Prozessauftakt gegen Drahtzieher

Mit dieser Masche wurde Unister aufs Kreuz gelegt – Zeugin berichtet in Leipzig

Wilfried Sch. soll den Betrug eingefädelt haben.

Wilfried Sch. soll den Betrug eingefädelt haben.

Leipzig. Susanne Albert-Raulff ist eine resolute Frau. Sie arbeitet in Menden im Sauerland als Immobilienmaklerin, hat dazu noch ein Architekturstudium abgeschlossen und möchte Seniorenresidenzen bauen. Die 56-Jährige weiß sich durchzusetzen. Niemand aus ihrem Umfeld hätte gedacht, dass sie auf Kreditbetrüger hereinfällt. Das hätte auch niemand von Thomas Wagner und Oliver Schilling geglaubt. Doch den beiden Unister-Gesellschaftern ist im Juli vergangenen Jahres genau das passiert, was Susanne Albert-Raulff da schon mehrere Woche hinter sich hatte.

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Sowohl die Leipziger als auch die Frau aus Nordrhein-Westfalen sind einem sogenannten Rip-Deal aufgesessen.
Im Mittelpunkt steht Wilfried Sch. Er soll die Geschäfte eingefädelt haben und steht deshalb seit Dienstag vor der 16. Strafkammer des Leipziger Landgerichts. Der heute 69-jährige Finanzmakler aus Unna scheut die breite Öffentlichkeit. Vor Prozessbeginn versteckte er sein Gesicht im Saal 115 hinter einem grünen Schnellhefter. Später, als die Fotografen den Raum verlassen haben, zeigt er sich den Beobachtern.

„Haft hat ihm zugesetzt“

Sch. spricht eifrig mit seinem Verteidiger aus Dortmund. Auch den Prozess verfolgt er ganz genau, schüttelt häufig den Kopf oder stöhnt laut auf. Den Bürstenschnitt hat er mit Haargel in Form gebracht, er trägt ein dunkles Sakko, einen hellblauen Pullover und eine helle Jeans. An der linken Hand steckt ein Ehering. Seit 28. Juli 2016 sitzt Sch. in Untersuchungshaft.

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Susanne Albert-Raulff hätte Sch. fast nicht wiedererkannt. „Die Haft hat ihm zugesetzt“, findet sie. Den Kontakt zum Finanzjongleur hat ein befreundeter Makler bereits 2015 hergestellt. Menden und Unna sind keine 30 Autominuten von einander entfernt, man kennt sich. Albert-Raulff braucht damals wie Unister frisches Geld. Geld das ihr eine Bank für die Vorplanung eines Projekts nicht gibt. Sie steckt wie Unister in einer Klemme. Auch Wagner braucht finanzielle Hilfe, will mit der Reisebranche der Gruppe an die Börse und so den in unternehmerischer Schieflage befindlichen Internetriesen wieder aufrichten.

Wilfried Sch. mit seinem Verteidiger Martin Habig.

Wilfried Sch. mit seinem Verteidiger Martin Habig.

Fast ein Jahr verhandelt Albert-Raulff mit dem jetzt Angeklagten. Er hat den angeblichen israelischen Diamantenhändler Levy Vass in der Hinterhand. Wie auch später bei Unister präsentiert er die Geschichte vom großen Vertrauen zum Israeli. Sie kennen sich angeblich seit 17 Jahren, machen seit acht Jahren Geschäfte miteinander. Nie sei etwas schief gegangen.

Vass streicht das Erbe ein

Vass will der Architektin eine Million Euro leihen, fordert im Gegenzug aber 100.000 Euro als Sicherheit für eine Ausfallversicherung. Albert-Raulff kann die Summe zunächst nicht aufbringen, erst als die Schwiegermutter stirbt und sie mit ihrem Mann eine größere Erbschaft macht, wird sie für Vass wieder interessant. Der Abschluss des Kreditvertrags soll in Ljubljana erfolgen, einen Tag vor der Reise bekommt sie die Blankounterlagen für den Vertrag per E-Mail. Was dann in Sloweniens Hauptstadt passiert, damit hat die 56-Jährige nicht in ihren schlimmsten Träumen gerechnet.

In der Morgensonne füllt sie am 14. Juni, also genau einen Monat vor dem Absturz der Unister-Manager, auf der Hotelterrasse die Unterlagen aus. Am Nachbartisch sitzen zwei Griechen die ebenfalls Geld benötigen. Vass pendelt zwischen beiden Tischen hin und her. Albert-Raulff beschreibt ihn als kleinen Mann von etwa 1,65 Meter Körpergröße. Die Haare trägt er länger, wie es teilweise in den 1980er Jahre einmal Mode war. Sein Bart verläuft auffällig waagerecht über der Oberlippe, der Pepita-Anzug sei nicht aus der aktuellen Kollektion. Vass, so erinnert sie sich, trat sehr sicher auf, von Nervosität keine Spur.

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Der Frau aus Deutschland zeigt er einen israelischen Pass, den beiden Männer seine Papiere aus Italien. So hat es Albert-Raulff später herausgefunden und berichtet es an ihrem Geburtstag am Landgericht in Leipzig.

Danach geht es auf den Hotelparkplatz. Die Griechen steigen in den Jaguar von Vass. „Sie haben dann aus Socken, Unterhosen, Schuhen und Hemden das Bargeld hervorgekramt“, berichtet die Frau aus Menden. Sie selbst hat ihre 100.000 Euro in der Tasche. Als Gegenleistung soll sie 25 Prozent der Kreditsumme sofort in Schweizer Franken bekommen, der Rest ist als Überweisung geplant.

Schweizer Franken sind billige Kopien

Ein Austausch der Scheine ist eigentlich bei einem Notar vorgesehen. „Plötzlich streckte Vass die Hand aus und wollte mein Geld“, berichtet sie der Kammer. Der Angeklagte Sch. habe sie ermutigt und genickt. Vass habe anschließend einen Koffer aus dem Auto gereicht, darin sollte die Gegenleistung liegen, für die Deutsche und die beiden Griechen zusammen. Einer der beiden Verschlüsse war allerdings mit einem Zahlenschloss blockiert. Sch. drehte daran herum, als der Koffer schließ geöffnet war, sah es Albert-Roulff sofort. Nur die erste Lage mit den 1000 Schweizer Franken-Noten war echt, darunter befanden sich billige Farbkopien. „Es ging alles ganz schnell, als wir uns umdrehten, war Vass mit seinem Auto verschwunden“, sagt die Zeugin. Ihr bleiben gerade 7000 Schweizer Franken aus dem Blütenkoffer.

Die Griechen sind außer sich, schalten später eine private Detektei ein. Albert-Raulff hat dagegen immer wieder Kontakt zu Vass, der sie am Telefon gern „mein Schatz“ nennt. Der Angeklagte Sch. tut unwissend, will sich die Sache nicht erklären können. Vass überweist der Frau später kleine Summen zurück, knapp 5000 Euro. Der Großteil aus dem Erbe bleibt aber verschwunden. Der Isareli will ihr das Geld später mehrfach persönlich zurückgeben, allerdings in Italien. Zwei Versuche scheitern. Zuletzt sagt ihr Vass in Rom am Telefon, er muss sie beobachtet haben, sie sei nicht allein und bricht den Kontakt ab.

Opfer wird abgehört

Was die Architektin nicht ahnt, neben den Privatdetektiven hat sich inzwischen auch die Polizei unbemerkt an ihre Fersen geheftet. Nach dem Kreditschwindel mit den beiden Unister-Managern im Juli 2016 gilt Albert-Raulff sogar als Verdächtige. Ihr Handy wird abgehört. „Da habe ich immer ein Klacken gehört“, sagt sie. Ihre vielen Gespräche mit Vass und Sch., einziges Thema war Geld, lässt sie den Beamten zwischenzeitlich als Komplizin erscheinen.

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Als Albert-Raulff schließlich im Internet die Hintergründe über den Rip-Deal mit Unister und den späteren Absturz erfährt, geht sie zur Polizei und zeigt Sch. und Vass an.
Am Mittwoch geht der Prozess weiter. Im Mittelpunkt stehen dann die Ereignisse um Unister in Venedig. Als Zeuge ist der Leipziger Immobilienunternehmer Oliver Bechstedt geladen. Er soll Wagner den ehemaligen Leipziger Banker Karsten-D. K. vorgestellt haben, der dann den Kontakt zu Sch. herstellte und gegen den noch ermittelt wird. Außerdem sollen der frühere Kommunikationschef Konstantin Korosides und weitere ehemalige Mitarbeiter der Unternehmensgruppe Aussagen.

Wird Vass bald gefasst?

Mit einer Überraschung beendete Staatsanwalt Dirk Reuter den ersten Prozesstag. Er hält es für möglich, dass Levy Vass noch Teil des Verfahrens wird. Zu einer möglichen unmittelbar bevorstehenden Festnahme wollte sich der Ankläger allerdings nicht äußern. Bisher galt der Israeli immer als Unbekannter, von dem keine Aufnahmen vorliegen. Albert-Raulff sagt aber: „Ich könnte ihn problemlos zeichnen.“ Ihr Angebot nahm bisher niemand an.

Matthias Roth

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