Durch Unwucht: Defektes Rotorblatt reißt Mast um
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Nur noch Trümmer bleiben vom Rotor und seinen Blättern.
© Quelle: Sven Bartsch
Sitten/Leisnig. Der Windpark in Sitten wird zur Pilgerstätte für Schaulustige – und das, obwohl er besser nicht betreten werden soll. Der Mast einer Windkraftanlage war Dienstagnachmittag in 15 Metern Höhe über dem Erdboden abgeknickt. Die Nabenhöhe der Anlage beträgt 65 Meter. Vom Fuß bis zur Spitze bei einem nach oben weisenden Rotorblatt erreicht sie sogar 96 Meter.
„16.31 Uhr sendete der Computer die letzte SMS an unsere Zentrale und signalisierte einen Rotorblattfehler. Dann verschwand die Anlage vom Kontrollmonitor der Fernüberwachung.“ Hans Körner von der Rasmus GmbH, die für das Unternehmen Eurowind Energy die Wartung und den Service in dem Windpark erledigt, erläutert, was geschah: „Als der Computer den Rotorblattdefekt feststellte, schaltete er die Anlage selbstständig ab. Noch während des kontrollierten Abbremsens schaukelte die durch den Defekt verursachte Unwucht des Rotors die Anlage trotzdem derart auf, dass die Mühle ihren Mast umriss.“
Trümmer Mittwoch aufgesammelt
Die Teile landeten relativ weich im Erdreich, so dass außer den in alle Winde zerstreuten Kunststoffteilen keine größeren technischen Aggregate zu Bruch gingen. Dies ist in sofern von Bedeutung, da kein Getriebeöl ausfließen darf. Sämtliche Umwelt- und Baubehörden wurden sofort informiert, auch die Leisniger Stadtverwaltung. Am Mittwoch waren Hans Körner und weitere Kollegen der im ostthüringischen Königshofen ansässigen Rasmus GmbH vor Ort, um die Kunststofftrümmer aufzusammeln. Aggregate sind weitgehend ausgebaut.
Windrad in Sitten bei Leisnig umgenickt
Leisnig, 28.12.16: Ein 96 Meter hohes Windrad ist gestern in Sitten bei Leisnig umgestürzt. Grund war ein defektes Rotorblatt. Video: Sven Bartsch
Jetzt kommen die Gutachter
Die Anlage bleibt ein bis zwei Tage liegen. Gutachter ermitteln die konkrete Ursache der Havarie. Dies hat vor allem versicherungstechnische Hintergründe. Dass das umgeknickte Windrad Neugierige anzieht, kann Körner verstehen. Dennoch weist er darauf hin, dass es sich bei dem Windpark beziehungsweise den Anlagen um Betriebsstätten handelt. Es sollte nichts betreten werden. Er bittet die Neugierigen, die Absperrungen und Beschilderungen zu beachten.
Bei Frost Eisabwurf
Dies gelte prinzipiell und nicht etwa nur nach Havarien. Bei Frost könne es nahe von Windkraftanlagen zum Beispiel zu Eisabwurf kommen. Man solle sich prinzipiell nicht so nahe oder direkt unter einer Windkraftanlage aufhalten. Körner: „Vorfälle wie in Sitten, so spektakulär sie im Einzelfall sind, kamen auch schon in anderen Parks in Deutschland vor. Das zeigt, dass die Abstandsregelungen zum Beispiel zu Autobahnen und großen Straßen sehr sinnvoll sind.“
Beim Windpark Sitten funktioniert das Modell der Bürgerbeteiligung: Ein Teil des Erlöses aus der Stromeinspeisung fließt über ein Beteiligungsmodell an Dorfbewohner, die das Modell mit tragen. Vier der Anlagen werden von der Eurowind Energy betrieben. Das Unternehmen ließ bereits drei andere abbauen: Der Park ist für das Re-Powering vorgesehen: Alte Anlagen sollen durch eine geringere Anzahl neuer und effizienterer Windräder ersetzt werden. Die vier noch vorhandenen Mühlen stammen aus dem Jahr 1999.
Kommentar: Sie meiste Zeit völlig friedlich
Einige Windkraftgegner wird es freuen: Ist doch tatsächlich ein Windrad umgfallen. Zwar nicht vom Wind, aber egal. Nur weil auch Autos mit verschlissener Kupplung oder einem geplatzten Reifen verunglücken, verteufeln Windkraftkritiker ja auch nicht das Autofahren. Wäre ja auch Unsinn. Zugegeben, es sieht schlimm aus, wenn eine fast 100 Meter hohe Windmühle plötzlich nieder gestreckt da liegt. Der Betrachter wird sich der riesigen Dimensionen aus der Nähe erst richtig bewusst. Das Bild der Zerstörung tut sein Übriges, es wirkt weitaus beeindruckender als eine emsig vor sich hin rotierende Mühle im Vorüberfahren. Der Windpark Sitten ist so weit ab vom Schuss, dass das havarierte Windrad fast nur von der Autobahn aus kurz wahrnehmbar ist. Ansonsten muss man ganz nah ran. Gerade das soll niemand. Es gibt eine Reihe berechtigter Einwände gegen Windkraftanlagen. Dass sie jemandem auf den Kopf fallen könnten und deshalb als gefährlich eingestuft werden müssten, ist kein berechtigter Einwand. Nein, dort sollen keine Kinder spielen und niemand auf den Wegen zu den Mühlen spazieren. Weil Windkraftanlagen eben die meiste Zeit nicht havarieren, erwecken sie so einen friedlichen Eindruck. Selbst bei dieser so schlimm aussehenden Havarie in Sitten kam kein Mensch zu Schaden. Die Havarie wird die Diskussion um Windkraft befeuern – gut so. Ein öffentlicher Diskurs entwickwelt sich, wenn Pro- und Kontra-Positionen gehört werden. Ein umgefallenes Windrad in Sitten mindert die Dringlichkeit der Energiewende ebenso wenig wie ein in China umgefallener Sack Reis.
Von Steffi Robak
LVZ