SpinLab-Chef Eric Weber: Sachsen braucht ein digitales Gesundheitssystem
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MACNVS6SFZAMNH6JHTZ6AUR2BU.jpg)
Eric Weber auf dem Dach der Leipziger Spinnerei. Dort hilft er mit seinem SpinLab seit 2014 kleinen Unternehmen dabei, deren Ideen weiterzuentwickeln.
© Quelle: Nora Börding
Leipzig. Sachsen ist eines der Bundesländer mit dem höchsten Durchschnittsalter. Viele ältere Menschen bedeuten auch eine höhere Nachfrage nach Medizin und Pflege, die sich außerhalb von Leipzig, Dresden und Chemnitz auf eine eher ländlich geprägte Region verteilt. Gut ausgebildetes medizinisches Personal zieht es aber eher in die Metropolen – vor allem in den ländlichen Regionen herrscht Fachkräftemangel.
Aktuell ist fast jeder vierte Arzt im Freistaat älter als 60, in den nächsten Jahren gehen also tausende sächsische Mediziner in Rente. Das Problem des Ärztemangels wird sich insbesondere auf dem Land noch verschärfen. Dabei unternimmt die Landesregierung durchaus etwas – vom Herabsetzen des Numerus Clausus für Studienanfänger, die sich zum Dienst im ländlichen Raum verpflichten, über finanzielle Anreize für Landärzte bis zur Schaffung weiterer Studienplätze. Trotzdem scheint eine Trendwende nicht in Sicht.
Das gesamte System muss effizienter werden
Natürlich gilt es weiterhin, über politische Maßnahmen dem Mangel entgegenzuwirken. Im Idealfall gibt es sachsenweit ausreichend Ärzte jeder Fachrichtung. Dennoch muss man sich angesichts der aktuellen Zahlen fragen, wie realistisch das ist. Oder inwiefern sich das sächsische Gesundheitssystem auf mehr Patienten bei weniger Ärzten einstellen muss. Lange Wartezeiten sind schon jetzt keine Seltenheit, aber gerade bei Fachärzten wird es künftig möglicherweise nicht mehr in jeder Region eine ausreichende Versorgung geben. Das gesamte System muss daher viel effizienter werden.
Digitalisierung und Entbürokratisierung sind wichtige Schlüssel dazu. Leider ist das deutsche Gesundheitssystem gerade dort bisweilen schwerfällig – man denke nur an die elektronische Patientenakte (Epa) oder die Einführung der Telematik-Infrastruktur. Bis alle Ärzte überhaupt fähig und willens sind, Befunde und andere Dokumente in der Epa zu speichern, wird leider noch viel Wasser die Pleiße und Elbe hinunterfließen.
Große Krankenkassen und Top-Kliniken als gute Voraussetzungen
Dabei hat Sachsen gute Voraussetzungen. Die mit Abstand größte Krankenversicherung der Region – die AOK-Plus mit ihren Millionen Versicherten in Sachsen und Thüringen – gilt als eine der modernsten und innovativsten Allgemeinen Ortskrankenkassen deutschlandweit. Mit den Unikliniken Leipzig und Dresden sind zwei der forschungsstärksten und besten Krankenhäuser Deutschlands im Freistaat ansässig.
Zur Person
Eric Weber, 1987 geboren in Riesa, verhilft Leipzig seit einigen Jahren zu einem Namen in der jungen Gründerszene: In seinem SpinLab, einer Art Labor auf dem Spinnereigelände, hilft er seit 2014 kleinen Unternehmen dabei, ihre Ideen weiterzuentwickeln.
Zahlreiche weitere Forscher arbeiten an sächsischen Instituten – nicht zuletzt der Leipziger Medizinnobelpreisträger Svante Pääbo oder die weltweit renommierten Kollegen am Herzzentrum Leipzig. Mit dem Förderprogramm eHealthSax können sich medizinische Versorgungseinrichtungen und kooperierende Unternehmen digitale Innovationen in der medizinischen Versorgung sogar zu 80 Prozent fördern lassen. Auch gibt es zahlreiche Medizin-Startups, vor allem in Leipzig und Dresden.
Unterstützung durch Landkreise und Kommunen in ländlichen Gegenden
Die Landespolitik ist gut beraten diese Stärken weiter auszubauen und noch mehr voranzubringen, denn nur durch intelligente und digitale Lösungen scheint eine flächendeckende Versorgung möglich. Landkreise und Kommunen, vor allem in ländlichen Gegenden, müssen hier unterstützen, Projekte initiieren und begleiten. Aber auch die Patienten müssen sich umgewöhnen, sich für neue Wege offen zeigen und schlichtweg mitmachen. Nur durch die Nutzung digitaler Dienste lässt sich die Effizienz des Gesamtsystems steigern – mit digitalen Gesundheitsanwendungen zur Therapie bestimmter Krankheitsbilder zum Beispiel, mit Online-Videosprechstunden oder auch mit einer Datenspeicherung in der elektronischen Patientenakte.
Bei einer LVZ-Umfrage zum Einsatz von Servier-Robotern in „Auerbachs Keller“ antwortete mehr als die Hälfte der Leser, sie würden einen Menschen bevorzugen. Bei einer medizinischen Dienstleistung wären es wohl noch viel mehr. Das ist verständlich, geht aber leider am Kern des Problems vorbei. Denn durch den allgegenwärtigen Fachkräftemangel steht diese Alternative absehbar gar nicht zur Verfügung.
Lesen Sie auch
- Eric Weber und die Sinn-Frage im Berufsleben
- Eric Weber und der Untergang, der auch diesmal nicht kommt
- Leipziger Stimmen: LVZ-Kolumnisten bieten einen anderen Blick auf die Stadt
Also lassen Sie uns doch alle gemeinsam die tatsächlich bestehenden Optionen testen. Vielleicht sind wir am Ende sogar positiv überrascht von den neuen Möglichkeiten. Gerade die vergangenen Jahre haben ja gezeigt, was aus der Notwendigkeit heraus alles geht: Vielerorts, wo Homeoffice zuvor ein No-Go war, freuen sich die Mitarbeiter heute über neue Flexibilität.
Generell geht es nicht darum, Patienten vom Arzt fernzuhalten. Stattdessen müssen Lücken in der Versorgung gezielt geschlossen und durch digitale Angebote ergänzt werden.
Sachsen kann digitaler Vorreiter werden – vor allem abseits der Metropolen
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Überweisung zum Facharzt, der aber erst in einigen Monaten verfügbar ist. Statt bis dahin ohne jegliche Versorgung dazustehen, können digitale Therapien und Videosprechstunden zur Überbrückung dienen. Und dank elektronischer Patientenakte stehen dem behandelnden Arzt die wichtigsten Informationen und Daten zur Behandlung digital zur Verfügung.
Vielleicht wäre vielen Sachsen der allzeit und überall verfügbare Arzt jeglicher Fachrichtung lieber, aber angesichts der Realität ist das skizzierte Szenario allemal einen Versuch wert. Wenn alle Rädchen gut ineinandergreifen, kann der Freistaat zum Vorreiter der digitalen Gesundheit werden und dadurch die Versorgung stärken – vor allem abseits der Metropolen.
LVZ