Anzeigen gegen Hasskommentare im Internet verschwinden einfach? In Leipzig und anderswo? Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, fordert LVZ-Kolumnistin und Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven.
Leipzig. Hass im Netz ist in den vergangenen Jahren zu einem erheblichen Problem geworden. Menschen werden für ihre Ansichten, ihre Herkunft oder ihre Sexualität beschimpft, Politiker werden bedroht, Frauen sexistisch beleidigt. Die Folgen von digitalem Hass sind weitreichend. Studien, die wir an der Universität Leipzig durchgeführt haben, zeigen sogenannte „Silencing-Effekte“. Das bedeutet, dass sich Betroffene aus der öffentlichen Diskussion zurückziehen und ihre Meinung nicht mehr frei äußern. Wer einen „Shitstorm“ erlebt hat, der möchte das meist kein zweites Mal – und hält sich zurück. Dass Hass im Internet für unsere Demokratie eine Gefahr darstellt, ist mittlerweile bekannt. In den zurückliegenden Jahren gab es zahlreiche Änderungen des Strafgesetzbuchs, um Beleidigungen und Beschimpfungen im digitalen Raum noch besser zu erfassen. Nur: Die strengsten Gesetze helfen nichts, wenn sie nicht durchgesetzt werden. In unseren Untersuchungen berichteten Betroffene uns immer wieder, dass sie erfolglos Anzeige erstattet hätten. Viele wurden schon von der Polizei nicht ernst genommen, andere erhielten Monate später die knappe Nachricht, dass man den Täter nicht ermitteln konnte.
Wird das Recht im Internet also nicht durchgesetzt, kann man hier weitgehend straflos hassen, hetzen und drohen? Jan Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" wollten darauf eine Antwort finden und haben ein Experiment gestartet. Die Ergebnisse, die in der letzten Sendung vor der Sommerpause vorgestellt wurden, haben einiges an Sprengkraft. Aber der Reihe nach. Im August 2021 sind Korrespondentinnen der Sendung in allen 16 Bundesländern zu Polizeidienststellen gegangen, um dort sieben strafbare Hasskommentare anzuzeigen. Die Kommentare waren echt (sonst wäre die Aktion des Senders selbst strafrechtlich problematisch gewesen, denn Straftaten vortäuschen darf man nicht) und reichten von Hakenkreuz-Bildern über gewaltverherrlichende Verhetzungen bis hin zu Todesdrohungen gegen Christian Drosten.