Über 200 Wohnungen

Leipziger Bleichertwerke – aus alt wird gerade neu

Als VEB Verlade- und Transportanlagenbau (VTA) beschäftigte der Gohliser Betrieb zu DDR-Zeiten 4000 Mitarbeiter.

Als VEB Verlade- und Transportanlagenbau (VTA) beschäftigte der Gohliser Betrieb zu DDR-Zeiten 4000 Mitarbeiter.

Leipzig. Wer sich in diesen Tagen von Jessica Birgel über eine der größten Baustellen in Gohlis führen lässt, braucht wirklich festes Schuhwerk. Ebenso geübt wie federleicht hüpft die 29-jährige Betriebswirtin an den vielen aufgeweichten Stellen in dem riesigen Hof an der Lützowstraße vorbei. Ein Tritt daneben – und die Stiefel wären bis zum Schaft gelb vom Schlamm. „Ist ja kein Wunder. Schließlich haben wir den ganzen Winter durchgearbeitet“, erklärt die Projektleiterin des Leipziger Investors CG-Gruppe.

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Im sogenannten Haus 4 an der Wilhelm-Sammet-Straße zieht sie dann trotzdem die Schuhe aus. Schließlich wurde es kurz vor dem Jahreswechsel als erstes der historischen Gebäude der Bleichertwerke fertig saniert. 22 Wohnungen mit Fußbodenheizung, Echtholzparkett und bodengleichen Duschen sind darin entstanden. Auch der Jura-Marmor im Treppenhaus soll nicht schmutzig werden. Zumal fast alles längst vermietet und bezogen sei – bei Preisen von 8,50 bis 9,50 Euro kalt. „Alle Bauten werden besonders umweltfreundlich beheizt, was auch die Betriebskosten senkt“, sagt Birgel. Neben einer Gas-Grundversorgung kämen Luft- und Wasser-Wärmepumpen zum Einsatz. „Das ist alles geprüft und funktioniert so effektiv, dass man selbst im Hochsommer im Dachgeschoss keine Klimaanlage braucht. Den tollen Ausblick gibt es gratis dazu.“

Noch spektakulärer erscheint freilich, was sich jetzt gleich nebenan tut. In den jeweils mehr als 100 Meter langen Hallen 3 und 2 hat die CG-Gruppe begonnen, neue Häuser hinter den alten Backsteinwänden hochzuziehen. Gemäß der Entwürfe des Leipziger Architekturbüros Fuchshuber & Partner bleiben also die historischen Fassaden erhalten. Durch ihre gewaltigen Fensterflächen hindurch sind künftig aber moderne Neubauten und begrünte Höfe zu sehen. „Die historischen Dächer werden zum Teil geöffnet, damit in die Höfe viel Licht einströmt und auch was Ordentliches wachsen kann. Die stählernen Dachträger und selbst die Laufkatzen der Kräne in den früheren Fertigungshallen bleiben erhalten.“ So bekämen die künftigen Nutzer der 90 Wohnungen oder Passanten einen Eindruck von der Historie des Ortes, der zu den Leuchttürmen der gründerzeitlichen Industriearchitektur in Leipzig zählte – und bald wieder zählen soll. „Ende 2017 wollen wir die ersten dieser Atriumhäuser bezugsfertig haben.“

Derselbe Termin gilt auch für mehrere weitere Häuser auf dem 2,5 Hektar großen Areal. Im frisch sanierten Palaishaus mit seinen fast fünf Meter hohen Räumen läuft indes schon der Trockenbau, so dass eine Fertigstellung im Sommer realistisch sei.

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Den sogenannten Königsbau ein paar Schritte weiter und die frühere Fertigungshalle 1 hat die CG-Gruppe an die Leipziger GRK-Holding verkauft, bestätigt der dortige Vorstand Torsten Kracht. „Wir haben die denkmalgerechte Sanierung gerade gestartet. Für 9,5 Millionen Euro sollen in beiden Objekten insgesamt 80 Wohnungen entstehen.“ Ähnlich wie bei der preisgekrönten Umwandlung eines Teils der Plagwitzer Buntgarnwerke wolle GRK auch bei den „Gohliser Höfen“ große Atrien im Inneren der Bauten schaffen.

Die CG-Gruppe investiert an dem Standort 62 Millionen Euro, errichtet dabei insgesamt 147 Wohnungen, fährt Projektleiterin Birgel fort. Als nächster Schritt beginne im Frühjahr der Neubau eines Parkhauses mit 273 Stellflächen und einer Gewerbeetage oben drüber. „Dieser Bau dient zugleich als Lärmschutz zur benachbarten S-Bahn-Strecke“, erläutert sie. „Die Anmutung wird den historischen Bauten entsprechen. Der ganze Innenbereich wird dadurch autofrei. Und der Clou ist eine Kita mit 80 Plätzen, die neben dem Parkhaus entsteht.“ Als einer der letzten Mosaiksteine sollen nahe der Lützowstraße 20 Reihenhäuser mit jeweils 100 Quadratmetern hinzukommen. „Ende 2018 ist alles fertig, auch der Hof überall begrünt.“

Mehr zur Geschichte der Bleichertwerke:

1874 hatte der in Gohlis ebenso geborene wie beerdigte Ingenieur Adolf Bleichert (1845-1901) ein Büro zur Konstruktion für Schwebebahnen gegründet. 1881 erwarb er zum Bau einer Fabrik das riesige Areal an der heutigen Wilhelm-Sammet-Straße. Er entwickelte neuartige Kupplungen und Gelenke, die einen Transport um viele Ecken oder über große Entfernungen ermöglichten. Legendär wurden Anlagen wie die zum Transport von Rohstoffen im Usambara-Gebirge in Tansania oder an einer Erzgrube in Chile. Letzteres Bauwerk war 35 Kilometer lang und überspannte sogar auf einer Länge von drei Kilometern ein 1000 Meter tiefes Tal.

Weil in der Gründerzeit überall die Wirtschaft brummte, es aber noch keine Lastkraftwagen gab, scheffelte die Firma Adolf Bleichert & Co fantastische Gewinne. Bis zur Jahrhundertwende stieg sie – mit 1000 exportierten Anlagen – zur größten Seilbahnfabrik der Welt auf.

Bleichert fertigte auch Personenseilbahnen, deren modernisierte Nachfolger bis heute in Betrieb sind – so am Tafelberg in Kapstadt, die Hafenseilbahn in Barcelona oder die Zugspitz-Bahn (auf der Tiroler Seite). Für die Werksgebäude in Gohlis engagierten der Patriarch sowie später seine Söhne Max und Paul namhafte Architekten: Max Bösenberg (Evangelisches Schulzentrum), Händel & Franke (Buntgarnwerke) und für den sogenannten Königsbau, den 1911 Sachsens König Friedrich August besuchte, Richard Welz.

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Als private Villa ließ sich der Senior das heutige Heinrich-Budde-Haus in der Lützowstraße 19 bauen. Auch kam noch ein Werk in Eutritzsch hinzu. Im zweiten Weltkrieg wurden bei Bleichert Granathülsen gefertigt. Zu DDR-Zeiten konzentrierte sich der VEB Verlade- und Transportanlagenbau (VTA) immer mehr auf Kräne und Tagebauausrüstungen, stellte auch Gabelstapler und Elektrokarren wie die Eidechse her. 1985 wurde VTA zum Stammbetrieb des Kombinates Takraf, dessen Nachfolge-GmbH heute zum argentinischen Techint-Konzern gehört.

Von Jens Rometsch

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