Konzept völlig umgestellt haben.
Von Roland Herold
LVZ