E-Paper
Mobile DDR-Geschichte

Duo belebt DDR-„Ziehharmonika“ wieder – Halle geht vom Leipziger Leuschnerplatz bald auf Reise

Tobias Günther (l.) und Florian Rehnig haben die Raumerweiterungshalle auf den Leuschnerplatz in Leipzig gebracht.

Tobias Günther (l.) und Florian Rehnig haben die Raumerweiterungshalle auf den Leuschnerplatz in Leipzig gebracht.

Artikel anhören • 8 Minuten

Leipzig. Die grau-silber schimmernde Aluminiumkonstruktion auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz fügt sich farblich ins Bild mit dem im Hintergrund emporragenden City-Hochhaus. Das Blech der 16 Meter langen Halle, die von außen an eine immer schmaler werdende Raupe erinnert, reflektiert die Sonnenstrahlen. Im schattigen Innenraum ist es angenehm lau. Die Wände sind abwechselnd mit weißen und blauen Platten verkleidet, der Fußboden besteht aus Holz. Ein kleiner Ventilator brummt neben der Eingangstür. Im Inneren stehen Aufsteller mit Bildschirmen und Plakaten. Sie erzählen vom Einheitsdenkmal, ein Thema, das in Leipzig schon länger für Diskussionen sorgt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Ziehharmonika“ – so wird der Bau umgangssprachlich genannt. Fachlich korrekt handelt es sich um eine transportable Raumerweiterungshalle, kurz REH. 1959 wurde sie in der DDR entwickelt. Rund 3500 Exemplare wurden bis 1989 gebaut und als Konsum, Kino oder Kneipe genutzt. Die Anwendungsmöglichkeiten kannten kaum Grenzen. Wie schafft es nun so ein Relikt im Jahr 2023 ins Zentrum von Leipzig?

DDR-Halle sollte Café werden

Restauriert und aufgebaut wurde die REH von Florian Rehnig und Tobias Günther. Die beiden Männer haben sie 2010 in Marwitz bei Berlin gekauft. „Auf die Idee sind wir gekommen, da 2005 auf dem Jahrtausendfeld so eine Halle stand“, erzählt der 42-jährige Rehnig. „Da waren wir im Rahmen einer Veranstaltung drin und ganz beeindruckt von dem Gebäude.“ Günther ergänzt: „Dann entstand die Idee, als zweites Standbein in so einer Halle ein Café aufzubauen.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Eigentlich arbeitet Rehnig als Krankenpfleger. Günther, der ein Jahr älter ist, ist im Getränkehandel tätig. Im Internet haben sie über ein Jahr nach einer REH in gutem Zustand gesucht. „Mittlerweile sind sie sehr rar. In Marwitz sind wir schließlich fündig geworden. Die haben wir uns liefern lassen, dann in Knautnaundorf aufgezogen und Schritt für Schritt alles restauriert“, erinnert sich Rehnig. „Das hat ungefähr fünf Jahre gedauert, sie war sehr runtergekommen und wir mussten schauen, wie wir Geld hatten.“

Die Raumerweiterungshalle steht bis zum 9. Oktober auf dem Leuschnerplatz in Leipzig. Im Inneren kann eine Ausstellung zum Einheitsdenkmal besichtigt werden.

Die Raumerweiterungshalle steht bis zum 9. Oktober auf dem Leuschnerplatz in Leipzig. Im Inneren kann eine Ausstellung zum Einheitsdenkmal besichtigt werden.

Reparaturen nehmen fünf Jahre in Anspruch

Zu tun gab es viel. Die Gummis zwischen den Aluminium-Elementen mussten erneuert werden, im Innenraum faulten einige Platten an den Wänden und es wurde eine neue Dämmung angebracht. „Das Grundgestell und die Schienen, auf denen die Elemente ausgeschoben werden, haben wir auch entrostet“, erzählt Günther. „Wir haben versucht, das so originalgetreu wie möglich zu erhalten. Damit sie ihren alten Charme nicht verliert.“

Selbst haben die Leipziger keinen emotionalen Bezug zu den Raumerweiterungshallen. „Ich komme aus dem Erzgebirge und habe sie dort nie gesehen“, sagt Günther. Florian Rehnig sei lediglich als Kind manchmal an einer in Großzschocher vorbeigekommen. Passanten in der Leipziger Innenstadt hätten jedoch schon oft von den Hallen erzählt, als sie vorbeikamen. „Ein Mann meinte, er habe früher sein erstes Eis in einer dieser Hallen gegessen. Ein anderer hatte sogar ein Modell davon gebaut. Die meisten kennen sie als Kaufhalle“, erzählen die beiden. Doch wie kam es dazu, dass die Ausstellung zum Freiheits- und Einheitsdenkmal ausgerechnet in einem Relikt aus DDR-Zeiten gezeigt wird?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Aufbau einer Raumerweiterungshalle

Bei manchen weckt die Raumerweiterungshalle auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz Erinnerungen, andere wissen mit dem Aluminium-Aufbau nichts anzufangen.

Stiftung Friedliche Revolution will nach Frankfurt und Hannover

„Das war eine verrückte Idee“, sagt Gesine Oltmanns vom Kuratorium der Stiftung Friedliche Revolution. „Wir haben eine flexible Halle benötigt. Denn wir finden, man muss mit dem Thema unterwegs sein. Eine Idee war, mit einem Waggon durch die Bundesrepublik zu fahren. Aber dann ist uns eingefallen, dass es diese Ziehharmonikas gab.“ So eine zu beschaffen, habe sich jedoch schwieriger gestaltet als erwartet. So seien die Bauwerke oft in so schlechtem Zustand, dass sie gar nicht mehr nutzbar sind oder nicht zur Miete erhältlich.

„Wir sind durch halb Ostdeutschland gefahren, haben uns in Berlin Rat geholt, wo wir nach Stralsund verwiesen wurden. Denen war es dann aber doch zu verrückt. Wir waren schon kurz davor, aufzugeben, als wir über Umwege schließlich auf das Team mit der Halle in Knautkleeberg gestoßen sind“, erinnert sich Oltmanns. „Mit den beiden hat es wirklich toll funktioniert, auch der Transport in die Stadt. Das war alles ein bisschen aufregend.“ Die Statik aus dem Jahr 1975 bekam keine Baugenehmigung mehr, alles musste neu gerechnet und bestätigt werden. „Das war zum Ende noch eine große Herausforderung. Und ob alles hält und klappt und dann auch auseinanderzuziehen geht, war eine Zitterpartie.“

Raumerweiterungshalle für die Vereinigten Staaten

Die Halle samt Ausstellung soll nach dem Abbau am 9. Oktober vor allem in den westlichen Bundesländern unterwegs sein. „Hannover und Frankfurt stehen auf dem Plan. Je nachdem, wie offen die Städte sind, können noch mehr dazu kommen“, erklärt Oltmanns.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Doch ist so ein Symbol der DDR überhaupt die richtige Verpackung für eine Ausstellung zu deutscher Einheit und Friedlicher Revolution? „Wir haben uns gefragt, wie man Sympathie und Neugier wecken kann. Es geht nicht um Nostalgie, und die Ausstellung wird das deutlich zeigen. Trotzdem steht das Ganze natürlich auch dafür, was für kreative Ideen in der DDR umgesetzt wurden. Und damit kann man die Leute gut berühren.“

Als Überbleibsel aus dem ehemaligen Ostblock ist das Bauwerk Raumerweiterungshalle auch für das US-amerikanische Wende-Museum von Interesse. Dort, im kalifornischen Culver City bei Los Angeles, hat man sich auf Relikte aus der Sowjet-Ära spezialisiert. Und das Museum hat eine der Hallen gekauft. „Die REH, die wir gekauft haben, hat zu DDR-Zeiten als Kaufhalle gedient“, teilt Andrew Hartwell, Sprecher des Museums, auf LVZ-Anfrage mit. Seit mehreren Jahren werde die Halle in Berlin gelagert. Ein Transport nach Los Angeles könne erst stattfinden, wenn sie umfassend restauriert wurde. Einen genauen Zeitplan gibt es nicht, so Hartwell. „Aktuell planen wir nicht, die Halle rüberzubringen. Deshalb ist sie momentan nicht zu besichtigen.“

Zwei weitere Raumerweiterungshallen in Dölzig

In Dölzig stehen zwei weitere REH, allerdings in schlechtem Zustand. Links ist das Nachfolgemodell zu sehen. Da zuletzt kein Aluminium mehr verwendet werden durfte, setzten die Konstrukteure auf Wellblech.

In Dölzig stehen zwei weitere REH, allerdings in schlechtem Zustand. Links ist das Nachfolgemodell zu sehen. Da zuletzt kein Aluminium mehr verwendet werden durfte, setzten die Konstrukteure auf Wellblech.

Während die USA also weiter auf ihre vermutlich erste Raumerweiterungshalle warten müssen, finden sich im Raum Leipzig noch weitere Exemplare dieser ostdeutschen Ingenieurskunst. So stehen im Schkeuditzer Ortsteil Dölzig direkt an der B 181 in Richtung Günthersdorf zwei weitere Ziehharmonikas – die eine olivgrün gestrichen in der typischen Wohnwagen-Form, die andere in der Form eines Containers und aus grauem, gerippten Blech – eine spätere Version. Fenster hängen nur noch quer in den Angeln oder sind mit Planen abgedichtet. Neben den REH wirbt ein über einen Bauzaun gespanntes Banner für einen DDR-Laden in Rückmarsdorf.

Ein Anruf im Ostalgie-Geschäft bringt nur wenig Klarheit zur Geschichte der verfallenden Bauten: „Die Hallen stehen nur bei unserer Werbung, aber sie gehören nicht uns. Dafür bekommen wir aber andauernd Anrufe von Leuten, die sie kaufen wollen“, sagt Chefin Andrea Streit.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Begeistert ist sie angesichts der großen Nachfrage nicht. „Ich kenne den Eigentümer, habe früher noch seine Nummer vermittelt, aber die Interessenten haben letztlich doch nicht gekauft oder melden sich nicht mehr.“ Zur Geschichte der Konstrukte kann sie keine Auskunft geben. Der Besitzer, der in der Schweiz lebe, habe die Exemplare erworben, um sie aufzuarbeiten und weiterzuverkaufen. Nun stünden sie schon länger in Dölzig und werden wohl noch auf unbestimmte Zeit dort bleiben, so Streit.

Lesen Sie auch

Und die Raumerweiterungshalle auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz? Die soll nun, wie von der Stiftung Friedliche Revolution geplant, erst mal auf Tour durch Deutschland gehen. „Ob da später ein Café draus wird, ist offen“, meint Tobias Günther. „Wir können uns aber gut vorstellen, die Halle auch nach der Zusammenarbeit mit der Stiftung weiter zu vermieten.“ Langfristig ein Grundstück zu finden, sei in Leipzig fast unmöglich geworden. „Einen festen Plan gibt es nicht“, fügt Florian Rehnig hinzu. „Wir lassen das auf uns zukommen.“

LVZ

Mehr aus Leipzig

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken